Leitartikel

Freie Berufe unter Generalverdacht

Peter Engel
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

alle zwei Jahre legt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) volkswirtschaftliche Analysen ihrer Mitgliedsländer vor. Anfang April hat sie den neuen Wirtschaftsbericht für Deutschland vorgestellt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

alle zwei Jahre legt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) volkswirtschaftliche Analysen ihrer Mitgliedsländer vor. Anfang April hat sie den neuen Wirtschaftsbericht für Deutschland vorgestellt. Aufhorchen lassen aus Sicht unseres Berufsstands die Empfehlungen der OECD mit Blick auf die Freien Berufe: Man kann diese getrost als anti-freiberuflichen Rundumschlag bezeichnen. Wie in den vorausgehenden Berichten 2012 und 2014 geht die OECD mit den Freien Berufen in Deutschland hart ins Gericht. Sie stellt alle Kernelemente der Freiberuflichkeit zur Disposition: Zur Steigerung der Produktivität des Dienstleistungssektors wird ausdrücklich der Abbau von „Exklusivrechten“ gefordert, die in der Diktion der Ökonomen lästige „Wettbewerbs- und Marktzutrittshemmnisse“ darstellen. Befürwortet werden Rechtsform- und Fremdkapitalerfordernisse, die berufsfremde Investoren ausgrenzen würden. Kritik wird auch an den Gebührenordnungen der Freien Berufe und den noch immer bestehenden Werbebeschränkungen geübt. Berufliche Selbstregulierung wird schließlich vor allem als Mittel gesehen, um „etablierte Anbieter zu schützen“.

Diese Ausführungen zeigen, dass das Modell der Freiberuflichkeit, das insbesondere unseren zahnärztlichen Berufsstand so grundlegend prägt, unter einem gefährlichen wachstumspolitischen Generalverdacht steht. Freiberufliche Regulierung und freiberufliche Selbstverwaltung werden per se pauschal als Wachstumshindernis eingestuft. Es findet eine rein ökonomische Betrachtung statt. Bemerkenswert ist, dass die OECD die freiberuflich-relevanten Feststellungen des Wirtschaftsberichts 2016 in vielen Fällen mit einer Studie der Universität Köln aus dem vergangenen Jahr wissenschaftlich untermauert, die im Auftrag der britischen Regierung erstellt worden war und die im Wesentlichen auf Zahlen und Indikatoren der OECD beruht. Wie lautet doch das Motto des englischen Hosenbandordens? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Andere Parameter, die Regulierung rechtfertigen würden, wie etwa der Patienten- oder Verbraucherschutz, werden gar nicht diskutiert oder generell infrage gestellt. Fragwürdig ist, dass die OECD ihre Empfehlungen nicht näher begründet. Mögliche negative Auswirkungen einer Deregulierung werden ebenfalls nicht thematisiert.

Zwar ist die Reichweite der nicht verbindlichen OECD-Empfehlungen begrenzt. Das mediale Echo auf den Wirtschaftsbericht 2016 fiel verhalten aus. Warum dann das Aufheben? Das große Problem ist, dass das Denken der OECD dabei ist, seinen Weg in die Köpfe der Politik zu finden. Die von der OECD genutzte Argumentation begegnet uns in identischer Weise in den länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission, die jährlich im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters (Abstimmung der EU- und Fiskalpolitik) aufgelegt werden und mit denen die Folgen der Schulden- und Finanzkrise überwunden werden sollen. Gleiches gilt für die im Oktober 2015 veröffentlichte neue EU- Binnenmarktstrategie, die sich ebenfalls durch einen unübersehbaren OECD-Duktus „auszeichnet“.

Im Fokus der OECD stehen (noch) vor allem die unternehmensbezogenen Dienstleistungen der Architekten, Ingenieure, Notare und Rechtsanwälte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die freien Heilberufe zurücklehnen können. Im Gegenteil. Die bereits zitierte Studie kommt zu der Einschätzung, dass sich perspektivisch alle Überlegungen auf die Gesundheitsberufe übertragen lassen.

Es gilt also mehr denn je, auf nationaler wie auf europäischer Ebene wachsam zu sein und gegenzusteuern. Die Vorteile einer den Staat entlastenden, demokratisch legitimierten und vom Berufsstand finanziell selbstgetragenen freiberuflichen Selbstverwaltung müssen jeden Tag aufs Neue verdeutlicht und verteidigt werden. Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit dem BFB unseren 11. Europatag am 1. Juni 2016 in Berlin nutzen werden, um genau diese Thematik mit Vertretern aus Bundes- und Europapolitik zu diskutieren.

Mit freundliche Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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