Der besondere Fall mit CME

Pyogenes Granulom bei einem Kind

Kawe Sagheb
,
Keyvan Sagheb
,
Christian Walter
,
Ein ansonsten gesundes elfjähriges Mädchen stellte sich zur Abklärung einer seit einigen Wochen bestehenden circa ein Zentimeter großen, dunkelroten und schmerzlosen Schleimhautveränderung mittig im Bereich der Zungenunterseite vor.

Die exophytisch wachsende Raumforderung saß der Unterlage breitbasig auf, war nicht druckdolent und sehr weich (Abbildung 1). Es gab keine Anzeichen für eine Infiltration in die Tiefe beziehungsweise in die Zungenmuskulatur.

Die Patientin berichtete jedoch über spontane Blutungen und eine langsame Wachstumstendenz innerhalb der vergangenen Wochen. Anamnestische Hinweise auf das Vorliegen einer B-Symptomatik oder Einschränkungen der Motorik oder eine Sensibilität im Bereich der Zunge lagen nicht vor. Auch zeigten sich in einer routinemäßig durchgeführten sonografischen Untersuchung der Kopf-Hals-Region keine Pathologien insbesondere in Hinblick auf Halslymphknoten oder Speicheldrüsen.

Der Befund wurde in Lokalanästhesie mit einem knappen Sicherheitsabstand in toto entfernt und der feingeweblichen Untersuchung zugeführt. Hier zeigte sich eine reaktive Epithelveränderung auf dem Boden einer chronisch entzündlichen Reaktion mit Entzündungszellen und zahlreichen dünnwandigen Blutgefäßen und Fibroblasteneinsprossungen (Abbildung 2), passend zur klinischen Verdachtsdiagnose eines pyogenen Granuloms. Im weiteren Verlauf kam es zu einer reizfreien Ausheilung ohne Rezidiventwicklung.

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Diskussion

Das enorale pyogene Granulom (PG) ist eine häufig vorkommende, nicht neoplastische, inflammatorische Hyperplasie unklarer Genese [Jafarsadeh et al., 2006].

Der Terminus „pyogenes Granulom“ wurde 1904 von Hartzell geprägt, ist jedoch ätiologisch nicht zutreffend, da das pyogene Granulom weder klinisch mit Pusbildung einhergeht, noch histologisch einem Granulom entspricht [Bugshan et al., 2015]. Auch die ursprüngliche Annahme, diese Erkrankung entstehe auf dem Boden pyogener Organismen ist nicht zutreffend [Neville et al., 2009]. Die genaue Ätiologie ist weiterhin nicht vollständig geklärt, aber verschiedene Faktoren scheinen die Entstehung von pyogenen Granulomen zu begünstigen.

Unter Verdacht stehen vor allem Traumen und chronische Irritationen durch zum Beispiel Zahnstein oder Fremdmaterial (Zahnersatz) und gingivale Entzündungen infolge mangelhafter Mundhygiene. Aber auch hormonelle Dysregulationen und Medikamente scheinen einen Einfluss zu haben [Bugshan et al., 2015].

Das pyogene Granulom tritt vorwiegend bei jungen Frauen in der zweiten Lebensdekade auf, wahrscheinlich bedingt durch vaskuläre Effekte des weiblichen Hormonhaushalts [Jafarsadeh et al., 2006]. Fünf Prozent aller Schwangeren entwickeln vornehmlich im ersten Trimenon mit steigender Inzidenz bis zum siebten Schwangerschaftsmonat ein pyogenes Granulom, so dass die Gravidität eine der Hauptursachen für die Entstehung von pyogenen Granulomen darstellt. Ursächlich dürfte hier das veränderte Hormongleichgewicht sein [Jafarsadeh et al., 2006].

Enoral manifestiert sich das pyogene Granulom mit 75 Prozent hauptsächlich auf der Gingiva, meist mit Bezug zu Zähnen, etwas häufiger in der Maxilla sowie auf den anterioren wie vestibulären Flächen der Gingiva. Es kann prinzipiell aber in der gesamten Mundhöhle auftreten [Sachdeva, 2015]. Weitere Lokalisationen sind die Lippen, die Zunge und die Wangenschleimhaut.

