Hygiene in der Zahnarztpraxis

Die heimlichen Infektionswege

Trotz strikter Einhaltung der Hygienevorschriften des Robert Koch-Instituts kann es in der zahnärztlichen Praxis zu sogenannten Hygienelücken kommen. Nur wenn diese erkannt sind, können sie auch gezielt vermieden werden. Das hilft besonders bereits vorgeschädigten Patienten sowie dem Personal.

Die meisten zahnärztlichen Behandlungen stellen per se ein Infektionsrisiko für Zahnärzte und das Behandlungsteam dar. Aufgrund der umfangreichen QM-Maßnahmen in den vergangenen Jahren wird in deutschen Zahnarztpraxen grundsätzlich ein sehr hoher Standard hinsichtlich der Infektionsprävention erreicht [Assadian et al., 2012]. Diese positive Entwicklung ist auf die Empfehlungen der KRINKO (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts) und die Anstrengungen der Zahnärztekammern zurückzuführen [Hübner et al., 2012].

Dank der umfangreichen Vorkehrungen kommt es vor allem zu einer erheblichen Reduktion von Keimen und somit zu einer Verringerung der Infektionswahrscheinlichkeit, anstatt zu einer selektiven Beseitigung besonders pathogener Keime. Trotz aller Bemühungen lassen sich insbesondere bei weniger beachteten Infektionswegen wissenschaftlich Hygienelücken aufweisen, die im Fall von Risikopatienten fatale Folgen nach sich ziehen können [Robert-Koch Institut, 2006].

Potenzielle Erreger in der Aerosolwolke

Bei jeder invasiven zahnärztlichen Behandlung mit rotierenden Instrumenten entsteht eine Aerosolbildung. Dabei breitet sich die Aerosolwolke in Abhängigkeit von der behandelten Mundregion mit einer Reichweite von 0,8 m bis zu 1,5 m aus [Sümnig et al., 2001]. Potenzielle Erreger können hierbei bis zu mehrere Stunden in der Raumluft verbleiben [Pitten und Kramer, 2001]. In dieser Richtung handelt es sich um eine Infektionsroute, die infektiös für das Personal sein könnte.

Infektionswege in die Gegenrichtung können mit Pseudomonas spp. kontaminierte wasserführende Systeme der Dentaleinheit darstellen [Assadian et al., 2012; Jensen et al., 1997]. Mit Pseudomonas aeruginosa kontaminierte Dentaleinheiten können für Patienten mit Cystischer Fibrose (synonym: Mukoviszidose, CF) möglicherweise folgenreich sein. Bei CF handelt es sich um die häufigste schwerwiegende autosomal rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung in den westlichen Industrieländern – mit einer Inzidenz von 1:2.500 Lebendgeborenen [Ratjen und Döring, 2003; Gibson et al., 2003]. Dabei entsteht eine generalisierte Dysfunktion der exokrinen Drüsen. In den betroffenen Organen werden zähe, visköse Sekrete produziert, die deren Ausführungsgänge verlegen und zu massiven Komplikationen führen.

###more### ###title### Gefahren bei Patienten mit System-Erkrankungen ###title### ###more###

Gefahren bei Patienten mit System-Erkrankungen

Die Ursache der CF ist der Defekt eines Gens (Chromosom 7), das für einen transepithelial gelegenen Chloridkanal (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator (CFTR)) kodiert [Kerem et al., 1989; Buchwald et al., 1989]. Der CFTR steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Todesursache. Die meisten CF-Patienten versterben an einer chronischen Bronchopneumonie. Dabei besiedelt ein nur geringes Spektrum an Keimen (Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae, Stenotrophomonas maltophilia und Burkholderia-cepacia-complex-Bakterien) die Lungen der CF-Patienten. Das wichtigste Bakterium bei CF stellt P. aeruginosa dar [Ratjen und Döring, 2003; Gibson et al., 2003; Koch und Hoiby, 1993]. Auffällig ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Lungen mit P. aeruginosa kontaminiert sind, höher ist, je älter die Patienten sind [Koch und Hoiby, 1993; Valerius et al., 1991]. Daher ist eine frühe und aggressive Behandlung des Keims indiziert [Valerius et al., 1991; Döring et al., 2004; Ratjen et al., 2001; Tacetti et al., 2005].

