Editorial

Schöne Welt – Nullen und Einsen

Damit kein Missverständnis aufkommt: Es geht um Bits und Bytes. Betrachtet man all die Segnungen, mit denen die „Digital-Industrie“ die Welt nicht nur zu Weihnachten beglückt, scheint ein Leben ohne das Digitale – für den Großstadtmenschen wie für den gemeinen Heilberufler und Praxisbesitzer – kaum noch möglich. Okay, viele der angebotenen Systeme – im EDV-Branchenjargon gerne als „Lösungen“ (!) tituliert – sind in der Tat arbeitserleichternd.

Praxisverwaltung, betriebswirtschaftliche Auswertungen, all die ganzen Personalverwaltungsnotwendigkeiten, das Beachten (somit auch das sich daran Halten können) der immer komplexer werdenden Regelkreise unseres Gesundheitswesens sind ohne EDV nicht möglich. Oder sollte man ehrlicherweise sagen: Ohne EDV sind all die Regelungen und daraus resultierenden Abhängigkeiten überhaupt nicht zu bewältigen? Betrachte ich z. B. die neuen Hygienerichtlinien und den damit zusammenhängenden Verwaltungswust – Entschuldigung: die Verwaltungsnotwendigkeiten – frage ich mich aber, ob man ohne die vorauszusetzende EDV-Unterstützung überhaupt solch komplexen Regelungen auf die Zahnärzte loslassen würde. Oder dürfte?

Es ist für mich ein Mysterium, warum jedweder neuer Softwareschnipsel bejubelt und beklatscht wird, als ob damit eine neue Zeitrechnung beginnen würde. Die Zahl der sogenannten Gesundheits-Apps hat mittlerweile die 100.000er Marke weit überschritten, auch die Anzahl der Medical-Apps (diese müssen als Medizinprodukte klassifiziert sein) nimmt deutlich zu. Nur die Gesundheit komischerweise nicht, trotz zunehmender Durchdringung des „Marktes“, weder bei vertikaler noch bei horizontaler Betrachtung. Falls Sie sich fragen, warum das so ist, bekommt man auf den entsprechenden Konferenzen gerne folgenden Grund serviert: Weil die Doktores so altmodisch und rückwärtsgewandt sind. Wären sie es nicht, dann hätten wir zum Beispiel endlich auch auf breiter Front den Einsatz von Videokonsultationen und die schwierige Versorgungssituation auf dem Land wäre bereits gelöst. Das Ganze nennt man dann „Digitale Gesundheit“. Das ist semantischer Unsinn. Aber eine bestens funktionierende Marketingstrategie. Leider brandgefährlich.

Womit wir bei der Frage währen: cui bono? Wem nützt diese Flut von immer mehr digitalen Anwendungen? Den Nutzen hat Dr. Angela Merkel anlässlich des Kongresses des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger auf den Punkt gebracht: „Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Hier müssen wir jetzt aufpassen, dass der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung gewinnt.“ Das sagte die Bundeskanzlerin zu den Verlegern, die ja in der Hauptsache mit Werbung ihr Geld verdienen, die ja in Zukunft, so die Werbestrategen, immer individueller vulgo persönlicher werden wird. In Konsequenz findet zukünftig das Produkt seinen Konsumenten.

Es geht also um des Bürgers Daten. Jeder Bürger ist Konsument, Patient und manchmal auch Heilberufler. Wo wird denn hier jeweils die reale – also die technische – Trennlinie gezogen werden? Mit Moral sollten wir nicht argumentieren, es wird das gemacht werden, was technisch möglich ist.

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