Karte mit Komplikationen

Hanna Hergt
Praxis
Warum die elektronische Gesundheitskarte Zahnärzten bislang wenig nutzt, erläutert Dr. Burkhard Branding, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL).

Ab Januar kommenden Jahres gilt nur noch die elektronische Gesundheitskarte. Welche Erfahrungen haben Zahnärzte bislang damit gemacht?

Dr. Burkhard Branding: Die elektronische Gesundheitskarte funktioniert in fast allen Fällen problemlos. Was zurzeit in den Zahnarztpraxen aufläuft, ist natürlich noch ein Gemisch aus wenigen Krankenversicherten- und vielen elektronischen Gesundheitskarten.

Es gibt einige Versicherungen, die noch nicht alle Mitglieder damit ausgestattet haben, insofern kommen immer noch Patienten mit der alten Karte. Wenn sie aber im neuen Jahr keinen gültigen Versicherungsnachweis beibringen können, werden Patienten eine Privatrechnung erhalten.

Gibt es in der Grenzregion zwischen den Kassengebieten Nordrhein und Westfalen-Lippe Probleme? Was ist etwa mit Patienten aus Essen, die in Bochum zum Zahnarzt gehen, und umgekehrt?

Es existieren „nur“ die üblichen Probleme, dass eine Karte nicht einlesbar, verschmutzt, zum Beispiel zu nah an einem starken Magnetfeld gewesen oder beschädigt ist. Natürlich werden Karten auch gestohlen oder weitergegeben. Aber diese Schwierigkeiten kennen wir genauso gut von der Krankenversichertenkarte, das ist auch regional nichts Besonderes. Und im Normalfall gibt es überhaupt keine Probleme.

Dank Lichtbild und Gültigkeitsprüfung bietet die neue Karte mehr Sicherheit. Kritiker bemängeln, dass darüber hinaus aber noch keine Zusatzfunktionen verfügbar seien. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Die Karte wird erst mit den sogenannten Mehrwertfunktionen größeren Nutzen stiften. Dabei steht an allererster Stelle das Notfalldatenmanagement, bei dem man leider nicht an die Zahnärzte gedacht hat - im ganzen Szenario ist bis dato noch nicht vorgesehen, dass Zahnärzte auf diese Daten zugreifen können. Bislang sollen diese nur Ärzte mit dem elektronischen Heilberufsausweis einsehen können - wenn die Daten denn auf der Karte gespeichert sind. Im Moment steht noch nichts „Neues“ auf der Karte. Zurzeit wird der Notfalldatensatz in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Münster getestet.

Und was plant die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) hier?

Gerade ist die gematik erst einmal damit beschäftigt, überhaupt sicherzustellen, dass ein Notfalldatensatz im zweiten Erprobungsschritt auf die Karte kommt. Wenn so ein Datensatz dann auf der Karte ist, tun sich allerdings ganz andere Probleme auf: Wie verbindlich ist er? Gibt es irgendwelche Dinge, die der Arzt unbedingt beachten muss? Wer garantiert ihm, dass die Vorgaben stimmen? Was passiert, wenn er diese Daten ignoriert oder nicht einlesen kann? Und wer sorgt dafür, dass diese Daten noch aktuell sind - etwa bei Patienten, die möglicherweise häufig wichtige Medikamente wechseln?

Wie weit gediehen sind denn die Bemühungen, die Versichertenstammdaten online zu überprüfen und zu aktualisieren sowie die qualifizierte elektronische Signatur einzuführen?

Das soll in ausgesuchten und beteiligten Praxen ab etwa dem dritten/vierten Quartal 2015 im Echtbetrieb getestet werden. In Westfalen-Lippe könnten sich Aufbau und Test einer Telematik-Infrastruktur aber zumindest im zahnärztlichen Bereich technisch sehr schwierig gestalten. Denn im ursprünglichen Testszenario wurden die Zahnärzte mit ihrem vorhandenen Netz schlicht nicht berücksichtigt.

Die gematik hat das jetzt aber über die Gesellschafterversammlung zur Kenntnis genommen und empfohlen, das Bestandsnetz der KZV Westfalen-Lippe zumindest technisch darauf hin zu überprüfen, ob es ähnlich angebunden werden kann wie das KV Safenet der Ärzte, das schon Testbestandteil ist.

Ist das für die Praxen, die für die Tests ausgewählt wurden, eine große Belastung?

Erstens müssen die Praxen natürlich in den EDV-Komponenten einiges ändern. Es ist nicht damit getan, dass man neue oder zusätzliche Geräte in die Praxis stellt und die Karten einliest. Die Praxen müssen ihre ganze EDV anpassen, es müssen Sicherheitschecks erfolgen, diverse elektronische Karten sind erforderlich.

Der Praxisinhaber muss sich zum Beispiel über seinen Heilberufsausweis verifizieren, den er aber aktuell noch nicht hat. Die Praxis selbst braucht einen elektronischen Ausweis, damit die Telematik weiß, dass diese Praxis am Test teilnimmt - oder später im Betrieb zugelassen ist. Insgesamt muss über mehrere Stufen die Datensicherheit an allen Stellen gewährleistet werden.

Machen denn die unterschiedlichen Voraussetzungen der Praxen Probleme?

Es hängt natürlich sehr davon ab, wo sich die Praxis befindet und wie sie technisch überhaupt ausgestattet ist. Ist das eine Praxis, die nur über einen Rechner in der Anmeldung verfügt? Oder ist das eine Praxis mit mehreren Behandlungszimmern, wo in jedem Raum ein Terminal steht, zusätzliche Geräte im Netz eingebunden sind und technisch komplexe Netzwerkstrukturen berücksichtigt werden müssen? Ist das eine Praxis in einer Großstadt mit einer guten Leitungsanbindung? Oder befindet sie sich auf dem platten Land, beispielsweise in Flächenregionen, wo gerade mal ISDN-Geschwindigkeiten verfügbar sind?

