"Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen"
Dr. Knauf, wie liefen die Wochen des Lockdowns in Ihrer Praxis ab?
Dr. Marko Knauf:Als der Lockdown im März losging, haben wir von uns aus schnell entschieden, nur noch begonnene Behandlungen abzuschließen und Schmerzpatienten zu versorgen.
Da es zunächst keine eindeutigen Handlungsrichtlinien aus der Politik oder von Kammer- und KZV-Seite gab, haben einige Kollegen und Kolleginnen weitestgehend normal weiter behandelt. Für uns war aber klar, dass wir runterfahren. Wir haben alle Prophylaxetermine abgesagt und ab dem 23. März auf Notbetrieb umgestellt. In meiner Praxis arbeiten vier Behandler. Wir haben vormittags und nachmittags Schmerzzonen eingerichtet und diese untereinander aufgeteilt.
Warum haben Sie den Betrieb so schnell reduziert?
Dazu hat vor allen Dingen unsere Nähe zu Frankreich und Italien beigetragen, wo ich auch Zahnärzte kenne. Dort waren die Praxen schon zwei bis drei Wochen zu, als es bei uns erst losging. Die dortigen Kollegen konnten gar nicht glauben, dass wir noch geöffnet haben. Hinzu kommt, dass meine Praxis neben der Uniklinik liegt, in die ja auch einige Covid-19-Patienten aus dem Elsass verlegt wurden.
Wann haben Sie den Betrieb wieder hochgefahren?
Circa einen Monat später, als ich aus der Uniklinik hörte, dass wieder elektive Operationen stattfinden. Gleichzeitig erschien seitens der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde eine ausführliche Stellungnahme, die die Systemrelevanz der Zahnmedizin nochmals hervorhob. Darin hieß es unter anderem, dass eine gute Mundhygiene beziehungsweise eine gesunde Mundhöhle als Immunbarriere in Zeiten von Covid-19 noch wichtiger sei als ohnehin schon.
Das war für uns das Signal, unter Verfeinerung unserer Sicherheitsmaßnahmen wieder notwendige Behandlungen vorzunehmen. Die nicht zwingend notwenigen Termine von Risikopatienten mit zum Beispiel Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen haben wir zu diesem Zeitpunkt aber dennoch abgesagt.
Ihre Region war ein Corona-Hotspot. Wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Die generelle Stimmung hier war schon anders als in vielen anderen Regionen in Deutschland, glaube ich. Das lag auch daran, dass wir die Notsituation im Elsass mit der Knappheit der Intensivbetten so unmittelbar mitbekommen haben. Die Lage scheint auch unsere Landesregierung überfordert zu haben. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium hat vor Ostern quasi ein Behandlungsverbot für zahnärztliche Praxen ausgesprochen, weil das Ansteckungsrisikos extrem hoch sei – ohne Absprache mit den Standesvertretern.
Die Verunsicherung der Patienten hat das nochmal geschürt. Bei uns klingelte das Telefon heiß. Die Verordnung wurde dann aber, auch auf Betreiben der KZV hin, schnell aufgehoben, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr sinnvolll erschien.
Wie hat Ihr Team die Corona-Krise erlebt, vor allem die ersten Wochen?
Anfangs herrschte bei meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sehr große Verunsicherung. Viele hatten Angst, dass sie Angehörige durch eine Ansteckung gefährden könnten.
Wie haben Sie gegen gelenkt?
Wir haben die Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen ausgeweitet. Ich habe dem Team vor Augen geführt, dass wir Zahnärzte immer auf hohem Hygiene- und Sicherheitsniveau arbeiten. Im Prinzip behandeln wir Patienten immer so, als hätten sie ein Infektionsrisiko. Wir sagen ja auch nicht, dass wir nicht mehr behandeln, weil es Hepatitis C und HIV gibt, für die wir ja auch keinen Impfstoff haben. Ich habe auch noch einmal betont, dass wir in der Zahnmedizin von Haus aus mit Handschuhen, Mundschutz und Brille behandeln und somit ein sehr viel geringeres Ansteckungsrisiko haben als beispielweise ein Hausarzt. Dieser Vergleich hat geholfen, glaube ich. Die Stimmung war im Laufe der Wochen dann eigentlich sehr positiv.
Wie haben Sie die Praxis in der Zeit des Lockdowns organisiert?
Um das Ansteckungsrisiko in der Praxis zu senken, haben wir Schichten eingeteilt und Teams gebildet, die sich nicht getroffen haben. Absprachen liefen bei uns via WhatsApp oder bei der Übergabe zwischen den Behandlern. Es musste viel koordiniert werden.
