Die Digitalisierung des Gesundheitswesens (3)

Was sie meinen, wenn sie E-Health sagen

Die Zahl der elektronischen Anwendungen im Gesundheitsbereich steigt und steigt. Doch was bringen die eigentlich? Was geht schon, was wäre möglich? Wer ist wie in die Entwicklung eingebunden? Wer hat welches Interesse? Sortierung tut not. Involviert sind zahlreiche Akteure – im dritten Teil geht es um die Motive der (Gesundheits-)Politik.

+++ 04. dezember 2015: der bundestag beschließt das „e-health-gesetz“, das die Einführung von e-health-technologien im deutschen gesundheitswesen regelt. +++

+++ 13. januar 2015. hermann gröhe in der faz: „wir beginnen gerade erst, die chancen des digitalen zeitalters im gesundheitsbereich zu nutzen. Ich will hier mehr tempo.“ +++

++++ januar 2016: vodafone-studie: 12 prozent lesen die allgemeinen geschäftsbedingungen, um sich über die sammlung/nutzung ihrer daten zu informieren. +++

+++ 12. Februar 2016: krebs-forscher christoph von kalle: „schon jetzt ermöglicht es uns die auswertung großer datenmengen krebspatienten gezielter zu therapieren. dabei stehen wir erst am anfang.“ +++

Seit vergangenem Jahr ist hierzulande die Digitalisierung im Gesundheitsbereich sogar amtlich: Das 2015 beschlossene E-Health-Gesetz soll nach dem Willen der Bundesregierung die weitere Technologisierung der Medizin fördern, Datenströme kanalisieren und der allgemeinen Entwicklung Beine machen. Die Regierung führt für ihr Gesetz berechtigte Gründe an – doch es gibt auch Einwände – nicht nur von anderen Playern aus dem Gesundheitsbereich. Zunächst die Argumente derjenigen, die E-Health vorantreiben wollen:

„Deutschland hinkt hinterher“Während hier selbst das E-Health-Gesetz noch in der Kritik steht, sind andere Länder in ihren Gesundheitssystemen mit digitaler Medizin schon weiter, heißt es vonseiten der Regierung:

• In Dänemark sind elektronische Medikation und eine für alle ärztlichen Einrichtungen zugängliche Patientenakte Standard.

• Die Österreicher haben bereits eine Patientenkarte, auf der von den Patienten gewünschte Daten mit aufgenommen sind und auf die sie zugreifen können.

• In Belgien wurden 2014 E-Rezepte eingeführt, die Ärzte per Chipkarte signieren und die von der Mehrheit genutzt werden.

• In Finnland sollen Papierrezepte bis Ende dieses Jahres abgeschafft werden.

"Deutschland stellt sich gegen Fortschritt“Angetrieben durch den Fortschritt der anderen will sich auch die Bundesregierung der Entwicklung nicht (weiter) verschließen – und ist Treiber und Getriebener gleichermaßen. 2003 hat die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) angekündigt. Um die eGK nun endlich einzuführen und die technische Infrastruktur zu schaffen, haben die Spitzenverbände der Selbstverwaltung (Kliniken, Ärzte und Zahnärzte) 2005 die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) gegründet.

Sie ist zusammen mit der Industrie verantwortlich, die technischen Grundlagen zu schaffen, damit die Implementierungen im Gesundheitsbereich Fahrt aufnehmen.

„Zu lange ist nichts passiert“Doch lange ist allein schon die Einführung der eGK von vielen Seiten blockiert und verzögert worden. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat in seiner Amtzszeit nun konsequent versucht, die eGK und weitere E-Health-Elemente im Gesundheitswesen systematisch und geordnet zu implementieren. Das vom Bundestag am 04. Dezember 2015 beschlossene E-Health Gesetz soll erklärtermaßen die Entwicklung digitaler Anwendungen in der Medizin beschleunigen.

„Infrastruktur muss modernisiert werden“Was fehlt in Deutschland für eine funktionierende E Health, da sind sich alle Akteure des Gesundheitssystems sowie die Bundesregierung einig, ist die Einführung einer‚ „digitalen Datenautobahn“, die Infrastruktur für die Telematik. Konkret meint dies, dass die unterschiedlichen IT-Systeme von Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen nach und nach vernetzt werden, um eine solide Basis für den Austausch von Informationen zu haben. Dies soll das E-Health-Gesetz nun leisten, das mit den Stimmen der Koalition vom Bundestag verabschiedet wurde, die GRÜNEN enthielten sich bei der Abstimmung die LINKE war gegen das Gesetz.

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Datenschutz

„Datenschutz im Gesetz gewährleistet“Da die Koalition Erfolge sehen möchte hinsichtlich ihres beschlossenen Gesetzes, wird vonseiten des Bundesgesundheitsministers immer wieder betont, wie sicher das Gesetz sei und dass der Schutz der Versichertendaten an erster Stelle stehe. Versicherte könnten selbst entscheiden, ob die elektronische Gesundheitskarte medizinische Daten speichern darf (und, wenn ja, welche) – und wer diese Daten auslesen darf. Auch das Löschen dieser Daten sei kein Problem.