In der Testregion Bochum-Essen - beziehungsweise überhaupt bei den Praxen, die bislang für Westfalen-Lippe ausgewählt wurden -, gibt es nur einen begrenzten Mix unterschiedlicher Konfigurationen. Praxen, die kaum EDV-Ausstattung oder eine schlechte Internetanbindung haben, sind momentan so gut wie nicht in die Tests einbezogen. Das kann natürlich später im Echtbetrieb entsprechende Probleme bereiten.

Elektronisches Rezept oder elektronische Patientenakten sind noch Zukunftsmusik. Warum dauert die Entwicklung von wirklich wegweisenden Funktionen so lange?

Weil es sich um ein sehr komplexes System mit weitreichenden Rechtsfolgen handelt. Zunächst muss man sich auf ein Datenformat einigen. Im Grunde genommen stellt jedes Praxis- oder Klinikverwaltungssystem eine eigene Computerplattform dar. Und zwischen diesen Systemen muss es ein Austauschformat geben, das von allen eingelesen und in die eigenen EDV-Vorgänge implementiert werden kann.

Das zweite ist: Die Hersteller dieser Systeme haben sich bislang voneinander abgeschottet. Aber nur über eine gemeinsame Schnittstelle, die allen zugänglich und damit lesbar ist, können Dokumente verschickt und in die eigenen Akten übernommen werden.

Hinzu kommen die erwähnten rechtlichen Probleme: Was passiert bei Falscheingaben? Wer ist dafür verantwortlich zu machen? Was geschieht, wenn ein Patient beispielsweise einen Eintrag auf seiner Karte hat, der nicht mehr aktuell ist - und im Ernstfall lebensbedrohliche Konsequenzen hat? Kann ich mich als Arzt darauf verlassen, was auf der Karte hinterlegt ist? Muss ich das in jedem Fall berücksichtigen? Was kommt auf mich zu, wenn ich das nicht tue? All diese Dinge sind im Moment noch ungeklärt.

Woran krankt die Umsetzung vor allem?

In Westfalen-Lippe haben wir zum Beispiel ein gesichertes internes Netz für die Zahnärzteschaft mit einer Abdeckung von 94 bis zu 96 Prozent je nach Abrechnungsart. Das weist eine ähnliche Struktur auf, wie es die gematik für die gesamte Ärzte- und Zahnärzteschaft in Deutschland implementieren will, nur im kleineren Bereich natürlich. Eine Steckkarte - ähnlich wie der Heilberufsausweis - und ein EDV-Tunnel, das sogenannte VPN, sichern es im Internet ab. Über diesen Tunnel können wir untereinander kommunizieren, aber ein Zugriff von außen ist nicht möglich.

Vergleichbares will die gematik für ganz Deutschland im Gesundheitswesen einführen. Wenn aber schon so gesicherte Verbindungen - auch in anderen Praxisverbänden - existieren, gibt es häufig Probleme. Man hat hier etwas zu sehr ausgehend von einer „Grünen Wiese“ gedacht und völlig vergessen, dass gesicherte Netze in Krankenhäusern und Praxen mittlerweile bereits technisch vielfältig existieren. Jetzt versucht man das mit der Telematik-Infrastruktur auf einen Nenner zu bringen.

Wie sehen die Zahnärzte die Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte?

Die Zahnärzteschaft hat bislang so gut wie keinen zusätzlichen Nutzen davon. Außerdem ist etwa der Austausch elektronischer Patientenakten für Zahnärzte nur in wenigen Fällen interessant. Das elektronische Rezept könnte es schon eher sein, aber im Moment steht das noch nicht auf der Agenda. Und beim Notfalldatensatz hoffen wir, dass dieser dann auch für die Zahnärzte zugänglich sein wird.

Und worauf müssen Patienten achten?

Für Patienten ist wichtig, dass die Telematik-Infrastruktur datensicher vor unbefugtem Zugriff gestaltet ist. Sie sollten weiter die Möglichkeit haben, zu sehen, inwieweit ihre Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte überhaupt erfasst, ob diese korrekt sind oder dort zum Beispiel etwas steht, das nicht mehr aktuell ist.

Das kann ja alles noch Jahre dauern...

Im Sozialgesetzbuch V war die Rede davon, dass die Krankenversichertenkarten 2006 gegen die elektronischen Gesundheitskarten ausgetauscht werden sollten. Wir haben jetzt Ende 2014 und gerade einmal ein gutes Jahr damit hinter uns. Wenn die Tests 2015 zufriedenstellend laufen sollten, dann könnten wir frühestens 2017 mit einer flächendeckenden Einführung rechnen. Und das einzige, was voraussichtlich dann funktionieren wird, ist der Versichertenstammdatenabgleich, eigentlich eine originäre Aufgabe der Krankenkassen, nicht der Ärzteschaft.

Und natürlich die qualifizierte elektronische Signatur. Aber die brauchen Ärzte oder Zahnärzte eigentlich nur, um Dokumente elektronisch zu unterschreiben, zum Beispiel für die Abrechnung. Das geht auch jetzt bereits schon in gesicherten Netzen. Notfalldatensatz, elektronisches Rezept und elektronische Gesundheitsakten werden vermutlich noch erheblich länger auf sich warten lassen.

Die Fragen stellte Hanna Hergt, Volkswirtin und Fachautorin.

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