Brexit und Zahnärzte

Wie geht es jetzt weiter?

Nach dem Votum der Briten für den Brexit gibt es eine endlose Liste mit Fragen, wie es weitergehen soll, was noch gilt und was sich alles ändern wird? Und mit welchen Konsequenzen? Das betrifft auch die zahnärztliche Versorgung. Welche Folgen hat der Brexit für Zahnärzte und die wirtschaftliche Situation ihrer Praxen? Wie reagieren die Patienten? Woher kommt das Praxispersonal? Eine Momentaufnahme.

Die britischen Zahnärzte stehen nach dem Brexit-Votum in Großbritannien „etwas ratlos genau wie viele Briten“ da. Diese Äußerung eines Sprechers des britischen Zahnärzteverbands (British Dental Association, BDA) – auf Nachfrage von zm in London – fasst die derzeitige berufliche Situation vieler Kollegen im Königreich zusammen. Zwar haben sich die Briten am 23. Juni mehrheitlich für einen Ausstieg aus der EU entschieden. Doch wie genau es jetzt weitergehen soll, das scheint in London derzeit niemand so richtig zu wissen. Und das sorgt bei den britischen Zahnärzten und bei Zahnärzten, die aus anderen EU-Ländern nach Großbritannien gekommen sind, für erhebliche Unruhe und Zukunftsangst.

Die BDA als größte, wichtigste und gesundheitspolitisch einflussreichste zahnärztliche Standesorganisation in Großbritannien hatte sich in den Monaten vor der historischen Abstimmung Ende Juni zurückgehalten. Man habe weder die Brexit-Seite noch die EU-Seite unterstützen wollen, erklärte der BDA-Sprecher. Vielmehr sei es der Organisation darum gegangen, den „BDA-Mitgliedern zeitnah relevante Informationen an die Hand“ zu geben, wie sie „in diesen bewegten Zeiten am besten agieren“ könnten.

Unruhe, Verunsicherung und Zukunftsangst

Die Nachfrage bei einigen britischen Zahnärzten ergab, dass die Verunsicherung in der Tat groß ist. „Ich sorge mich sehr, was jetzt geschehen wird“, so der Londoner Zahnarzt Dr. Mike Wilson. Wilson, der seit vielen Jahren für den staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) praktiziert, nebenbei aber auch Privatpatienten behandelt, glaubt, dass der Brexit „eine schwere wirtschaftliche Krise“ in Großbritannien auslösen könne. Und das, so hätten Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt, habe stets Auswirkungen auf den zahnärztlichen Sektor gehabt – egal, ob privat oder staatlich. Wilson: „Die Leute werden weniger Geld haben und seltener in die Praxis kommen.“

Eine Befürchtung, die auch von der BDA geteilt wird: „Es gibt zahlreiche Prognosen, die der britischen Wirtschaft als Folge des Brexit eine Rezession voraussagen“, so eine BDA-Sprecherin im Gespräch mit den zm. „Zwar ist es verfrüht, konkret prognostizieren zu können, welche wirtschaftlichen Folgen der Brexit tatsächlich haben wird. Aber britische Zahnärzte wissen aus der jüngsten Vergangenheit, dass wirtschaftlicher Rückgang und Rezession sehr negative Folgen für die britischen Zahnarztpraxen haben können! Generell gilt für Zahnärzte in Großbritannien: Jede Änderung der wirtschaftlichen Aktivitäten hat direkte Folgen auf das Patientenverhalten und damit auf die wirtschaftliche Situation der britischen Zahnärzte.“ Während der letzten Rezession in Großbritannien vor rund acht Jahren hätten einige Zahnarztpraxen laut BDA im Königreich Umsatzeinbrüche von bis zu 40 Prozent gemeldet. Betroffen seien sowohl private als auch staatliche Zahnarztpraxen gewesen.

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Welche Arbeitsplätze sind noch sicher?