Die Raumforderung zeigt ein tumorähnliches Wachstum mit Größen von wenigen Millimetern bis zu einigen Zentimetern [Gokhale et al., 2015]. Sie kann glatt oder lobuliert sein, ist in der Regel gestielt, kann aber auch breitbasig aufsitzen. Die Oberfläche kann insbesondere bei größeren pyogenen Granulomen Ulzerationen aufweisen und besitzt meist eine rötliche bis violette Farbe.

In der Regel sind sie asymptomatisch und schmerzlos, aber insbesondere junge pyogene Granulome neigen auch bei kleinsten Traumen zu Blutungen, was der erhöhten Vaskularisation geschuldet ist [Sachdeva, 2015; Gokhale et al., 2015]. Ältere pyogene Granulome haben einen höheren Kollagenanteil und sind eher rosafarben. Klinisch kann die Abgrenzung zu malignen Tumoren partiell schwierig sein, so dass eine histologische Untersuchung erforderlich ist, um eine maligne Differenzialdiagnose auszuschließen [Bugshan et al., 2015].

Histopathologisch besteht ein pyogenes Granulom aus einem hoch vaskularisierten Granulationsgewebe. Bei Ulcera kann man typischerweise drei Schichten erkennen: die oberflächlich liegende Resorptionszone des Ulkusgrundes, der mit pathogenen Erregern besiedelt ist, die darunter befindliche Bindegewebsneubildungszone, an die sich die ausgereifte Bindegewebszone anschließt, von wo aus das Gewebe aus der Tiefe regeneriert. Beim pyogenen Granulom schießt die Auffüllung von Gewebedefekten über, so dass sich das typische Erscheinungsbild ergibt mit Caro luxurians, dem „wilden Fleisch“. Eine suffiziente Epithelialisierung und konsekutive Abheilung werden hierdurch erschwert.

Die Therapie des pyogenen Granuloms besteht aus der Beseitigung der ursächlichen Irritationen, meist gefolgt von einer konservativen chirurgischen Exzision mit anschließender histopathologischer Untersuchung. Bei gingivalen pyogenen Granulomen wird zur Vermeidung von Rezidiven die Exzision unter Mitnahme des Periosts empfohlen. Hier sollten auch angrenzende

Zähne mittels Scaling mitbehandelt werden, um weitere Irritationen durch Zahnstein zu vermeiden. Als alternative Behandlungsstrategien werden neben der laserchirurgischen Entfernung unter Vereisung auch intra-läsionale Injektionen mit Ethanol oder Corticosteroiden erfolgreich beschrieben [Jafarsadeh et al., 2006]. In seltenen Fällen rezidiviert das pyogene Granulom, so dass eine erneute Exzision durchgeführt werden sollte. Pyogene Granulome, die sich im Rahmen der Schwangerschaft entwickeln, bedürfen nicht immer einer Therapie, da diese sich mit dem Ende der Schwangerschaft wieder zurückbilden können, so dass der Verlauf abgewartet wird und diese bei Bestehen der pyogenen Granulome über die Schwangerschaft hinaus dann erst entfernt werden.

Hier sei aber nochmals explizit darauf hingewiesen, dass differenzialdiagnostisch auch andere maligne Erkrankungen infrage kommen, die sehr wohl einer Therapie bedürfen.

Im vorliegenden Fall passten sowohl das Alter, das Geschlecht als auch die Wachstumsdynamik der Patientin zur gestellten Verdachtsdiagnose. Lediglich die Lokalisation des Befunds auf der Unterseite der Zunge stellte nicht die typische Lokalisation dar.

Kawe Sagheb, Dr. Dr. Keyvan Sagheb, PD Dr. Dr. Christian WalterKlinik für MKG-Chirurgie – plastische Operationen der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainz E-mail:Dr. Cristina L. Cotarelo,Institut für Pathologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzLangenbeckstr. 1, 55131 Mainz

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