Ein Echo erzeugen

Susanne Theisen
Gesellschaft
Wie können sich alte und sehr alte Menschen in die Gesellschaft einbringen - und wo muss die Gesellschaft auf sie zugehen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Heidelberger Altersforscherin Dr. Sonja Ehret.

Die Diplom-Gerontologin Dr. Sonja Ehret, 53 Jahre, lehrt und forscht am Institut für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Humanistische und die Philosophische Gerontologie. Im Interview mit zm-online erklärt sie, wie sich alte Menschen in die Gesellschaft einbringen können.

Frau Ehret, in Ihrer Forschung geht es unter anderem um die Stärken und Kräfte des Alters. Welche gehören dazu?

Sonja Ehret: Alte Menschen verfügen über etwas, das man als Lebensspannenkontextualismus bezeichnet: Sie überblicken das Leben und haben im Laufe der Jahrzehnte Gelassenheit erworben. Das liegt unter anderem an kognitiv-emotionalen Veränderungen: Gefühl und Denken verbinden sich besser im Alter, Impulsivität und Jähzorn verschwinden.

Eine weitere Stärke alter Menschen ist, dass sie in ihrem Leben eine Menge Wissen gesammelt haben. Diese Fähigkeiten muss man einfach nur abrufen. Ältere haben insbesondere ein Interesse am Dialog mit jüngeren Leuten. Eine alte Frau sagte mal zu mir, wenn man so lange gelebt habe wie sie, müsse man irgendetwas gelernt und verstanden haben. Das wollte sie gerne weitergeben. 

Funktioniert das auch mit Demenz?

Auf jeden Fall. Im Rahmen einer Studie mit Menschen, die an leichter bis mittelstarker Demenz erkrankt sind, habe ich dazu wunderbare Beispiele erlebt. Eine Bewohnerin, die gerne Krankenschwester geworden wäre, stellt sich beispielsweise zur Verfügung, damit die jungen Schwestern an ihr üben können, wie man Spritzen setzt. Andere musizieren oder gehen mit ihren Mitbewohnern spazieren. Es braucht gute Pflegekonzepte, um zu erkennen, wo jemand noch mitverantwortlich sein und wie man ihn in die Gemeinschaft einbinden kann. 

Wie kann man alte Menschen für die Gemeinschaft aktivieren?

Indem man die zentralen Themen in ihrem Lebenslauf herausfindet, die bei jedem anders sind. Eine Frau hat mir beispielsweise einmal gesagt, dass Musik, insbesondere das Orgelspiel, immer ihr Leben war. Das hat sie dann auch von der Jugend bis ins Alter durchgezogen. Wenn man alte Menschen an diesen Themen fassen kann, sind sie wieder völlig da, sind wieder in der Welt und können uns noch etwas geben.

Hat es sich nicht langsam herumgesprochen, dass Senioren eine wichtige gesellschaftliche Ressource sind?

Die 60- bis 70-Jährigen werden schon eingebunden, aber wenn es dann mal ins hohe Alter geht, so ab 80 Jahren, hört das auf. Ein Grund ist, dass hoch betagte Menschen meistens nicht mehr mobil sind und man deshalb zu ihnen kommen muss. Viele von ihnen können im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr von selbst in die Gesellschaft hineingehen. 

Andersherum gefragt: Tun alte Menschen genug, damit ihr Potenzial gesehen wird?

Das tun sie wohl nicht mehr. Manche sagen, sie verstehen vieles nicht mehr: Wörter verändern sich, die Digitalisierung ist schwierig für sie - die Welt generell verändert sich natürlich. Man bräuchte sehr viel Kraft, um sich in dem großen Medienrauschen bemerkbar zu machen. Das ist sehr schwer und gelingt, glaube ich, nur den wenigsten Alten. Es könnte aber besser gelingen, wenn die Alten merken würden,sie werden noch gebraucht. 

Wie kann man die Stärken alter Menschen ganz konkret nutzen?

Wir vom gerontologischen Institut regen gerade neue intergenerationelle Projekte an. Wir möchten mit Volkshochschulen und Schulen kooperieren und vor allen Dingen die Phasen Alter und Kindheit wieder miteinander verbinden. Ein alter Mann hat einmal zu mir gesagt: „Die Jungen brauchen doch Vorbilder, sonst kann kein Echo kommen.“ Damit die Jungen ein Echo zeigen können, müssen die Alten sich erst einmal zeigen. Dazu wollen wir beitragen.

Die Fragen stellte Susanne Theisen, freie Journalistin in Berlin. Zum Thema "Kulturen des Alterns" erscheint ein ausführlicher Beitrag in zm 3/2014.

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