"Ideal wäre eine Supernanny"

ck/dpa
Gesellschaft
Kinder, die hungrig in die Schule gehen. Fünftklässler, die nur mit Müh und Not lesen und schreiben können. Oder für die ein Besuch im Freibad zu teuer ist - Kinderarmut in Deutschland hat viele Gesichter.

Nach einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) sehen fast zwei Drittel der Deutschen Kinderarmut als Problem. Seit Jahren wird auch öffentlich darüber diskutiert, doch eine dauerhaft erfolgreiche Strategie hat die Politik noch nicht gefunden. Aus Sicht von Praktikern und Experten wird Kinderarmut schlicht verdrängt. 

Mehr als wenig Geld zu haben

Der Politikwissenschaftler und Autor Christoph Butterwegge etwa befürchtet, "dass die Bekämpfung der Kinderarmut ein Stiefkind der Regierungspolitik bleibt". Wahlversprechen wie das Ganztagsschulprogramm der SPD seien von der Agenda verschwunden, kritisiert der Kölner Professor, für den Armut mehr bedeutet, als wenig Geld zu haben. Für Kinder und Jugendliche heiße Armut auch, nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. 

"Die Politik zieht sich komplett zurück. Kinder sind eben keine Wähler. Außerdem kostet die Bekämpfung der Armut Geld", beklagt auch der Sprecher des Kinder- und Jugendwerks "Arche", Wolfgang Büscher. Positiv sei aber, dass die Bevölkerung erkannt habe, dass etwas getan werden müsse, sagt er mit Blick auf die Studie. Das Bundessozialministerium will sie erst nach einer Auswertung kommentieren. 

In der Untersuchung spricht sich eine Mehrheit der Befragten (86 bis 94 Prozent) für kostenlose Bücher, Lehrmittel, Mahlzeiten und mehr Sozialarbeiter in Schulen aus. 66 Prozent wären sogar bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn das Geld das Armutsproblem lindern würde. Das DKHW fordert einen nationalen Aktionsplan mit einer einheitlichen Grundsicherung für alle Kinder und Jobs, die eine Familie ernähren können. Nach Angaben des Kinderhilfswerks leben 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien, die weniger als 60 Prozent des Durchschnitts-Nettoeinkommens zur Verfügung haben. 

Den Reichtum besteuern

Das DKHW habe richtig erkannt, dass eine Gegenstrategie mehrdimensional angelegt sein müsse, betont Forscher Butterwegge. Denn Kinderarmut habe verschiedene Ursachen. Angesetzt werden müsse nicht nur an der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, sondern in fast allen Bereichen: Bildung, Soziales, Familie, Gesundheit, Steuern und Finanzen. "Wer die Kinderarmut wirksam bekämpfen will, muss den Reichtum stärker besteuern", fordert der Wissenschaftler. 

"Es ist genügend Geld vorhanden. Ein Einnahmeproblem haben Bund, Länder und Gemeinden keinesfalls. Problematisch ist ihr Umgang mit Ausgaben", sagt hingegen der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. Jahr für Jahr fließe mehr Geld in die Familien- und Sozialpolitik - doch offensichtlich würden die Probleme dadurch nicht beseitigt. 

Klarer Arbeitsauftrag an die Bundesregierung

Der Paritätische Gesamtverband bewertet die Studie als "klaren Auftrag der Bevölkerung an die Bundesregierung, das Thema Kinderarmut entschlossen anzupacken". Doch ob Taten folgen werden, ist fraglich. "Seit Ende der 1990er Jahre ist das Thema immer wieder in der Diskussion. Immer wieder kommen neue Berichte heraus", sagt die Sozial- und Wirtschaftshistorikerin Eva Reichwein, die Kinderarmut in der Bundesrepublik für ihr Buch seit der Nachkriegszeit beleuchtet hat. "Eigentlich ist es ein altes Problem, das schon immer da war, wenn auch schwankend. Aber es wird wenig getan", sagt Reichwein. 

Mehr Geld für die Eltern - nicht unbedingt die beste Lösung

Für Wolfgang Büscher, der im Berliner Bezirk Hellersdorf täglich mit benachteiligten Kindern zu tun hat, ist mehr Geld für die Eltern nicht unbedingt eine Lösung. Viel wichtiger sei gut ausgebildetes Personal in Kitas, Schulen und in der Sozialarbeit. "Ideal wäre eine Super-Nanny", sagt Büscher mit Blick auf die aus dem Fernsehen bekannte Familienhilfe. Statt wie ein Jugendamtsmitarbeiter, der oft für 100 und mehr Familien zuständig ist, solle eine "Super-Nanny" nur drei Familien betreuen. "Das ist teuer, aber billiger als volle Gefängnisse", sagt Büscher. 

von Anja Sokolow und Ulrike von Leszczynski, dpa

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