Leserbrief

ZApprO – Nur ein Selbstzweck der Bürokratie?

Ulrich Stiemcke
Nachrichten
Leser Dr. Ulrich Stiemcke hat sich den Entwurf der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung im Detail zu Gemüte geführt - und kommt zu einem vernichtenden Urteil.

Leserbrief zum Beitrag:„Approbationsordung passiert das Kabinett: Endlich.“, zm 15–16/2017, S. 28.

Zunächst unterstellt die Überschrift, dass der Autor des Artikels der deutschen Rechtschreibung nicht vollständig mächtig ist; der Duden weist eindeutig aus, dass eine Überschrift generell nicht durch einen Punkt zu beenden ist. Bei der Lektüre des Artikels relativiert sich diese Sichtweise; offenbar soll hier eine bedingungslose Fortschrittsgläubigkeit heraus- und plakativ dargestellt werden. Als nächstes finden aus ihrem Kontext gerissene Zitate mitten im Text ihren Platz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich unser BZÄK-Präsident mit einer Formulierung profilieren möchte, die man einem Dentalvertreter im Verkaufsgespräch gerade noch durchgehen lassen möchte, die aber im Zusammenhang mit einer für den Berufsstand so bedeutsamen Regelung wie der Approbationsordnung geradezu lächerlich klingt.

Weiterhin ist die Aussage, dass nur durch diese Novelle eine akzeptable Ausbildung möglich ist, zumindest als sehr zweifelhaft zu werten. Oder ist es so, dass bis dato lediglich veraltetes Wissen in den Hörsälen weitergegeben wurde? Erlauben Sie mir, eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Es ist nicht alles schlecht, was alt ist und nicht jedwede Neuerung ist als vollständig gut zu betrachten. Im Artikel wird zunächst als großartiger Erfolg herausgestellt, dass die Novelle durch das Bundeskabinett beschlossen wurde. Woher hätte eine Ablehnung kommen sollen? Es entstehen keine Kosten für Krankenkassen oder Beihilfestellen, es ist keine wirklich relevante Bevölkerungsgruppe betroffen, kurz gesagt, das Vorhaben tut nicht weh, wird also klaglos durchgewunken.

Laut zm wurde die neue Approbationsordnung „beschlossen“. Die Pressemitteilung des Bundesministerium für Gesundheit lautet: „Das Bundeskabinett hat heute die Verordnung zur Neuregelung der zahnärztlichen Ausbildung zur Kenntnis genommen ...“, von einem Beschluss ist keine Rede. Auf jeden Fall lohnt sich ein Blick in das Werk. Augenfälligster Unterschied zur alten Ordnung ist der Umfang. Von 21 Seiten mit 64 Paragrafen und sechs Anlagen steigert sich die Ausführung auf 185 Seiten mit 142 Paragrafen und 27 Anlagen. Das Studium allein dieser Ordnung wird zukünftige Studenten zeitlich deutlich mehr als bisher beschäftigen.

"Jedes Detail ist genauestens beschrieben"

Die neue Approbationsordnung für Zahnärzte wird ein Musterbeispiel für Vereinfachung staatlicher Regelungen. Die Präzision der Ausarbeitung lässt besonderen Fleiß der Behördenmitarbeiter erkennen. Jedes Detail ist „genauestens“ beschrieben. So wird zum Beispiel herausgearbeitet, welche Folgen die jetzt nachzuweisende Erste-Hilfe-Ausbildung nach sich zieht: Dazu wird ein jährlicher Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger (gemeint sind Studenten (w/m)) angenommen. Die Fallzahl wird mit 1.600 bestimmt. Gemeint sind die Studenten (= Fälle), die nicht eine anderweitige vorangegangene Ausbildung nachweisen können und deswegen einen achtstündigen Kurs absolvieren müssen.

Der Gesamtzeitaufwand summiert sich somit zu 12 800 Stunden. Diese Zahl zu berechnen ist genauso sinnvoll wie festzustellen, welche Zeit die Summe der Autofahrer mit dem Anhören der Verkehrsmeldungen jeden Morgen insgesamt verbringt. Interessanter ist der finanzielle Aufwand pro Fall, das heißt, der Student zahlt für den Kurs 20 Euro; insgesamt bedeutet das, so wird es in der Approbationsordnung ausgewiesen, einen jährlichen Gesamtaufwand von 32 Tsd. Euro. Für wen ist letzteres Wissen relevant?

[...] Richtig spannend wird es dann auf den Seiten 154 bis 184. Hier folgen Texte wie „Anlage 12 wurde durch Artikel 4 Nr. 29 der Verordnung vom 17. Juli 2012 (BGBl. I S. 1539) neu gefasst. Die Änderung holt die hierzu erforderliche Folgeänderung nach.“ Da sich Klauseln wie diese dem normal denkenden Menschen nicht erschließen, nutzen sie also vermutlich nur Verwaltungsfachleuten und Juristen. Spätestens hier ist zu erkennen, dass die neue Approbationsordnung weniger den zukünftigen Studierenden, sondern vielmehr als Selbstzweck der Bürokratie dienen wird.

