Die Digitalisierung des Gesundheitswesens

E-Health: Motive der Industrie

Die Zahl der elektronischen Anwendungen im Gesundheitsbereich steigt und steigt. Doch was bringen die eigentlich? Was geht schon, was wäre möglich? Wer ist wie in die Entwicklung eingebunden? Wer hat welches Interesse? Sortierung tut not. Involviert sind zahlreiche Akteure, im vierten Teil geht es um die Motive der Industrie – von den proklamierten Potenzialen bis zu den erreichten Erfolgen.

+++ 2013 exportierte die gesundheitswirtschaft güter für fast 90 milliarden euro +++

+++ 05.01.2016: laut bmg arbeiten im gesundheitswesen 5,2 millionen menschen. damit gilt die branche als jobmotor +++

+++ 08.02.2016: laut branchenverband bitkom hat philips bereits eine digitale plattform entwickelt, über die ärzte und patienten zugriff auf daten haben können +++

+++ 09.02.2016: 32 prozent der deutschen meinen, dass gesundheitsdaten niemanden etwas angehen, so eine umfrage des forschungsunternehmens yougov +++

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Weltweit gilt die Gesundheitswirtschaft als boomende Branche. Fachleute bezeichnen die digitale Medizin und den daran hängenden Wirtschaftszweig gern als einer der lukrativsten Märkte der Zukunft. Folglich rechnen sich die Konzerne auch hohe Renditen aus.

Was geht am Gesundheitsmarkt?

„Die Branche ist auf Expansionskurs“So ist etwa auch für das Bundesministeriumfür Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) die deutsche Gesundheitswirtschaft eine Wachstumsbranche auf Expansionskurs. „Ihre Bruttowertschöpfung ist im Zeitraum von 2007 bis 2013 jährlich im Schnitt um 3,5 Prozent gestiegen – deutlich schneller als die Gesamtwirtschaft mit 2,4 Prozent Wachstum“, heißt es gleichlautend aus beiden Ministerien.

Zudem strahle die Gesundheitswirtschaft erheblich auf andere Branchen aus und führe dort zu weiteren Wachstums- und Beschäftigungsimpulsen. Durch Aufträge von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft an Unternehmen anderer Branchen entstehe so eine weitere Bruttowertschöpfung als sogenannter indirekter Effekt in Höhe von 86 Milliarden Euro.

„Das Potenzial kann sich noch nicht voll entfalten“Der Bundesverband Gesundheits IT (bvitg) vertritt in Deutschland IT-Anbieter im Gesundheitswesen und versucht, die Struktur des Marktes für Gesundheits-IT zu erfassen. In seinem Branchenbericht „IT-Lösungen im Gesundheitswesen 2014“ nennt er diesbezüglich auch Zahlen. So erwirtschafteten die Unternehmen in 2012 über 1,6 Milliarden Euro bei einer Anzahl von knapp 12.000 Beschäftigten. Das Wachstum in der Gesundheits-IT-Branche liege mit 3,2 Prozent über dem Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2012 (0,7 Prozent) und über dem Wachstum der gesamten Informationstechnologie (1,54 Prozent), heißt es im Bericht.

Das Potenzial der Unternehmen sei jedoch viel größer, führt der Branchenbericht aus. „Schon heute bieten sie innovative Lösungen an, die den Institutionen des Gesundheitswesens einen bedeutenden Mehrwert bringen können. Dieses Potenzial kann sich jedoch nicht entfalten, da die Rahmenbedingungen (fehlende Telematikinfrastruktur, Unterfinanzierung etc.) eine flächendeckende Ausbreitung derzeit nicht erlauben.“ Sofern hier nicht gegengesteuert werde, verliere die Nachfrage und Wirtschaftskraft der Leistungserbringer nach innovativen prozessunterstützenden Branchenlösungen weiter an Dynamik, so der bvitg.

„Völlig neue Kooperationen sind möglich“Sich sein Stück vom Kuchen sichern will etwa auch der IT-Konzern Siemens. Mit seiner Sparte Medizintechnik machte der Konzern – mit weltweit rund 43.000 Beschäftigten – nach eigenen Angaben 2014 einen Jahresumsatz von rund zwölf Milliarden Euro und sieht sich selbst als Nummer eins bei bildgebenden Verfahren wie Röntgenapparaten und Computertomografen sowie bei der Erfassung und Weiterleitung daran hängender Daten. Und auf dem Gebiet des Datenaustauschs sieht das Unternehmen weiteres Potenzial.