CF-Patienten haben heute eine Lebenserwartung von circa 35 Jahren [Edwards et al. 2013]. Da der Zeitpunkt der Besiedelung der Lunge von besonderer Bedeutung ist, muss unbedingt vermieden werden, dass CF-Patienten während einer invasiven zahnmedizinischen Behandlung mit P. aeruginosa infiziert werden können. 1997 wurde bereits eine theoretische Möglichkeit der Besiedelung von CF-Patienten mit P. aeruginosa durch kontaminierte Dentaleinheiten beschrieben [Jensen et al., 1997]. Es ist daher folgerichtig, dass dieser potenzielle Infektionsweg durch das jeweilige zahnmedizinische Behandlungsteam aktiv verhindert wird.

Auch aus diesem Grund sollten die Dentaleinheiten regelmäßig wasserhygienisch untersucht werden. Zusätzlich sollte durch anamnestische Maßnahmen größter Wert auf die Identifikation von CF-Patienten gelegt werden, um deren mögliche Kontamination mit P. aeruginosa auszuschließen. Durch ein regelmäßiges Update des gesamten Behandlungsteams bezüglich dieses besonderen und dennoch für die CF-Patienten möglicherweise folgenschweren Infektionswegs ist die Behandlung der CF-Patienten relativ problemlos möglich.

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Der Infektionskreislauf Praxis-Labor-Praxis

Durch den demografischen Wandel wird sich in den westlichen Industrienationen in den kommenden Jahren die Anzahl der Patienten mit multiplen Allgemeinerkrankungen erhöhen [Schmidt et al., 2013]. Diese Patientengruppe wird sich häufiger immunsupprimiert und auch infektionsanfälliger in den Zahnarztpraxen vorstellen. Selbst kleine Infektionen können dann in Verbindung mit Multiresistenzen möglicherweise zu schwer therapierbaren Erkrankungen führen [Jarvis, 2007].

Zahnmedizinisch wird bei diesen Patienten die prothetische Versorgung einen wesentlichen Schwerpunkt bilden. Nach wie vor wird Zahnersatz zumeist in Kooperation mit einem zahntechnischen Labor gefertigt. Je nach Art der Versorgung werden dabei der zu fertigende Zahnersatz beziehungsweise die hierfür benötigten Abformungen, Modelle und Registrierbehelfe zwischen der Zahnarztpraxis und dem zahntechnischen Labor ausgetauscht. Hierdurch kann es einerseits zu einer Kontamination der Werkstücke durch den Patienten oder andererseits durch die Mitarbeiter kommen. Dieser Infektionskreislauf muss durch geeignete Hygienemaßnahmen unterbrochen werden [Bensel, 2012].

Dabei müssen die Werkstücke so behandelt werden, dass von ihnen keine Infektionsgefahr mehr ausgehen kann. Deshalb sollten die zahntechnischen Werkstücke die Zahnarztpraxis erst nach einer Reinigung mit anschließender Desinfektion verlassen. Bei diesem Vorgang müssen die jeweiligen Herstellerangaben beachtet werden [CDC 2005; Muller-Bolla et al., 2004; Sofou et al., 2002; Sofou et al., 2002; Jagger et al., 1995; Merchant, 1992]. Da von einem desinfizierten Werkstück keine Infektionsgefahr ausgehen darf, sollten auch Arbeiten, die aus dem zahntechnischen Labor in die Zahnarztpraxis zurückkehren, desinfiziert werden, bevor sie beim Patienten eingegliedert werden. Durch diese Maßnahmen lässt sich der Schutz vor Kreuzkontaminationen erhöhen.

