Kongress der Ärzte und Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Osnabrück

"Wir tragen unseren Unmut auf die Straße!"

pr
Mit einer Protestkundgebung vor der Osnabrückhalle startete der mehrtägige Kongress: Unter dem Motto „Wir arbeiten für Ihre Gesundheit - aber nicht mehr lange!" forderten die Ärzte und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) eine adäquate tarifliche Bezahlung.

Trotz Rekordüberschüssen in den Kommunen weigere sich die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) seit Jahren, eine adäquate tarifliche Bezahlung zu vereinbaren, sagte Teichert. „Wir finden keinen Nachwuchs mehr. Und wir verdienen mindestens 1.000 Euro weniger als unsere Kollegen in den Krankenhäusern."

Und weiter: „Unserer Not wollen wir hier und jetzt bundesweit zum Ausdruck bringen." An die Bevölkerung gerichtet forderte sie auf: „Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder eine präventive Betreuung und eine Kariesprophylaxe in Kindergärten und Schulen bekommen, dann unterstützen Sie uns!"

"Sieben magere Jahre liegen hinter uns!"

Unterstützung bekam Teichert vom Marburger Bund (MB). Auch dessen stellvertretender Vorsitzender Dr. Andreas Botzlar gab sich auf der Kundgebung kämpferisch: „Sieben magere Jahre liegen hinter uns, jetzt müsste Zeit sein für die sieben fetten Jahre!" Und: "Es geht um die Wertschätzung dieser Form der Berufsausübung". Der BVÖGD wird zusammen mit dem mb am 2.5. eine weitere Kundgebung in Berlin durchführen. 

Zuvor hatte Teichert vor Pressevertretern klargemacht, wie dringlich das Thema Nachwuchsbildung für die ÖGD-Ärzte ist: In den vergangenen zehn bis 15 Jahren seien rund 30 Prozent der Stellen abgebaut worden. In der medizinischen Ausbildung gebe es keinen Kontakt zum ÖGD, und wenn, dann nur als Querschnittsfach.

Einen wichtigen Part im Rahmen der Betreuung im ÖGD nehmen die Zahnärzte ein, wie Dr. Michael Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbandes der Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG), den Medienvertretern verdeutlichte. Hauptaufgabe sei die Prävention im Rahmen der Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen. Eine besondere Herausforderung: Die Milchzahnkaries. "Trotz aller Interventionsmaßnahmen haben wir einen Zuwachs von 30 Prozent. Das müssen wir in den Griff kriegen."

Teilzeitarbeit - logistisch oft schwierig

Was die personelle Situation bei den Zahnärzten angeht, ist diese nicht so dramatisch wie bei den Ärzten, sagte Schäfer im Gespräch mit den zm. Hingegen nimmt hier ein Aspekt zu: Beim zahnärztlichen Dienst gibt es viele Teilzeitstellen. Hier existiert eher das Problem, dass viele Bereiche wie etwa der Besuch von Elternabenden mit Teilzeitarbeitenden oft logistisch schwierig abzudecken seien.

Gute Gründe, um beim ÖDG zu arbeiten:

  • ein vielfältiges, breit aufgestelltes Arbeitsgebiet

  • k ein Routinejob, viele neue Herausforderungen, der Public-Health-Blick mit interdisziplinären Ansätzen

  • Beschäftigung mit der Prävention bei ganzen Bevölkerungsgruppen (statt Therapie von einzelnen Patienten in der Praxis)

  • Möglichkeiten zur Work-Life-Balance (wie Teilzeit, Home-Office)

Der BVÖGD hat zum Berufsbild jetzt auch eine neuehttps://www.bvoegd-mitten-im-leben.de/ - external-link-new-windowherausgegeben.

Bei der Eröffnungsansprache zum Kongress, der vom 26. bis zum 28. April dauert und zu dem rund 700 Teilnehmer nach Osnabrück gekommen waren, forderte die BVÖGD-Vorsitzende Teichert die Politik auf, die Aussagen im Koalitionsvertrag aufzugreifen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken. Jetzt gelte es, die Worte im Koalitionsvertrag mit Taten zu füllen, betonte sie. Erstmals bekenne sich auch der Bund an prominenter Stelle zu seiner Verantwortung für den ÖGD.