Ebenfalls völlig unsicher ist, wie sich der beschlossene EU-Ausstieg auf die Arbeitsplatzsicherheit in den britischen Praxen auswirken wird. Die Praxen bauen seit Längerem sehr stark darauf, Praxismitarbeiterinnen aus anderen EU-Ländern zu beschäftigen, weil weder die Bezahlung noch die Arbeitsbedingungen als attraktiv angesehen werden und weil generell nicht genug Nachwuchskräfte ausgebildet werden. Laut BDA habe man „jahrelang“ auf den Import von Praxispersonal aus dem Ausland gesetzt, anstatt mehr in UK auszubilden. Das sei billiger.

Zwar konnte die BDA auf Anfrage keine konkreten Zahlen nennen. Aber in Großbritanniens Zahnarztpraxen dürften viele Tausend Praxishelferinnen beschäftigt sein, die keinen britischen Pass haben, sondern die Staatsangehörigkeit anderer EU-Staaten besitzen. Nach dem Brexit ist völlig unklar, was mit EU-Bürgern in Großbritannien geschehen soll, wenn das Land die Union offiziell verlässt. Die Regierung weigert sich bislang, konkrete Zusagen zu geben. Das hänge davon ab, wie andere EU-Länder wie Deutschland, Spanien und Frankreich britische Bürger, die dort leben und arbeiten, behandeln werden, ließ ein Regierungssprecher in London wissen.

„Bei uns in der Praxis arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus Polen, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Schweden“, berichtet ein Londoner Zahnarzt gegenüber den zm. „Es herrscht sehr große Unsicherheit, und das ist schlecht für die Praxis!“ Kein Einzelfall – überall im britischen Zahnarztsektor ist nach der Abstimmung Ende Juni diese Unsicherheit zu spüren. Gesundheitspolitische Beobachter wie der Londoner Klinikarzt Dr. Al Teague und Lee Towsey, Korrespondent diverser britischer Medien (Brighton), die seit vielen Jahren das gesundheitspolitische Geschehen in UK betrachten, glauben, dass es Jahre dauern könnte, bis genau feststeht, was zum Beispiel für die zukünftigen Beschäftigungsbedingungen nicht-britischer Zahnärzte und des Praxispersonals gilt.

Dazu die BDA: „Die Zahnmedizin in Großbritannien wird stark beeinflusst von EU- Bestimmungen bezüglich Arbeitsplätzen und Zulassungen sowie in Bezug auf Import von Verbrauchsmaterial und der gesetzlichen Regulierung der Zahnmedizin. Die BDA ist seit Langem aktives Mitglied beim Council of European Dentists. Durch den Brexit ergeben sich auch auf legislativer Ebene viele Fragen, die erst noch geklärt werden müssen.“ Im Klartext: Auch hier herrscht innerhalb der britischen Zahnärzteschaft weitgehend Ratlosigkeit.

Mit ihrer Unsicherheit stehen die Zahnärzte nicht allein. Ärzte, Apotheker und andere Gesundheitsberufe in Großbritannien fragen sich ebenfalls, wie es jetzt weitergehen soll. „Die Rahmenbedingungen werden sich mit dem EU-Austritt dramatisch verändern und wir stehen in vielerlei Hinsicht quasi vor einem Neubeginn“, so die BDA. Man merkt, dass der Berufsverband wie die meisten anderen Briten von dem knappen Brexit- Votum am 23. Juni überrascht wurde.

"Wir erwarten enorme Veränderungen!"

Und nun? „Wir werden unseren Mitgliedern in den kommenden Wochen und Monaten mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie über den neuesten Stand der Verhandlungen informieren und beraten, was die Ergebnisse konkret für jede einzelne Praxis und für jeden einzelnen Zahnarzt und dessen Praxis-Kollegen bedeuten wird“, so der BDA-Sprecher.

Mick Armstrong, BDA-Chairman fügt hinzu: „In diesem frühen Stadium wissen wir noch nicht, welche Konsequenzen der Brexit für Zahnärzte konkret haben wird. Aber wir erwarten, dass dem zahnärztlichen Sektor in Großbritannien tief greifende Veränderungen bevorstehen.“

Arndt Striegler, London

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