Zahnärztlicher Auslandsaufenthalt in Sambia

Der Affenbehandler

In die Praxis investieren oder den Horizont erweitern? Nach 27 Jahren Berufstätigkeit hängte der Berliner Zahnarzt Dr. Mathias Gnauert den Job temporär an den Nagel – und reiste in den Busch nach Sambia, um das „Chimfunshi-Projekt“ zu unterstützen. Nach der Behandlung gab es für viele Dorfbewohner die erste Zahnbürste. Die Krönung seines Aufenthalts: die Behandlungen von Schimpansen, die er persönlich schildert.

Im vergangenen Jahr habe ich meine Zahnarztpraxis veräußert und wurde von vielen langjährigen Patienten nach meinen Plänen für die Zukunft gefragt – unter anderen vom Hamburger Unternehmer Sebastian Louis. Er bat mich, ihn nach Chimfunshi zu begleiten. Louis ist Vorstandsvorsitzender des „Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust“ in Sambia und von „Chimfunshi e. V.“ in Deutschland, die das mit 4.200 Hektar weltweit größte Schimpansenwaisenhaus mit rund 130 Schimpansen unterhalten. Ich äußerte den Wunsch, während meines Aufenthalts nicht nur unsere nächsten Verwandten – die Schimpansen –, sondern vor allem die dortige Dorfbevölkerung, bestehend aus ungefähr 70 Familien mit annähernd 150 Kindern, zahnmedizinisch zu versorgen.

Nur fünf Prozent der Kinder hatten eine Zahnbürste

Im Oktober 2015 ging ich gemeinsam mit Louis und diversen zahnmedizinischen Geräten im Gepäck auf die Reise nach Chimfunshi, dem sogenannten Copperbelt, einem großen Gebiet am Kafue River im Norden Sambias an der Grenze zum Kongo. Den ersten Tag begannen wir mit einem kleinen Workshop in der dortigen Schule. Die Lehrer übersetzten vom Englischen ins Bemba, der dort vorherrschenden Sprache. Auf die Frage, wer eine Zahnbürste besitzt, meldeten sich sechs von 130 Kindern. Dann wurde über den richtigen Umgang mit Zahnbürste und Zahnpasta gesprochen. Die anschließende Befundaufnahme fand unter freiem Himmel auf dem Schulhof statt. Nach drei Tagen hatten wir alle Kindermünder begutachtet und zum Großteil auch deren Zähne gesäubert. Zum Dank gaben wir leuchtende Zahnbürsten aus.

Mit großer Freude stellten wir fest, dass durch den fehlenden Zuckerkonsum und die gesunde Ernährung kaum Zahnschäden vorhanden waren. Nachdem die Behandlung der Kinder abgeschlossen war, standen schon die Erwachsenen vor der Tür. Auch sie wollten in den Besitz von Zahnbürste und Zahnpasta gelangen, hatten aber auch Schmerzen und massiven Behandlungsbedarf, so dass ich in fünf Tagen circa 50 Zähne extrahieren musste.

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Betäubung per Dartpfeil

Kurz vor der Abreise sollte ein Schimpanse namens George behandelt werden. Der Befund: eine Fistel regio 21. Eine Extraktion war unumgänglich. Wir begannen die Behandlung, indem die Wärter den Schimpansen mit einem Dartpfeil betäubten. Darin steckte die Anästhesiespritze. Nach eingehender Prüfung – Affen können in so einer Situation sehr aggressiv sein – wurde unter Lokalanästhesie die Extraktion vorgenommen. Da Schimpansen zu 98 Prozent identische Gene mit uns Menschen haben und auch denselben Zahnstatus aufweisen, war die eigentliche Behandlung das geringste Problem. Der maßgebliche Unterschied zeigt sich an den Eckzähnen, die mit bis zu 50 Millimeter deutlich größer und länger sind.

Nach zwölf Tagen Aufenthalt wurde mir klar, dass eine zweite Projektphase folgen müsste. Bei einigen Patienten war der Bedarf für aufwendigere Behandlungen gegeben. Daher brach ich im April 2016 mit meiner Frau und meiner Tochter erneut nach Chimfunshi auf.

Im Gepäck hatten wir neben von GABA gesponsorten Bürsten und Pasten, eine mobile Dentaleinheit von der Flüchtlingsunterkunft am Olympiastadion und Materialien für annähernd alle zahnärztlichen Behandlungen. Die Behandlung fand diesmal nicht unter freiem Himmel statt, sondern im Education Center. Als Patientensitzgelegenheit diente ein Campingstuhl, der Strom für die Dentaleinheit wurde über Solarpanels erzeugt, so dass bei Sonnenschein annähernd professionell gearbeitet werden konnte. Rasch bildeten sich Schlangen von behandlungswilligen Kindern, was wohl eher an den Präsenten als an meiner Behandlung lag. Nach fünf Tagen waren alle Kinder und das Gros der Erwachsenen zahnmedizinisch befundet und behandelt.

Behandlung mit Countdown

Wurzelkanalbehandlungen bei den beiden Schimpansen Choco und Günther krönten meinen Besuch. Nachdem die Tiere durch ein Dartgewehr betäubt waren, hatten wir genau 20 Minuten, um zu behandeln. Ein Helfer zählte die Uhr runter. Die endodontologischen Behandlungen wurden an abgebrochenen Eckzähnen exakt so wie in der Praxis durchgeführt, mit der Ausnahme, dass kein Kofferdam gelegt wurde. Mit einer Füllung aus Ketac Fil wurde die Behandlung pünktlich abgeschlossen.

„Thank you doctor“

Der Aufenthalt in Chimfunshi hat uns alle sehr erfüllt. Für einen kurzen Zeitraum durften wir Teil einer sehr herzlichen und gut funktionierenden Dorfgemeinschaft sein. Die Bewohner sind trotz der einfachen Umstände mit dem Leben in den Hütten und Häusern ohne Strom und fließendes Wasser sehr zufrieden. Diesen dankbaren Menschen und aufregenden Tieren im vielfältigen Sambia helfen zu können, bereitet Freude. Mir bleibt besonders der Dank eines Landarbeiters in Erinnerung, der mit starken Zahnschmerzen acht Kilometer zu Fuß zur Behandlung kam. Nach der Extraktion lief er die acht Kilometer wieder nach Hause und am nächsten Tag erneut die acht Kilometer zu uns, nur um sich zu bedanken: „Thank you doctor, good doctor, I can sleep now.“

Dr. Mathias Gnauert

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