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Infektionsquellen bei der Prothetikbehandlung

Die Verwendung von dentalen Abformhaftvermittlern kann grundsätzlich eine Gefahr der indirekten Übertragung von Mikroorganismen bedeuten [White und Jordan, 1987]. Abformhaftvermittler werden meist in Glasflaschen mit einem Applizierungspinsel geliefert. Bei dem Auftragen der Reagenzien auf den Abformträger ist eine nicht ganz offensichtliche Infektionskette denkbar [Bensel et al., 2010]. Es kann vorkommen, dass der Abformlöffel nach der Anprobe im Mund des Patienten ohne vorherige Desinfektion auf das Tray gelegt wird. Anschließend wird der Abformhaftvermittler mit dem im Deckel befindlichen Pinsel auf den Abformträger aufgetragen. Dieses Vorgehen birgt grundsätzlich keine Risiken, falls der Pinsel nur vor dem Kontakt mit dem Abformlöffel in die Flüssigkeit getunkt wird und nach dem Bestreichen des Abformlöffels weggeworfen werden würde. Doch die Pinsel sind meist starr durch den Hersteller mit dem Deckel des Flüssigkeitsbehälters verbunden. Dadurch wird der Pinsel regelmäßig als Mehrwegprodukt verwendet (Abbildung 3).

Es wäre relativ einfach, diesen Infektionsweg zu unterbrechen, wenn die jeweiligen Abformhaftvermittler eine keimreduzierende Wirkung besäßen. Dabei suggeriert der lösungsmittelhaltige Geruch der Abformhaftvermittler, dass die Produkte über eine desinfizierende Wirkung verfügen könnten. Schon 1993 wurden Untersuchungen zur desinfizierenden Wirkung von dentalen Abformhaftvermittlern durchgeführt [Herman, 1993].

Es stellt sich die berechtigte Frage nach der potenziellen Infektionsgefahr durch die jeweiligen Kontaktflüssigkeiten. Kann hierbei eine grundsätzliche Gefährdung für die Patienten oder das Personal von Speichelrückständen auf Abformträgern ausgehen? Praktisch wurde ein solcher Zusammenhang bisher nicht nachgewiesen.

In-vitro-Versuche legen jedoch nahe, dass aufgrund der Keimzahlen und der nachgewiesenen Mikroorganismen in der Mundhöhle eine potenzielle Gefährdungsmöglichkeit einer Infektionsübertragung durch den Speichel bestehen könnte. Besonders für ältere, multimorbide oder immunsupprimierte Patienten kann eine Gefährdungsmöglichkeit nicht ausgeschlossen werden [Bensel et al., 2012].

Entsprechend der Erkenntnisse muss deshalb dringend empfohlen werden, den Mehrwegpinsel nicht für die Anwendung eines kontaminierten Werkstücks, beispielsweise zur Benetzung einer Totalprothese vor einer Unterfütterungsabformung, zu verwenden. In derartigen Fällen ist die Anwendung von Einmalartikeln sinnvoll [Bensel et al., 2012; Puttaiah et al., 2006].

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Zusammenfassung

Obwohl die weniger beachteten Transmissionsrouten von Erregern oft nicht im Fokus stehen, sind sie nicht ungefährlicher. Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen mögliche Folgen einer Nichtbeachtung der wenig beachteten Infektionsketten. Es werden nicht täglich CF-Patienten die Zahnarztpraxis aufsuchen. Aber aufgrund der möglichen Komplikationen, die eine zahnärztliche Therapie für diese Patienten haben könnte, ist die Kenntnis dieses speziellen Übertragungswegs bei der zahnärztlichen Behandlung wichtig. Grundsätzlich steht CF hierbei als Modellkrankheit für andere Erkrankungen, die zu chronischen Bronchopneumonien führen können.

Im Gegensatz zu den Risiken der Behandlung der CF-Patienten, kann die mögliche Infektionsgefahr durch Abformhaftvermittler ein alltägliches Problem während der zahnärztlichen Behandlung darstellen. Daher sind häufige Updates bezüglich der einzelnen hygienisch relevanten Probleme sinnvoll. Die häufig gestellte Frage „Wie viel Hygiene ist in medizinischen und sozialen Einrichtungen nötig?“ führt oft zu kontroversen Diskussionen. Dabei ist die Antwort relativ simpel: Es sollte so viel Hygiene nötig sein, dass keine Infektionen übertragen werden können.

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Dr. Tobias Bensel, M.Sc.

Universitätspoliklinik für Zahnärztliche Prothetik

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Große Steinstr. 19

06108 Halle (Saale)

und

Zahnarztpraxis Am Rain Leipzig

Am Rain 2

04178 Leipzig

PD Dr. habil. Jeremias Hey, M.Sc.

Universitätspoliklinik für Zahnärztliche Prothetik

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Große Steinstr. 19

06108 Halle (Saale)

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