Das Gesetz regle zudem, dass nur bestimmte Personen wie Ärzte und Zahnärzte auf die Daten zugreifen dürfen.

„Das Potenzial ist groß“Was Gröhe mit dem Gesetz verbindet, wird in einem Beitrag vom 13. Januar 2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich: Die Karte sei wie ein Sportwagen, der in der Garage auf seinen Einsatz lauere. Doch noch immer, so moniert der Minister, werden Arztbriefe geschrieben und E-Mails oder gar Faxe geschickt. Im Gesetz ist daher festgelegt, dass anhand von strikten Zeitplänen die bundesweite Einführung der Telematik-Infrastruktur über die gematik sichergestellt werden soll. Laut BMG-Planung soll die Einführung Mitte 2016 beginnen; bis Mitte 2018 sollen Arztpraxen und Krankenhäuser flächendeckend angeschlossen sein.

„Es geht nur mit Zeitplan und Sanktionen“Um Gröhes Ansinnen Nachdruck zu verleihen, sieht das E-Health-Gesetz Sanktionen für die Akteure der Selbstverwaltung vor, falls die gesetzten Fristen von ihnen nicht eingehalten werden. Ab dem 1. Juli 2018 sind pauschale Kürzungen der Vergütung der Ärzte und Zahnärzte vorgesehen, die nicht an der Online-Prüfung der Versichertenstammdaten teilnehmen. Nicht verwunderlich, dass die Betroffenen damit nicht einverstanden sind. Wieso bestraft man die Heilberufler, wo es doch die Industrie ist, die Vereinbarungen nicht einhält und Lieferschwierigkeiten bei der Bereitstellung dringend benötigter technischer IT-Komponneten hat, argumentieren sie.

„Gesundheitskarte legt Grundstein“Doch was soll das E-Health-Gesetz leisten, was soll die elektronische Gesundheitskarte als Dreh- und Angelpunkt der weiteren Digitalisierung nach dem Willen des Gesetzgebers bewirken? Als erster Schritt sollen Daten der Versicherten, wie Name, Geburtsdatum und Anschrift sowie Angaben zur Krankenversicherung, wie die Krankenversichertennummer und der Versichertenstatus (Mitglied, Familienversicherter oder Rentner), gespeichert werden. Später sollen Notfalldaten gespeichert sowie ein Medikationsplan eingerichtet werden können. Zusätzlich ist die Einrichtung einer elektronischen Patientenakte und eines persönlichen Patientenfaches vorgesehen. Patienten bekommen darüber hinaus die Möglichkeit, auch selbst Daten – etwa aus Fitnesstrackern oder tragbaren Messinstrumenten („Wearables“) – dem Arzt zu übermitteln, wenn sie dies wollen.

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Das sagen die Kritiker

So weit der Plan. Doch nicht nur die zeitlichen Vorgaben und allgemein die Vorstellungen des Gesetzgebers zur weiteren Digitalisierung in der Medizin sind Ansatzpunkte für Kritiker.

„Zeitpläne sind Makulatur“Im Zentrum der Kritik steht, dass das E-Health-Gesetz nicht ’zündet’, denn die Pläne des Ministeriums, das ist bereits abzusehen, sind Makulatur. So können etwa erste Tests nicht wie geplant Ende Juni, sondern erst im Winter starten. Welche Konsequenzen sich daraus vor allem im Hinblick auf die vorgesehenen Sanktionen für die Körperschaften ergeben, ist noch unklar. Daher zeigt sich etwa die Stiftung Patientenschutz wenig begeistert: Weitere Milliardenkosten seien zu befürchten, die Zeche zahlten die Versicherten. Und der Gewinn für die Patienten sei „mehr als fraglich“. Schon unkt die Ärzte-Zeitung: Zwar steige die Nachfrage nach mobilen Anwendungen und telemedizinischen Diensten massiv. „Umso bedauerlicher, dass das deutsche Gesundheitswesen nicht aus dem Quark kommt.“

„Hohe Kosten, wenig Erfolg“Mangelnder Erfolg ist der nächste Vorwurf: Seit über zehn Jahren werde an der Karte gebastelt, die Entwicklung habe Unsummen verschlungen (Experten schätzen etwa 15 Milliarden Euro) – und alles, was bislang herausgekommen ist, sei eine neue Karte mit Passbild. „Der Entwurf für ein solches System existiert – doch es ist die Geschichte eines großen Scheiterns“, bilanziert die Badische Zeitung.

