Editorial

Die ethische Falle

Gemeinwohlverpflichtung! Ein großes Wort, das für Freiberufler verpflichtender Teil der Berufsausübung ist. Der Bundesverband Freie Berufe definiert diese so: „Die Gemeinwohlverpflichtung – die Sicherung der Gesundheitsvorsorge, der Rechtsordnung und der Kultur liegt im Interesse aller Bürger. Die der Allgemeinheit verpflichteten Freiberufler tragen dafür besondere Sorge.“

Dass diese Gemeinwohlverpflichtung für Ärzte und Zahnärzte mehr ist als nur ein Wort, zeigt auch der enorme persönliche Einsatz für die seit über einem Jahr täglich nach Europa strömenden Flüchtlinge. Mittlerweile haben wir aber neben der Erstversorgung, in der sich seit vielen Monaten all die ehrenamtlichen Helfer bravourös verhalten haben und fantastisch improvisierten, eine Situation, die ganz andere Anforderungen an die Heilberufler stellt.

Bringen wir es auf den Punkt: Mögen die wenigen Aufklärungsfehler, die im Getümmel der Erstversorgung und der kaum möglichen sprachlichen Verständigung passierten, unsanktioniert geblieben sein, sollte man in der weiteren Versorgung von Flüchtlingen nicht davon ausgehen, dass das so bleibt.

Damit sind wir mitten im Thema. Da sitzt nun ein Patient aus einem anderen Kulturkreis und mit einer Sprache, die man nicht spricht, und der auch meist nicht alleine gekommen ist – was zusätzlichen Stress verursacht – mit offensichtlichen Schmerzen im Wartezimmer. Mittlerweile dürfte diese Situation in vielen Praxen wohl zur Routine geworden sein. Und ich wette, in den meisten Fällen auch ein Reaktionsmuster, das den eigenen ethischen Grundsätzen folgt, die geprägt sind vom hippokratischen Eid, der Berufsordnung (!) und der täglich wahrgenommenen Eigenverantwortung. Man legt los, nach dem man sich radebrechend und mit Hilfsmitteln wie z. B. dem Piktogrammheft der BZÄK versucht hat, mit dem Patienten zu verständigen, und – löst das Problem. Klappt meistens, aber nicht immer!

Wenn nicht, was dann? Auf die Politik werden Sie sich nicht verlassen, geschweige denn berufen können. Zwar konnten sich unsere Politiker auf die Hilfe all der Ehrenamtler hervorragend verlassen, das gilt aber nicht im umgekehrten Fall. Denn weder die in der Erst- und nun zunehmend in der Dauerversorgung drängenden Probleme der Zahnärzte wurden angegangen, geschweige denn gelöst. Die der sprachlichen Verständigung zum Beispiel. Ausreichend Dolmetscher oder wenigstens Sprachkundige? Fehlanzeige. Ich will nicht zynisch sein, aber die Gesundheitskarte ist keine Hilfe, sie wirkt eher Problem verschärfend. Deshalb sei an dieser Stelle das Thema rechtswirksame Aufklärung erneut adressiert: Vor jeder Behandlung fordert der Gesetzgeber eine „verständliche und mündliche“ Aufklärung. Keine gemeinsame Sprache, keine Verständigung, keine rechtswirksame Aufklärung bedeutet Körperverletzung – so einfach ist das für Juristen, für die im Schadensfall nur und ausschließlich die gesetzlichen Vorgaben zur Aufklärung, wie sie z. B. im BGB § 630e geregelt sind, gelten.

Rein rechtlich gibt es keine „ethische“ Lösung dieses Dilemmas: Verunmöglichen sprachliche Barrieren eine Aufklärung, verbleibt dennoch die volle Haftung beim Zahnarzt. Bereits die Verabreichung von Schmerzmitteln ist ohne sprachliche Erläuterung Körperverletzung. So eine Situation nenne ich Zwickmühle, manche bezeichnen sie als ethische Falle.

Es ist daher wichtig zu verstehen, dass die Gemeinwohlverpflichtung der Juristerei eine andere ist als die der Heilberufler. Und sie kennt auch keine ethisch-moralischen Grundsätze à la Eid des Hippokrates – außer im Schadensfall …

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