Kein Platz im Frauenhaus

eb/dpa
Gesellschaft
Über Gewalt in den eigenen vier Wänden wird meist geschwiegen. Meist sind Frauen die Opfer, in Frauenhäusern bekommen sie Hilfe. Doch der Mangel an bezahlbaren Wohnungen macht das schwierig.

Für Susanne war der Schritt ein Befreiungsschlag. Nach fast zehn Jahren hat die 36-Jährige endlich einen Ausweg gefunden und ihren gewalttätigen Mann verlassen. Jahrelang hatte er sie und ihr ältestes Kind brutal misshandelt. Er wollte sie totschlagen, falls sie jemandem davon erzählt. "Irgendwann habe ich das geglaubt und mich ganz ruhig verhalten." 

Jahre später wird sie mutiger: Sie schickt ihren Sohn mit den blauen Flecken und Verletzungen in den Kindergarten. "Es war ein Hilfeschrei von hinten durch die Brust ins Auge", sagt sie heute, viele Monate später. Ihr Plan geht auf, die Maschinerie läuft an: Noch am selben Tag zieht Susanne mit ihren Kindern ins Frauenhaus. Sie ist eine von durchschnittlich 2000 Frauen im Jahr, die alleine in Bayern vor häuslicher Gewalt in eine solche Einrichtung flüchten. 

Immer wieder müssen Frauen abgewiesen werden

Und sie hatte Glück. Glück, dass in dem Haus gerade ein Platz frei war. "Wir mussten im vergangenen Jahr 55 Frauen abweisen", sagt die Leiterin des Frauenhauses in Schweinfurt, Gertrud Schätzlein. 58 von Gewalt bedrohte Frauen und ihre Kinder wohnten 2012 insgesamt in dem Haus, 46 von ihnen wurden in dieser Zeit neu aufgenommen. 

Dass auch Susanne diese Hilfe einmal brauchen würde, hätte sie nicht für möglich gehalten. "Als wir ganz frisch zusammen waren, war er mein Ritter in der glänzenden Rüstung." Doch schon kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes wurde er eifersüchtig und jähzornig. Seine Wut richtete sich vor allem gegen den Säugling. "Er hat viel geschimpft, gebrüllt, das Kind auf das Bett geworfen, es geschlagen. Ich habe es auf die zu kleine Wohnung geschoben." 

Die Bewohnerinnen sollen sich sicher fühlen

Die Bewohnerinnen des Frauenhauses entsprechen keinem einheitlichen Bild: "Gewalt kommt in allen Schichten vor", sagt Monika Meier-Pojda, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege für den Bereich Frauen. Statistisch leidet jede dritte Frau unter häuslicher Gewalt. 

Fast ein Jahr lang wohnt Susanne in der Einrichtung. Sie teilt sich die voll möblierte Drei-Zimmer-Wohnung mit einer anderen Frau. Vom Balkon aus kann sie in den Garten mit Wippe, Sandkasten und einem Holzhäuschen schauen. Im Erdgeschoss ist das Büro. Dort ist tagsüber immer eine Mitarbeiterin da, rund um die Uhr gibt es eine Rufbereitschaft. Die Bewohnerinnen sollen sich sicher fühlen. 

Die Adresse muss geheim bleiben

Mit dem Einzug gibt es deshalb klare Anweisungen. Die Wichtigste: Die Adresse des Hauses dürfen die Frauen niemals weitergeben. "Es kommt vor, dass verlassene Männer am Zaun rütteln. Aber selten", berichtet Schätzlein. Wesentlich häufiger klingelt die Polizei. Sie begleitet hilfesuchende Frauen zur rettenden Adresse. Manche kommen ganz ohne Gepäck, nur die Kinder an der Hand. 

In ihrem kurzzeitigen Zuhause wartet dann meist eine Klappkiste mit Nudeln, Tee, Wasser, Milch, Keksen, einer Dose Ravioli, Butter, Marmelade, Knäckebrot und Kaffee. "Das ist die Notversorgung für die erste Nacht", sagt die Hausleiterin. Die freien Betten sind stets frisch bezogen, im Keller finden sich Kleidung für Frauen und Kinder - Sachspenden von fürsorglichen Bürgern. Für die Wohnung müssen die Frauen zwischen 300 und 350 Euro Miete im Monat zahlen. Wenn sie kein Geld haben, zahlt die Arbeitsagentur. 

Sie dürfen so lange bleiben, bis sie wieder psychisch stabil sind. Ein Frauenhausplatz wird durchschnittlich viermal im Jahr neu belegt. "Die bayerischen Richtlinien gehen von durchschnittlich etwa sechs Wochen aus, also fünf bis sechs Wechseln im Jahr", sagt Schätzlein und Susanne schüttelt dazu verständnislos den Kopf. Sechs Wochen hätten ihr nicht gereicht. 

Es gibt zu wenig bezahlbare Wohnungen

Außerdem verzögert die Wohnungssuche den Auszug. Bezahlbare Wohnungen für allein erziehende Frauen in einer kinderfreundlichen Gegend sind schwer zu bekommen. Das ist nicht nur in Großstädten so. Hinzu kommen die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während Bremen durchschnittlich 3,63 Frauenhausplätze pro 10.000 Einwohnerinnen vorhält, sind es in Bayern nur 1,17. Das ergab eine Studie der Bundesregierung. Nur das Saarland bietet im Vergleich mit 1,05 Plätzen noch weniger. 

Heute blickt Susanne mit Abstand auf ihre Ehe zurück. "Die Scheidung ist eingereicht", sagt sie mit einem stolzen Lächeln. Sie hofft, dass andere Frauen früher als sie den Mut finden, sich Hilfe zu suchen. Für sie war es die Rettung: "Ich fühle mich wieder als Frau und Mutter - nicht mehr als Putzfrau, Hure und Kindermädchen."

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