„Mangelnder Datenschutz“Als einzige Partei, stimmten bei der Abstimmung des Gesetzes im Bundestag die LINKEN gegen das Gesetz. Sie führ(t)en vor allem datenschutzrechtliche Argumente an. Kathrin Vogler von den LINKEN fasst die Kritik an der ihrer Ansicht nach „nutzlosen“ Karte so zusammen: „Augen zu und durch – das scheint die Parole zu sein angesichts der nicht abreißenden Flut an Meldungen über Pannen, Datenschutzgefahren und Kostenexplosionen.“ Mit der Karte würden die Selbstbestimmung der Patienten und ihr Zugang zu den eigenen Daten immer mehr untergraben.

Beim Datenschutz aber wird der Politik gar nichts anderes übrig bleiben, als strikte EU-Vorgaben einzuhalten, hat doch das EU-Parlament am 14.04.2016 eine Datenschutzreform beschlossen. Darin ist etwa das Recht auf Vergessenwerden geregelt: Wenn die Betroffenen nicht möchten, dass ihre Daten weiterverarbeitet werden, und es keine legitimen Gründe für deren Speicherung gibt, müssen die Daten gelöscht werden. Zudem gibt es das Recht, zu erfahren, ob Daten gehackt wurden: Unternehmen und Organisationen müssen zum Beispiel die nächst höhere Stelle so bald wie möglich über Verstöße gegen den Datenschutz informieren, damit die Nutzer reagieren können.

„Der Patient wird gläsern“Kämen zur Karte noch die Daten tragbarer Messinstrumente dazu, so argumentieren Gegner wie etwa die LINKE, sei es nicht mehr weit bis zum gläsernen Patienten. Gerade aber von diesem würden große IT-Konzerne, die Pharmaindustrie und die Versicherer träumen, argumentiert die Partei. Denn damit könnten etwa die Versicherer den Patienten individuelle Tarife anbieten, hinter denen – je nach Beitrag – mal mehr, mal weniger Leistungen stehen. Für die Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung wäre dies die Auflösung des Solidargedankens, warnt die LINKE.

„Wer pflegt die Daten?“Silke Lüder, Ärztin und seit 2007 Sprecherin des Aktionsbündnisses „Stoppt die e-Card“, einer Bürgerinitiative aus 54 Verbänden, hat sich als eine der schärfsten Kritiker der Gesundheitskarte etabliert. Sie beklagt neben den Kosten vor allem, dass hochsensible Patientendaten gefährdet seien. „Was passiert wenn die Daten nicht aktuell sind, aber sich im Krankenhaus darauf verlassen wird?“

„Kontra Apparatemedizin“Mit Chancen, aber auch mit Risiken sieht nicht nur der Deutsche Ethikrat die digitale Entwicklung in der Medizin. Auf der Veranstaltung „Big Data und Gesundheit“ des Rates warnte etwa Dr. Klaus Mainzer von der TU München von der Verführung des Datensammelns. „Algorithmen ohne Theorie und Gesetze sind blind. Korrelationen und Datenmuster ersetzen keine Erklärungen von Ursachen.“ Die Daten müssten nicht nur evaluiert, sondern auch bewertet werden. Daher gehe es auch bei E-Health nicht ohne die menschliche Urteilskraft. Sprechende Medizin könnte nicht durch Apparate ersetzt werden.

„Pures Datensammeln genügt nicht“Über Qualität und Bewertung von Daten machten sich auch Gerd Gigerenzer, Kirsten Schlegel-Matthies, Gert G. Wagner vom Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gedanken. Sie rückten in den Mittelpunkt, dass die Sammlung von Daten eines ist, die Kompetenz, diese Daten auswerten zu können, aber das andere. „Die Chancen der Digitalisierung werden vergeben, wenn man nicht zugleich die digitale Gesundheits-Kompetenz der Verbraucher stärkt“, urteilten sie in ihrem Bericht vom 19. Januar 2016.

„Insellösungen sind kontraproduktiv“Da es bisher noch keine einheitliche IT- Infrastruktur gibt, die die Akteure im Gesundheitswesen konsequent vernetzt und eine Datenübertragung erlaubt, werden – soll man sagen – fatalerweise „Insellösungen“ entwickelt. So hat etwa die Kassenärztliche Bundesvereinigung ein eigenes Netz entwickelt, über das von angeschlossenen Praxen aus bereits elektronische Arztbriefe verschickt werden. Nach Medienberichten bastelt auch die KV Baden-Württemberg an einem zentralen Patienten-Infoportal mit angeschlossenen Notfall-Praxen in Eigenregie Doch was passiert dann mit der von Gröhe intendierten Interoperalität? Fehlanzeige, vermuten Kritiker. Die sei dann obsolet.

E-Health: Was war wann?

SERIE

Der Beitrag ist der dritte Teil einer Serie zum Thema E-Health. Bislang erschienen sind:zm 09/2016: Motive der Patienten und der Ärztezm 11/2016: Motive der gesetzlichen und der privaten Krankenkassen

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