Meine Frau als Praxismanagerin hat Praxisrundbriefe und Aushänge verfasst. Alle zwei bis drei Tage gab es Updates zu den Themen Infektionsgeschehen und Kurzarbeit. Es war nicht ganz einfach, Arbeitsmaterialien zu bekommen. Wir haben uns zeitweise Desinfektionsmittel selber angerührt und uns Schutzmasken im Malerfachhandel besorgt. Jetzt ist wieder alles vorrätig.
Wie haben Sie als Praxisinhaber diese Wochen erlebt?
Am Anfang hatte ich natürlich große Angst und Sorge, weil ich die Situation von Kollegen aus Italien vor Augen hatte, deren Praxen schon viele Wochen zu waren und die existentielle Sorgen hatten. Bei uns waren dann auch alle Mitarbeiter in Kurzarbeit. Vorsorglich habe ich mich über Kredite und Soforthilfen informiert. Sechs Wochen nach Lockdown stellte sich dann aber Erleichterung ein, weil die Praxis sich wieder füllte.
Aber natürlich wird sich die finanzielle Delle für März und April erst zeitversetzt zeigen. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Zeit 85 Prozent weniger Umsatz gemacht haben als sonst. Aber ich muss dennoch sagen: Im Vergleich zu anderen Branchen wie der Gastronomie, dem Tourismusbereich oder dem Messebau sind wir Zahnärzte und Zahnärztinnen doch mit einem blauen Auge davongekommen. Neben unserer Praxis befindet sich ein Hotel mit 200 Betten, das normalerweise immer voll ist. Da herrscht zurzeit Geisterstimmung, wenn man durchs Foyer geht.
Wie haben Sie den Kontakt zu Patienten gehalten?
Wir haben sie über unsere Hompage, Google, Instagram und Facebook über die Öffnungszeiten und Angebote in der Praxis informiert. Wir kommunizieren zurzeit sehr aktiv mit unseren Patienten. Das liegt daran, dass ich aus meinem Bekanntenkreis immer wieder höre: „Ich mache erst wieder einen Termin, wenn Corona vorbei ist.“
Ich entgegne dann, dass es nicht vorbei sein wird, dass wir auch in der Zukunft mit diesem Virus leben müssen – dass Karies oder Parodontitiserkrankungen aber nicht ohne Behandlung zu therapieren sind. Ich betone dann auch nochmal, wie hygienisch wir arbeiten und dass es wenige medizinische Berufsgruppen gibt, die ihre Patienten standardmäßig mit Handschuhen und Mundschutz behandeln.
Wie ist die aktuelle Lage in Ihrer Praxis?
Wir sind seit Ende Mai wieder im Normalbetrieb. Wir haben die Bestellung entzerrt und achten noch etwas mehr darauf, keine Wartezeiten zu haben. Natürlich informieren wir Patienten vor dem Betreten der Praxis über Hinweisschilder. Aufgerufen werden sie aus verschiedenen Wartebereichen teilweise mithilfe von Pagern wie man sie aus manchen Restaurants kennt. Sie vibrieren, wenn man dran ist. Bei den E-Mail-Erinnerungen an einen Termin senden wir zurzeit Corona-Infos mit.
Wie haben Sie die Zwangspause für die Praxis genutzt?
Einiges, was wir uns vorgenommen haben, haben wir eigentlich gar nicht geschafft, weil wir mit der Organisation der Lage beschäftigt waren. Außerdem mussten wir angesichts der zu dieser Zeit massiven Umsatzeinbrüche die Kosten möglichst gering halten.
Wie fühlen Sie sich jetzt?
Ich bin froh, dass wir wieder weitestgehend normal arbeiten können. Die Behandlungen laufen zu 95 Prozent so wie vor dem Lockdown. Das stimmt mich zuversichtlich. Jetzt bleibt abzuwarten, was in den nächsten Monaten passiert. Bei zehn Millionen Menschen in Kurzarbeit wird sich erst noch zeigen, wie viele sich hochwertigen Zahnersatz leisten können. Ich hoffe, dass die Politik es schafft, den Bürgern Zuversicht zu geben und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Die Fragen stellte Susanne Theisen.
Details zur Praxis
Die Praxis Knauf Kollegen Zahnärzte Freiburg wurde im Mai 2008 auf 270 m2und mit 6 Behandlungzimmern gegründet. Sie hat 20 Mitarbeiter, davon 4 Zahnärzte. Schwerpunkte sind Implantologie, Zahnersatz, Prothetik, Endodontie.