BARMER Zahnreport

"Ein Drittel der Zwölfjährigen hat Karies im bleibenden Gebiss"

pr
Die Zahngesundheit bei Kindern ist in Deutschland längst nicht so gut, wie bislang angenommen. So lautet das Ergebnis des heute veröffentlichten BARMER Zahnreports. Für die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) sind die Daten im Report jedoch nur eingeschränkt für eine repräsentative Beurteilung verwendbar.

Ein Drittel der 12-Jährigen in Deutschland hat bereits Karies im bleibenden Gebiss. Das geht aus dem heute vorgestellten BARMER Zahnreport zur Zahngesundheit bei Kindern und Jugendlichen - 12-Jährigen - in Deutschland hervor. Bislang sei man davon ausgegangen, dass Karies in der Altersgruppe etwa jeden Fünften betrifft. Somit sei Karies bei Kindern deutlich unterschätzt worden, so der Report. Demnach wurde im Jahr 2018 Karies bereits bei 33 Prozent der 12-Jährigen, also rund 240.000 Kindern, behandelt.

Ausgewertet wurden nur Abrechnungsdaten der BARMER

Im Zahnreport werden Abrechnungsdaten ausschließlich von BARMER-Versicherten genutzt, stellen BZÄK und KZBV in einer sofortigen Reaktion nach der Pressekonferenz dazu fest. Diese Daten könnten nur eingeschränkt für eine allgemeine oder gar bundesweit repräsentative Beurteilung verwendet werden, argumentieren sie in ihrer Stellungnahme.

Die BARMER moniert einen deutlichen Unterschied (67 Prozent gegenüber 81 Prozent Kariesfreiheit bei 12-Jährigen) zu den bevölkerungsweiten und repräsentativen Studien des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) und der epidemiologischen Begleituntersuchung für Gruppenprophylaxe der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ). Dies liege in den unterschiedlichen Stichproben: bevölkerungsrepräsentativ versus ausschließlich BARMER-Versicherte.

15 Prozent der Kinder hatten gar keinen Kontakt zum Zahnarzt

Zu den Inhalten des Reports: Der Anteil der Kinder, die über einen Zeitraum von sechs Jahren überhaupt keinen Kontakt zu einem Zahnarzt gehabt hatten, ist laut BARMER Zahnreport sehr hoch. Bei den Kindern unter sechs Jahren sind es demnach sogar mehr als 15 Prozent. Von den 4,6 Millionen Kindern unter sechs Jahren sind den Zahlen zufolge also 720.000 nie beim Zahnarzt gewesen.

Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, schließt daraus, dass Zahnpflege nicht erst im bleibenden Gebiss beginnen dürfe, sondern schon bei den Milchzähnen zur täglichen Routine gehören sollte. „Dass hier offenbar deutliche Defizite bestehen, zeigt unser Zahnreport sehr eindrücklich“, erklärte er vor der Presse. „Das beste Mittel gegen Karies ist immer noch die Prävention.“

Wenige Kinder und Jugendliche haben besonders viel Karies

Der Report hat, wie in vielen Industrie- und Schwellenländern geschehen, auch in Deutschland eine zunehmende Polarisierung der Karies festgestellt. Wenige Kinder und Jugendliche haben besonders viel Karies. Das zeigt sich, wenn man in der Gruppe der unter 18-Jährigen die zehn Prozent betrachtet, die die meisten Therapiekosten verursachen. Die Zahlen aus dem Report dazu: Im Jahr 2010 zogen sie 78,7 Prozent der Therapiekosten auf sich, während es im Jahr 2018 bereits 85,2 Prozent waren.

Je weniger die Eltern verdienen, desto mehr Karies haben die Kinder

Ferner hat der Report einen Zusammenhang zwischen dem Therapiebedarf der Heranwachsenden unter 18 Jahre und dem Einkommen von Vater oder Mutter festgestellt. Dies basierte auf einer Analyse von bei der BARMER versicherten Eltern. Je geringer deren Einkommen, desto häufiger seien auch die Therapieleistungen bei Heranwachsenden, so das Ergebnis.  

Straub bilanzierte, dass vor allem diese Karies-Risikogruppe erreicht werden müsse: „Gerade bei ihnen ist unter anderem eine gute Mundhygiene besonders wichtig. Dazu gehört neben gründlichem Zähneputzen und dem Einsatz von Zahnseide auch der regelmäßige Kontrollbesuch beim Zahnarzt. Doch genau an dieser Stelle hapert es.“

Vorn liegt das Saarland, hinten Hamburg

Ein weiteres Ergebnis des Zahnreports: Er hat bei der Zahngesundheit von Kindern deutliche regionale Unterschiede festgestellt. Die 12-Jährigen im Saarland haben demnach beispielsweise am wenigsten Karies im bleibenden Gebiss. 69,3 Prozent von ihnen hatten noch keine Versorgung. In Bremen sind es 68,7 Prozent, in Rheinland-Pfalz immer noch 68,1 Prozent, Schlusslicht ist Hamburg mit 60,9 Prozent.