Um die (selbst) prophezeiten rosigen Aussichten für die Branche Realität werden zu lassen, gehen Firmen des Gesundheitsmarkts Kooperationen mit High-Tech-Unternehmen und Datenspezialisten ein. So arbeitet etwa der Schweizer Pharmakonzern Novartis mit Google zusammen, um Kontaktlinsen für Diabetiker auf den Markt zu bringen, berichtete das Handelsblatt. Der Vorteil der Linsen für die gesundheitliche Versorgung: Sie messen den Blutzuckerspiegel über die Tränenflüssigkeit, das für viele Diabetiker lästige Pieksen könnte wegfallen.

„Die digitalen Technologien bieten unzählige Chancen“Digitale Technologien werden die Medizin und die Gesundheitswirtschaft in den nächsten zehn Jahren nachhaltig verändern. Davon zeigt sich auch der Digitalverband Bitkom überzeugt und verweist auf eine repräsentative Studie, die bereits in 2015 gemacht wurde. Hierfür wurden 102 Experten (Geschäftsführer und Vorstände von Pharmaunternehmen) rund um das Thema E-Health befragt. Dabei zeigte sich, dass acht von zehn Befragten (80 Prozent) erwarten, dass digitale Technologien entscheidend dazu beitragen werden, Krankheiten wie Krebs zu besiegen. Sieben von zehn (69 Prozent) sind überzeugt, dass sie helfen werden, die Lebenserwartung der Menschen zu verlängern. Und ebenso viele denken, dass dank digitaler Technologien Krankheiten besser vorgebeugt und so die Einnahme von Medikamenten reduziert werden kann. „Dank digitaler Technologien werden wir länger und gesünder leben, gleichzeitig werden die Kosten der medizinischen Versorgung reduziert“, so Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom. „Heute messen wir per Fitnesstracker unsere Vitalwerte und motivieren uns so zu mehr Bewegung. Oder wir prüfen unsere Herzleistung mit einer App, die uns bei Unregelmäßigkeiten warnt. Die Chancen der Digitalisierung für die Medizin sind noch lange nicht ausgeschöpft.“

„Wir können neue Geschäftsmodelle entwickeln“Infolge der Digitalisierung verändern sich auch Geschäftsmodelle in der Gesundheitswirtschaft, gibt sich Rohleder überzeugt. So würden etwa Pharmaunternehmen selbst Digitalprodukte wie zum Beispiel Apps, die bei der Medikamenteneinnahme unterstützen, anbieten. Dieser Ansicht waren schließlich 93 Prozent der Befragten in bereits genannter Umfrage. Außerdem werden sie auch vermehrt Dienstleistungen erbringen, zum Beispiel Gesundheitsdaten zur Entwicklung von neuen medizinischen Behandlungsformen oder für das Therapiemonitoring auswerten, wie 82 Prozent der Befragten bestätigten.

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Was laut Industrie noch passieren müsste

„Die Politik muss das Tempo anziehen“Als einer, der den Segen der digitalen Medien preist, gilt Hasso Plattner. Der Mitbegründer des Softwareunternehmens SAP und aktueller Aufsichtsratsvorsitzender hat SAP zu Deutschlands wichtigstem IT-Player gemacht. Er kritisiert, dass die Deutschen in der E-Health-Entwicklung viel zu langsam sind, und regt ein stärkeres Engagement an. Die datenschutzrechtlichen Sorgen der Deutschen aber bremsten die technologische Entwicklung aus, so Plattner in einem Interview mit dem Handelsblatt.

Zudem gebe es selbst bei den Medizinern selbst noch eine ganze Menge Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von digitaler Medizin. Doch während diese fürchteten, ihre medizinische Hoheit zu verlieren, könne andersherum die digitale Medizin die Ärzte in ihrer Arbeit unterstützen und ergänzen, so Plattner. Denn die stetig wachsenden Datenberge lieferten auch in der Gesundheitsbranche wichtige Informationen, die eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung bedeuten können.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte auf der weltgrößten Computer-Börse CeBIT 2016 in Hannover von der Politik eine schnellere Gangart. Hinsichtlich des Ausbaus leistungsfähiger digitaler Netze in der Gesamtwirtschaft im Allgemeinen und im Gesundheitsbereich im Besonderen forderte er im März dieses Jahres von der Bundesregierung, die Digitalisierung schneller voranzutreiben.

