Leitlinien: Helfen oder gängeln sie?

sf/pm
Zahnmedizin
Zusammen mit anderen Fachgesellschaften hat die Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich (DGI) acht Leitlinien für die Implantologie auf den Weg gebracht. Ihre Bedeutung für die tägliche Praxis stand im Mittelpunkt des DGI-Sommersymposiums 2016 in Kassel.

Was Leitlinien betrifft, scheint der zahnärztliche Berufsstand gespalten. Die einen fühlen sich reglementiert und gegängelt, die anderen konstruktiv informiert und auf dem Weg zur Therapieentscheidung gut geleitet. Das zeigten auch die Statements der Referenten auf dem DGI-Symposium.

Contra: nicht justiziabel und unvollständig votiert 

So stellte Priv. Dozent Dr. Dietmar Weng (Starnberg), seines Zeichens DGI-Vizepräsident, in Frage, ob Leitlinien überhaupt einen Mehrwert bieten können. Schließlich seien sie ja nicht justiziabel. Argumentiert der Behandler vor Gericht, er habe auf Grundlage einer Leitlinie gehandelt, habe er damit keinen Erfolg. Weng kritisierte zudem am Beispiel der Trauma-Leitlinie (2015), dass der Experte Dr. Yango Pohl - laut Weng der „Traumapabst“ in Deutschland - letztlich im Konsensusprozess zur Leitlinie gar nicht stimmberechtigt gewesen sei, da er aufgrund von Interessenkonflikten von der Abstimmung ausgeschlossen wurde. Somit würde die Empfehlung der Leitlinie mitunter nicht auf dem Votum des Fachmannes basieren, der mit der entsprechenden Thematik die meiste Erfahrung hat.

Pro: evidenzbasiert und hilfreich

Prof. Bilal Al-Nawas (Mainz) dagegen betonte den Nutzen von Leitlinien. Leitlinien hätten die Aufgabe, die vorhandene Literatur zu sichten und in Form von Empfehlungen für den Praktiker vor dem Hintergrund des deutschen Gesundheitssystems zu bewerten. Schließlich überblicke kein Mensch mehr allein die gesamte Literatur. Es sei deshalb Aufgabe einer Fachgesellschaft wie der DGI, mithilfe von Leitlinien eine evidenzbasierte Übersicht zu bieten. Der eigentliche Wert der Leitlinien sei, dass diese einen Korridor an geeigneten Therapieoptionen aufzeigen.  

Vor allem der Aspekt der fehlenden Justiziabilität von Leitlinien wurde in der anschließenden Diskussion lebhaft aufgenommen. Prof. Knut A. Grötz, Wiesbaden, betonte, dass Leitlinien bei Auseinandersetzungen mit Krankenversicherungen sowie vor Gericht ein hoher Stellenwert zur Beschreibung des aktuellen Stands einer Behandlung „lege artis“ zukomme. Sie müssten aber auch durch die offenen Formulierungen die ärztliche Entscheidungsfreiheit unterstützen. Darum könnten Leitlinien vor Gericht durchaus helfen. Wenngleich Sachverständige zwar nicht an eine Leitlinie gebunden seien, beachteten sie diese aber gleichwohl. Dennoch sei das Verlassen der Leitlinie in begründeten Fällen eine ärztliche Therapieentscheidung - kein Behandlungsfehler.

Spielräume versus Fremdbestimmung

DGI-Präsident Prof. Dr. Frank Schwarz, Düsseldorf, betonte auf dem Sommersymposium, dass das Thema Leitlinien „für omnipräsente Kontroversen in der kollegialen Diskussion sorge“. Sie böten einerseits systematische Entscheidungsgrundlagen für die Behandlung, würden aber andererseits als Begrenzung der ärztlichen Behandlungsfreiheit empfunden. Jenseits aller Debatten über Nutzen und Sinn von Leitlinien werde die Implantologie durch die Aktivitäten der DGI aber auch in diesem wichtigen Bereich sichtbar, was der Akzeptanz des Faches diene, konstatierte Schwarz.

Prof. Hendrik Terheyden, Kassel, initierte in seiner Amtszeit als DGI-Präsident 2010 die Leitlinienarbeit der DGI in Zusammenarbeit mit der DGZMK und der AWMF. Für ihn sind Leitlinien keine „Fremdbestimmung“ und schränken die Handlungsfreiheit nicht ein. „Vielmehr schaffen sie Spielräume für die Behandlung.“ Denn anders als manche Kritiker vermuten, „sitzt bei der Entwicklung von Leitlinien auch die Opposition mit am Tisch und es geht sehr kontrovers zu“, beschrieb Terheyden seine Erfahrungen.

Nicht für Innovationen geeignet

Weil bei der Entstehung einer Leitlinie, respektive einer Überarbeitung von der Anmeldung bis zur Konsentierung aber sehr viel Zeit ins Land gehe, seien sie nicht für Innovationen geeignet, betonte  Terheyden, der die Tagung leitete.

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Die 'Leitlinien' der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte/ Zahnärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Die 'Leitlinien' sind für Ärzte/ Zahnärzte rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung."

Aus der jüngsten zahnmedizinischenS3-Leitlinie"Die Behandlung periimplantärer Infektionen an Zahnimplantaten", AWMF-Registernummer: 083-023, Mai 2016

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