Tagung „Zahnmedizin und Nationalsozialismus“

Von der Blockade zur fachlichen Aufarbeitung

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Die Rolle der Zahnmedizin im Nationalsozialismus ist nur lückenhaft aufgearbeitet. Bis heute gibt es weder eine Überblicksdarstellung der Geschichte noch eine systematische Erfassung der zahnmedizinischen Funktionseliten dieser Zeit. Auf dem Deutschen Zahnärztetag 2015 in Frankfurt/Main beschäftigten sich der Arbeitskreis Ethik sowie der Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde der DGZMK mit dem Thema – und trugen die neuen Fakten zusammen.

In seinem Beitrag „Zahnmedizin im Dritten Reich. Zum Stand der Aufarbeitung“ zeichnete Dr. Matthis Krischel, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen, ein Bild der bisherigen Arbeiten zu diesen Themen und ordnete sie kritisch in den Forschungsstand zur Medizin im Nationalsozialismus ein. Er ließ die Literatur seit den 1970er-Jahren Revue passieren und stellte fest, dass die organisierte Zahnärzteschaft lange an einer kritischen Aufarbeitung der Geschichte ihres Berufsstands im „Dritten Reich“ nur bedingt interessiert war – ähnlich wie die Ärzteschaft.

Kritische Aufarbeitung war lange nicht erwünscht

Seit den 1980er-Jahren wurde dem Themenkomplex zuerst durch einzelne Zahnärzte und alternative Verbände mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Seit den 1990er-Jahren werden die Biografien einzelner Zahnmediziner, deren Karrieren im Nationalsozialismus begannen oder befördert wurden, auch kritisch bearbeitet. Ebenso rücken aus dem Beruf gedrängte, in die Emigration gezwungene und ermordete Kollegen mehr in den Blick. Heute finden sich etwa in den zm und in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ) am aktuellen medizinhistorischen Forschungsstand orientierte Beiträge (Beispiele siehe Kasten).

Die drei zahnärztlichen Spitzenorganisationen – Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde – haben im vergangenen Jahr ein Forschungsvorhaben gestartet, um die Geschichte der Zahnheilkunde im Nationalsozialismus wissenschaftlich zu untersuchen.

###more### ###title### Hermann Euler – die dekonstruierte Legende ###title### ###more###

Hermann Euler – die dekonstruierte Legende

Mit Leben und Werk des langjährigen DGZMK-Präsidenten Hermann Euler (1878–1961) befasste sich Prof. Dr. mult. Dominik Groß, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen. Im Mittelpunkt seiner Analyse standen Eulers Wirken im „Dritten Reich“ als Mitgestalter und Akteur nationalsozialistischer Gesundheits- und Wissenschaftspolitik und insbesondere die Frage, wie die Rolle Eulers im Nachkriegsdeutschland und in der jüngeren Vergangenheit rezipiert worden ist. Euler war maßgeblich an der „Gleichschaltung“ und „Zentralisation“ der bis 1933 vorhandenen zahnärztlichen wissenschaftlichen Gesellschaften und der damit verbundenen Gründung der DGZMK im Jahr 1934 beteiligt. 1934 wurde er auch zum ersten Präsidenten der DGZMK ernannt.

Groß zeigte, dass sich die Rezeptionsgeschichte Eulers in drei Zeitabschnitte einteilen lässt, nämlich erstens in die Phase der „Legendenbildung“ und persönlichen „Aufwertung“ Eulers (1949–1995), zweitens in die Phase der „Dekonstruktion“ des tradierten Euler-Bildes (1996–2005) und drittens in die Phase der (berufs-)politischen Reaktion. Hermann Euler wurde trotz seiner NS-Belastung wieder zum ersten Präsidenten der 1949 rekonstruierten DGZMK gewählt und es wurde die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der DGZMK 1955 nach ihm benannt. In den nachfolgenden Jahren wurde seine aktive Rolle während der NS-Zeit verschwiegen oder umgedeutet. Seit Anfang der 1990er-Jahre wurde in mehreren Publikationen seine aktive Rolle während der NS-Zeit nachgewiesen. Erst 2007 wurde auf Empfehlung des Medizinhistorikers Dominik Groß die „Hermann-Euler-Medaille“ in „DGZMK-Medaille“ umbenannt.

###more### ###title### Walter Artelt – die entnazifizierte Kontinuität ###title### ###more###

Walter Artelt – die entnazifizierte Kontinuität

Dr. Florian Bruns, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik der Medizin der Charité Berlin, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit Walter Artelt und der Rolle von Geschichte und Ethik in der NS-Medizin. Der Zahnarzt und Medizinhistoriker Walter Artelt (1906–1976) zählte in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten Vertretern der Medizingeschichtsschreibung in Deutschland. Nach kurzer zahnärztlicher Assistenzzeit an der Universität Freiburg wurde Artelt von dem 1929 nach Berlin berufenen Medizinhistoriker Paul Diepgen (1878–1966) für die medizinhistorische Arbeit gewonnen, ausgebildet und gefördert. Artelt übernahm 1937 die Leitung des „Reichsinstitutes für Geschichte der Zahnheilkunde“ und 1938 die Leitung des „Senckenbergischen Institutes für Geschichte der Medizin“ in Frankfurt am Main. Nach Kriegseinsatz und „Entnazifizierung“ kehrte er 1948 in diese Position zurück und bestimmte die Entwicklung und Ausrichtung des Faches im Nachkriegsdeutschland entscheidend mit. Einer seiner Forschungsschwerpunkte war die Geschichte der Zahnheilkunde.

In den 1960er-Jahren auftretende Konflikte um die nationalsozialistische Vergangenheit einzelner Medizinhistoriker warfen erstmals ein Licht auf die Rolle der Medizingeschichte zwischen 1933 und 1945. Nicht wenige Fachvertreter hatten in dieser Zeit versucht, Ideologie und Moral der nationalsozialistischen Medizin historisch zu begründen und zu rechtfertigen. Artelt hatte hierbei nur partiell mitgewirkt, blockierte aber nach dem Krieg wie viele seiner Fachkollegen eine kritische Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte. Stattdessen bemühte er sich, alte Verbindungen und Traditionen möglichst bruchlos fortzuführen.

Doch diese Strategie der Verdrängung scheiterte. Die vergangenheitspolitischen Konflikte führten 1964 zur Spaltung der Fachgesellschaft und Artelts Lebenswerk stand zur Disposition. Im Vortrag wurde auf Basis unveröffentlichter Dokumente aus dem Nachlass Artelts und anderen Archiven nicht nur dessen Biografie nachgezeichnet, sondern auch die Legitimationsfunktion der Medizingeschichtsschreibung während der NS-Zeit und die spät einsetzende Aufarbeitung der Fachgeschichte nach 1945 wurden thematisiert.

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Dr. Gisela Tascher

Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Geschichte der Zahnheilkunde der DGZMK

Holzerplatz 4

66265 Heusweiler

Die Autorin, Dr. Gisela Tascher, hielt auf der Tagung ebenfalls einen Vortrag. Sie zeigte auf, dass die Gründung des Saarländischen Zahnärztesyndikats 1948 als freie und unabhängige Berufsvertretung eng mit der Gründung des Saarländischen Ärztesyndikats 1948 verknüpft war. Die Gründung ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des Gesundheitswesens vor, während und nach der NS-Diktatur zu sehen. Mehr dazu im Interview auf der nächsten Seite. Mehr zum Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde in der DGZMK: www.dgzmk.de/dgzmk/fachgruppierungen/arbeitskreisgeschichte-der-zahnheilkunde.html

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