„Die Technik muss sicherer werden“Kritiker bemängeln am Hype um die Digitalsierung, dass Probleme mit Sicherheitslecks oder Computerviren gern unter den Tisch gekehrt würden. Allein in NRW wurden in den vergangenen Monaten mehrere Klinik-Server gehackt. Konsequenz: Die Kliniken mussten im Notfallbetrieb arbeiten, das heißt, fast alle Abläufe in der Klinik waren gestört, nur die nicht verschiebbare Operationen konnten durchgeführt werden. Natürlich gab es auch keinen Zugriff mehr auf digitale Patientendaten oder etwa benötigte Medikamente.

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„Die Qualitätssicherung muss optimiert werden“Anderes Beispiel: Zwar ist der Einsatz von 3-D-Druckern in der medizintechnischen Produktion gang und gäbe, allerdings nicht ohne Risiko, warnt der Branchenverband Spectaris: „Der 3-D-Druck erhöht die Gefahr von Fälschungen in der Medizintechnik ganz erheblich“, so der Verband. So habe man schon zahlreiche Fälschungen von Medizinprodukten festgestellt, einige davon stammten aus dem 3-D-Drucker: von Prothesen über Implantate und Komponenten für Rollstühle bis hin zu OP-Besteck. Daher fordert der Bundesverband Internetmedizin, Leitlinien, Standards und Grenzen für das Angebot digitaler Medizinprodukte. Eine Qualitätssicherung der Internetmedizin finde bisher nicht statt, so der Verband.

„Die Infrastruktur muss besser werden“Zudem: So verlockend die Wirtschaftsaussichten für die IT-Branche und die teilweise Erfolg versprechenden Produkte der Gesundheits- und Medizinindustrie auch sind, der Blick auf die Realität ernüchtert: Was alle Unternehmen beklagen, ist der derzeitige – verschleppte – Stand bei der Errichtung einer interoperellen Struktur. Also einer bundesweit einheitlichen technischen Basis, die es erlaubt, Daten auszutauschen und Produkte an den Start gehen zu lassen.

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Was kann die Industrie wirklich?

Desaster Elektronische GesundheitskarteUnd genau diese IT-Infrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen verzögert sich weiter. Die vom BMG gesetzten Fristen sind bereits jetzt nicht mehr einzuhalten und verschieben sich immer weiter nach hinten. Nachdem Tests zum Management der Stammdaten auf der Karte eigentlich im Herbst 2015 hätten starten sollen, sieht es jetzt so aus, dass es mit den Erprobungen wohl erst Ende 2016 oder Anfang 2017 losgeht. Und woran liegt es? An den fehlenden „Konnektoren“. Diese verbindungstechnischen Hardware-Geräte werden zwar als Basis gebraucht, um Daten überhaupt erst miteinender koppeln zu können. Doch die Industrie war bislang nicht in der Lage, termingerecht zu liefern.

Hat die Industrie die Dimension etwa unterschätzt?Die gematik, die zusammen mit der Industrie für die Errichtung der Infrastruktur zuständig ist (siehe Kasten gematik), sieht daher auch die Industrie in der Verantwortung: „Augenscheinlich hat die Industrie, die diese Vernetzung vornimmt, an manchen Stellen die Komplexität unterschätzt“, so Dr. Doris Pfeiffer, stellvertretende Vorsitzende der gematik. Die Industrie hält sich bei diesem Vorwurf bedeckt. Kritiker bemängeln, dass die großen Erwartungen an die Potenz der IT-Konzerne im Gesundheitsbereich Schlagseite bekommen haben: Demonstriert wird ein ungebremster Optimismus, was die wirtschaftlichen Wachstumsraten und die medizintechnischen Innovationen anbelangt.

Auf der anderen Seite jedoch versagen die Konzerne, wenn es darum geht, kleine, aber wichtige Komponenten für das „Schlüsselprojekt Gesundheitskarte“ zu liefern, ohne die das Großprojekt „E-Health“ nicht weiter gehen kann.

Doch genau bei der Kompatibilität der verschiedenen technischen Gegebenheiten, der sogenannten Interoperabilität, liegt der Hase im Pfeffer. Wie sagte die Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens (Grüne), auf dem „Deutschen Interoperabilitätstag“ Anfang April in Bochum? Es sei unvorstellbar, dass im Jahr 2016 Ärzte weder untereinander noch mit Kliniken und die Kliniken nicht mit Rehaeinrichtungen oder Apothekern kommunizieren können, weil sie verschiedene Datenkanäle benutzen.

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