Form und Lage
Überzählige Zähne werden nach ihrer Lage im Zahnbogen und auch aufgrund ihrer Morphologie eingeteilt. Basierend auf der Lage unterscheidet man bei überzähligen Zähnen zwischen Mesiodens (Oberkiefer median), zwischen den zentralen Inzisiven (Abbildungen 5 und 6), einem zusätzlichen Schneidezahn (zentral oder lateral), Eckzahn, Prämolar (Abbildung 7), Paramolar und Distomolar (Abbildungen 8). Mesiodentes werden am häufigsten dia- gnostiziert, wobei Prozentsätze zwischen 38,8 Prozent bis 86,3 Prozent der überzähligen Zähne in der Literatur zu finden sind [Salcido-García et al., 2004/38,8 Prozent, Fernández Montenegro et al., 2006 /46.9 Prozent; Mossaz et al., 2014/48.5 Prozent; Ferrés-Padró et al., 2009/53.2 Prozent; Schmuckli et al., 2010/75 Prozent; Rajab Hamdan 2002/83.2 Prozent; Liu et al., 2007/86.3 Prozent]. Überzählige Prämolaren und seitliche Schneidezähne sind die zweithäufigste Gruppe der überzähligen Zähne. Überzählige Eckzähne, Paramolaren und Distomolaren dagegen gelten als eher selten [Rajab Hamdan, 2002; Salcido- García et al., 2004; Liu et al., 2007; Ferrés-Padró et al., 2009; Schmuckli et al., 2010; Mossaz et al., 2014]. Einzig eine Spanische Gruppe [Fernández Montenegro et. al., 2006] berichtete, dass Paramolaren und Distomolaren insgesamt relativ häufig seien (18 Prozent, beziehungsweise 5,6 Prozent). Überzählige Zähne kommen im Ober- und Unterkiefer vor, wobei sich überzählige Schneidezähne in der Regel im Oberkiefer, überzählige Prämolaren sich dagegen eher im Unterkiefer befinden [Fernández Montenegro et al., 2006; Ferrés-Padró et al., 2009; Mossaz et al., 2014]. Überzählige Molaren wiederum treten normalerweise im Oberkiefer auf [Cassetta et al., 2014; Kaya et al., 2014].
Bei überzähligen Zähnen werden vier morphologische Typen unterschieden: konisch (Abbildung 9), tuberkulär (höckerförmig; Abbildung 10), überzählige Zähne mit identischer Zahnform (Abbildung 11) und Odontom (Abbildung 12) [GARVEY et al. 1999]. Der konische überzählige Zahn ist ein kleiner, zapfenförmiger Zahn und zudem der häufigste Fall im bleibenden Gebiss [Rajab Hamdan 2002, Liu et al. 2007, Gündüz et al., 2008; Ferrés-Padró et al., 2009; Hyun et al., 2009; Schmuckli et al., 2010; Mossaz et al., 2014]. Er kommt oft zwischen den oberen zentralen Schneidezähnen vor und entwickelt sich gleichzeitig zur Wurzelbildung der bleibenden Schneidezähne. Konische überzählige Zähne führen meist nicht zu einer Durchbruchstörung oder -behinderung der zentralen Schneidezähne. Tuberkuläre, überzählige Zähne sind größer als der konische Typ und besitzen einen zusätzlichen charakteristischen Höcker oder Tuberkel der Zahnkrone. Sie kommen oft gepaart vor und liegen in der Regel palatinal der oberen mittleren Schneidezähne. Im Gegensatz zu konischen überzähligen Zähnen brechen die meisten tuberkulären nicht in die Mundhöhle durch und es kommt nicht selten zur Durchbruchstörung oder -behinderung der zentralen Schneidezähne [Mason et al., 2000; Minguez-Martinez et al., 2012]. Überzählige Zähne mit identischer Zahnform sind Zähne, welche vom eigentlichen Zahn in der Lage (also in der Zahnreihe gelegen) und Form nicht zu unterscheiden sind.
Die überzähligen Zähne mit identischer Zahnform finden sich normalerweise beim oberen seitlichen Schneidezahn. Zusätzliche Prämolaren und Molaren können aber auch auftreten. Die Mehrheit der überzähligen Zähne im Milchgebiss sind vom identischen Zahnform-Typ und bleiben nur selten impaktiert oder retiniert.
Der letzte Typ der überzähligen Zähne ist das Odontom. Obwohl das Odontom gemäß WHO-Klassifikation als odontogener Tumor eingeteilt wird [Praetorius Piatelli, 2005], sind sich heute die meisten Autoren darin einig, dass ein Odontom keine benige Neoplasie darstellt, sondern eine hamartomatöse Fehlbildung ist [Garvey et al., 1999; Wang Fan, 2011]. Beim Odontom können zudem klinisch-radiologisch sowie histologisch zwei Arten unterschieden werden: Das komplexe Odontom, bei welchem Zahnhartgewebe als diffuse Masse, das heißt gänzlich unorganisiert angelegt ist, und das zusammengesetzte Odontom, welches aus multiplen zahn- ähnlichen Strukturen besteht, die jeweils bindegewebig abgegrenzt sind.