"Die Zahnmedizin ist, wie sie ist"

Die tatsächlich fachlichen Änderungen halten sich bei genauer Betrachtung doch eher im Rahmen. Das ist nicht verwunderlich, da die Zahnmedizin ist, wie sie ist und die Ausbildung dazu sich eben nur am derzeitigen Wissensstand orientieren kann. Die Neuverteilung der Prüfungen ist bestimmt zeitgemäß und die Forderung nach Heranführung an wissenschaftliches Arbeiten kann auch nicht falsch sein. Die ganzheitliche Behandlung unserer Patienten wird niemand mehr in Frage stellen. Jedoch wird an dieser Stelle übersehen, dass die Auftrennung z. B. von konservierender Behandlung und Prothetik zum einen didaktischer Art war – der Student tut sich mit der Präparation der ersten Krone vermutlich leichter, wenn er zuvor ausreichend Zeit hatte, sich mit dem Legen von Füllungen intensiv vertraut zu machen – zum anderen teilen wir in der täglichen Arbeit zwar nicht die Planung, aber doch die Ausführung nach konservierender und prothetischer Behandlung auf.

Als Hinweis auf diese Notwendigkeit möchte ich die ZE-Richtlinien zitieren, die explizit vorschreiben, dass die prothetische Behandlung erst nach abgeschlossener konservierender Vorbehandlung zu erfolgen hat.

Die Zusammenfassung von Fragestellungen zu Problemfeldern ist modern oder wird zumindest als fortschrittlich angesehen. Wir kennen die Thematik aus der Ausbildung unserer zahnmedizinischen Fachangestellten. Dort heißt das Zauberwort „Lernfelder“ und hat nicht die Spur der Verbesserung der Ausbildungsqualität unserer Angestellten gebracht.

Die Neugewichtung der Ausbildungsinhalte bedingt bei einseitiger Ausweitung Reduktion in anderen Bereichen. Die zahntechnischen Kenntnisse werden explizit reduziert und auf für Zahnärzte (m/w) erforderliche zahntechnische Arbeitsweisen konzentriert. Hier kommt jetzt die Zwischenfrage des Praktikers: Wie soll ich meinem Zahntechnikermeister erklären, wie der Zahnersatz im Detail anzufertigen ist, wenn ich zwar in Berufsfelderkundung oder Soziologie, aber unvollständig in zahntechnischem Wissen unterrichtet wurde?

"Es ist mir nicht vergönnt, der Euphorie des Autors zu verfallen"

Weiterhin ist zu beachten, dass die frühzeitige Heranführung an die Technik zum Vorteil für diejenigen Studenten gereichte, die eben nicht über das notwendige manuelle Geschick verfügten. Jeder von uns kennt ehemalige Studienkollegen, die nach der Propädeutik ihre Berufswahl korrigierten. Die Diskussion, ob sich die zahnärztliche Ausbildung der ärztlichen annähern soll, ist alt und wird kontrovers geführt. Nach der Abkehr vom Dentistenwesen will sich der Berufsstand als „akademisch geprägt sehen“. Bei der Annäherung der Ausbildungsinhalte sehe ich aber genau hier eine große Gefahr: Wegen des niedrigeren Numerus clausus werden findige Abiturienten sich zunächst auf den Zahnmedizinstudienplatz bewerben und dann bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ohne Probleme ins gewünschte Gebiet der Medizin wechseln. Das ist jetzt schon der Fall und wird, da durch die neuen Regelungen die Voraussetzung dafür verbessert werden, häufiger vorkommen.

Die ohnehin für die kommenden zwanzig Jahre zu erwartende, personell bedingte zahnärztliche Minderversorgung der Bevölkerung dürfte dadurch nochmals verschärft werden. Wenn dann die Anwerbung ausländischer Zahnärzte nicht funktioniert, bekommen wir in kürzester Zeit wieder den heute so verpönten Zahnarzt „light“ in Form des glücklich abgeschafften Dentisten mit dreijähriger Berufsausbildung.

Die Neufassung unserer Approbationsordnung war sicherlich überfällig. Andererseits versorgen Generationen nach der alten Ordnung ausgebildeter Zahnärzte unsere Mitbürger seit Jahrzehnten erfolgreich. Was wäre dann so falsch daran gewesen, die alte Approbationsordnung mit den Änderungen 1:1 zu übersetzen? Jetzt haben wir eine neue Ordnung, die sicherlich im Alltag Nachbesserungsbedarf bringen wird und so die Ministerialbürokratie für die nächsten Jahre mit Änderungen und Korrekturen beschäftigen wird. Vielleicht ist auch – viel einfacher als man denkt – genau hierin das primäre Ziel der Sache zu sehen. Nach diesen Ausführungen dürfte nachzuvollziehen sein, warum es mir nicht vergönnt ist, der Euphorie des Autors zu verfallen.

Dr. Ulrich Stiemcke,Pirmasens

Anmerkung der Redaktion:

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