Ihr Aufruf: „Trotz Widerstand und widriger Umstände: Jetzt erst recht!" Ihre Forderung: Grundlagen für eine spätere Arbeit im ÖDG sollten schon im Studium greifen, in der Approbationsordnung sollte öffentliche Gesundheit als eigenes Fach aufgenommen werden und es brauche eine wissenschaftliche Verankerung in den Hochschulen.

Mischen Sie sich ein - werden Sie nicht müde!"

Bei der niedersächsischen Sozialministerin Dr. Carola Reimann (SPD) stießen die Forderungen der ÖGD-Ärzte auf offene Ohren. Personalmangel, Fachkräftegewinnung, ärztliche Versorgung auf dem Land - der ÖGD stehe vor vielen Herausforderungen. Auf der nächsten Konferenz der Gesundheitsminister (GMK) stehe die Vergütung auf der Agenda. Reimann sagte hier ihre Unterstützung zu.

Zahnmedizinisches Programm

Auf dem Kongress präsentierte sich der BZÖG mit einem gesonderten mehrtägigen zahnmedizinischen Programm. Im Fokus des ersten Tages standen zwei Themen.

Dr. Brigitte Brunner-Strepp, Leiterin des zahnmedizinischen Gesundheitsdienstes im Landkreis Osnabrück, gab einen Einblick in die Arbeit des Dienstes von 1987 bis heute. Gestartet ist das Team mit zwei Prophylaxefachkräften (PFK) und einem Zahnarzt. Heute arbeiten dort 17 PFK und zwei Zahnärzte, unterstützt von sechs Zahnärzten auf Honorarbasis. In der inhaltlichen Arbeit hat ein starker Wandel stattgefunden. Heute steht vor allem die Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen im Fokus. Eine Herausforderung stellt auch die Inklusion und der Anstieg von Kindern mit Migrationshintergrund dar. Die Gruppenprophylaxe hat sich in den Einrichtungen stark gewandelt. Anfangs ging man in Kitas und Schulen und arbeitete mit Diareihen („Vom Jörg, der Zahnweh hatte“, „Zahnputzfest am Nil“). Mittlerweile arbeitet das Team mit komplexen Maßnahmen, um die Kinder zur Zahngesundheit zu motivieren: Handpuppenarbeit, Pantomime, Musical, Clownerie, Mitmachgeschichten, Kaspertheater und Kamishibai-Theater. Elternarbeit, die Zusammenarbeit mit Familienzentren, Mutter-Kind-Gruppen und Krabbelgruppen, mit Netzwerken wie Frühen Hilfen nehmen viel Raum ein.

Wie die Ärzte beschäftigen sich auch die Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes intensiv mit der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Geschichte der Schulzahnärzte sowohl im NS-System als auch in den unmittelbaren Jahren darauf nur unvollständig erforscht. Dr. Wolfgang Kirchhoff, Marburg, hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von etlichen Biografien die komplexe Problemstellung darzulegen. In Osnabrück stellte er diehttps://www.zm-online.de/archiv/2018/7/gesellschaft/alfred-kantorowicz-wegbereiter-der-jugendzahnpflege/ - external-link-new-window www.zm-online.de/archiv/2018/7/gesellschaft/alfred-kantorowicz-wegbereiter-der-jugendzahnpflege/ - external-link-new-windowals Wegbereiter der Jugendzahnpflege heraus, der wegen seiner jüdischen Herkunft ins KZ kam und in Deutschland keine Zukunft mehr hatte.

Auch das vom BVÖGD in Arbeit befindliche Leitbild werde von der GMK sicherlich positiv aufgegriffen, prognostizierte sie. „Was in der Kindheit und Jugend angelegt wird, hat Einfluss auf das ganze Leben. Wir müssen Strategien entwickeln, die über die Gesundheit des Einzelnen hinausgehen. Mischen Sie sich ein - werden Sie nicht müde!"

Hier dockte der BZÖG-Vorsitzende Schäfer aus Sicht der Zahnmediziner an: Fingerspitzengefühl und Bevölkerungsbezug seien die Mittel, um nah an die Zielgruppen heranzukommen. "Die Kommunen würden schlecht dastehen, wenn der ÖGD sie nicht umsorgt. Man merkt nämlich erst, wie wichtig etwas ist, wenn man es vermisst."

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