Die Ursachen dieser regionalen Besonderheiten sind dem Report zufolge medizinisch unklar. Es seien weitere Untersuchungen erforderlich, auch mit Blick auf mögliche regionale Unterschiede bei der Präventionsarbeit in Kitas und Schulen. Straub empfiehlt: „Falls es hier Best-Practice-Beispiele gibt, sollte geprüft werden, inwieweit diese auf andere Einrichtungen oder Regionen übertragbar sind.“

Epidemiologische Studien versus Analysen von Kassendaten

Der Autor des BARMER Zahnreports, Prof. Dr. Michael Walter von der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der TU Dresden, ging vor der Presse auf den Aspekt unterschiedlicher Studienlagen ein: Bei epidemiologischen Studien (wie etwa der DMS-Studien des IDZ) würden repräsentative Stichproben gezogen. Die dabei häufig durchgeführte zahnärztliche Untersuchung ermögliche es, im Vorfeld festgelegte Befunde zu erheben. Anfällig seien solche Studien allerdings bezüglich des Anteils von Personen, die zu der Stichprobe gehören, aber nicht an der Untersuchung teilnehmen. Walter zufolge ist so eine Verzerrung der Ergebnisse möglich.

Ein völlig anderer Ansatz seien Analysen von Krankenkassendaten, die primär nicht dazu erhoben werden, um wissenschaftliche Studien durchzuführen. Sie dienten unter anderem der Abrechnung zahnärztlicher Leistungen. Die Schwächen lägen hier in Datenunschärfen und -ungenauigkeiten. Andererseits könnten alle Versicherten erfasst werden. „Welche Studie letztlich näher an der Realität liegt, kann im Einzelfall nur vermutet werden. Bei den aktuellen Ergebnissen gehen wir davon aus, dass die Daten der BARMER die Karieserfahrung bei Kindern und Jugendlichen realitätsnah abbilden,“ zeigte sich Walter überzeugt.

Walters Bilanz:

  • Es gibt eine deutlich unterschätzte Karies im Kindesalter.

  • Nur gut zwei Drittel der Kinder sind mit zwölf Jahren noch ohne invasive zahnärztliche Behandlungen im bleibenden Gebiss.

  • Karies im Milchgebiss ist immer noch alarmierend.

  • Nur 38 Prozent der 10-Jährigen sind ohne Erfahrung „mit Bohrer oder Zange“.

  • Begrenzt haltbare Fissurenversiegelungen. Kariesreduktion wird aber erreicht.

Der Autor referierte, dass dem Report zufolge Kinder oftmals bereits im Milchgebiss Karies hätten. 54 Prozent der 10-Jhrigen in Deutschland, also rund 400.000 Kinder, hätten hier schon eine Kariesbehandlung benötigt. Diese Zahlen seien nicht nur aufgrund der Quantität alarmierend. Wer schon im Milchgebiss Karies hat, werde oft auch Karies und Folgeschäden im bleibenden Gebiss haben.

Fissurenversiegelungen halten nicht so lange wie erwartet ...

Eine Schutzmaßnahme gegen Karies in den bleibenden Backenzähnen sei die Fissurenversiegelung, so Walter weiter. Allerdings hielten nur 35,3 Prozent der erstmaligen Versiegelungen bei Heranwachsenden länger als neun Jahre. „Die Haltbarkeit von Fissurenversiegelungen ist geringer als erwartet und bedarf der regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolle. Das eigentliche Ziel, eine Karies zu vermeiden, wird aber auf lange Sicht offensichtlich zumeist erreicht“, sagte Walter.

So habe sich nur bei 15,7 Prozent der erstversiegelten Fissuren innerhalb von neun Jahren Karies gebildet, so dass eine Füllung erfolgen musste. In über 80 Prozent der Fälle habe eine Versiegelung eine Füllung aufgrund von Kariestherapie mindestens neun Jahre lang verhindern können.

... verhindern aber trotzdem Karies

Datenbasis des Standardteils des BARMER Zahnreports sind Routinedaten der BARMER der Jahre 2010 bis 2018. Dem zugrunde liegen Informationen zur vertragszahnärztlichen Versorgung von etwa 9,13 Millionen Versicherten der BARMER, die einem Anteil von knapp 12,5 Prozent aller GKV-Versicherten entsprechen. Bezogen auf die deutsche Bevölkerung wird ein Anteilswert von 10,9 Prozent erreicht.

KZBV und BZÄK zum BARMER Zahnreport

KZBV und BZÄK zum BARMER Zahnreport

Wissenschaftliche Stellungnahme des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ): Fehlschluss: Das Problem der Karies wird nicht unterschätzt!

Wissenschaftliche Stellungnahme des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ):

Fehlschluss: Das Problem der Karies wird nicht unterschätzt!

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Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland:

Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland:

Quelle: BZÄK und KZBV

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