Überzählige Zähne werden auch als eumorph beschrieben, wenn die Zähne eine ähnliche Morphologie zu ihrem entsprechenden Zahntyp zeigen (analog zu den oben beschriebenen überzähligen Zähnen mit identischer Zahnform). Als dysmorph (heteromorph oder rudimentär) werden entsprechend überzählige Zähne bezeichnet, die eine abnormale Form und Größe, (in der Regel kleiner) haben, was den oben beschriebenen konischen, tuberkulären und Odontom-Typen entspricht [Primosch, 1981]. Mesiodentes haben in der Regel eine konische oder tuberkuläre Form.
Überzählige Prämolaren zeigen eine identische Zahnform. Überzählige Zähne in anderen Regionen des Ober- und Unterkiefers haben dagegen keine charakteristische Morphologie [Fernández Montenegro et al., 2006; Gündüz et al., 2008; Hyun et al., 2009; Schmuckli et al., 2010; Mossaz et al., 2014].
Überzählige Zähne können sich in der Richtung des normalen Durchbruchs entwickeln oder sie können inkliniert, horizontal oder in einer umgekehrten Position (invers) liegen. Ungefähr ein Drittel bis die Hälfte der überzähligen Zähne in der Oberkieferfront zeigen eine inverse Position [Humerfelt et al., 1985; Koch et al., 1986; von Arx, 1990; Tyrilogou, 2005; Liu et al., 2007; Gündüz et al., 2008; Hyun et al., 2009; Mossaz et al., 2014].
Dagegen haben überzählige Prämolaren in der Regel eine geneigte oder normale Eruptionslage [Mossaz et al., 2014]. Überzählige Zähne können normal durchbrechen oder bleiben retiniert beziehungsweise teilretiniert. Frühere Studien berichteten, dass zwischen 15 Prozent [Tay et al., 1984) und 34 Prozent [LIU et al., 1995] der überzähligen Zähne erst im bleibenden Gebiss durchbrechen. Im Gegensatz dazu eruptieren 73 Prozent der überzähligen Zähne bereits im Milchgebiss [Humerfelt et al., 1985}. Nicht-durchgebrochene überzählige Zähne können asymptomatisch bleiben und werden erst zufällig während einer routinemäßigen Zahnkontrolle auf einem Röntgenbild – in der Regel einer intraoralen Aufnahme – diagnostiziert. Überzählige Zähne werden jedoch auch dann entdeckt, wenn ein bleibender Zahn in seinem Durchbruch entweder verzögert oder in seiner Lage verschoben ist.
Folgende klinische Probleme und Komplikationen können auf überzählige Zähne, vor allem die des Oberkieferfrontzahnbereichs, hinweisen:
Komplikationen aufgrund von überzähligen Zähnen
Überzählige Zähne sind die häufigste Ursache für einen unterbliebenen oder verzögerten Durchbruch der oberen Schneidezähne (Abbildungen 13, 14, 15) [Betts Camilleri, 1999]. Besonders beim höckerförmigen Typ kommt es häufig zu Störungen der Eruption der oberen Schneidezähne [Mason et al., 2000]. Diese Komplikation macht sich klinisch initial dadurch bemerkbar, dass die oberen seitlichen Schneidezähne durchbrechen und die Eruption von einem oder beiden zentralen Schneidezähnen ausbleibt [Rajab Hamdan, 2002]. Auch in anderen Lokalisationen der Kiefer können überzählige Zähne zu Durchbruchsstörungen benachbarter Zähne führen [Garvey et al., 1999; Rajab Hamdan, 2002; Mossaz et al., 2014]. Insgesamt liegt die Prävalenz für den Ausfall des Durchbruchs bleibender Zähne bedingt durch überzählige Zähne zwischen 10,2 Prozent und 61 Prozent [Tay et al., 1984; Koch et al., 1986; Tyrologou et al., 2005; Fernández Montenegro et al., 2006; Liu et al., 2007; Gündüz et al., 2008; Hyun et al., 2009; Mínguez-Martinez et al., 2012; Mossaz et al., 2014].
Überzählige Zähne können bei Nachbarzähnen von einer leichten Rotation bis hin zu einer körperlichen Verschiebung alle Formen der Lageveränderungen bewirken. Studien zeigen auf, dass etwa bei einem Drittel der überzähligen Zähne eine Verschiebung des benachbarten Zahns resultiert [Koch et al., 1986; von Arx, 1990; Tyrologou et al., 2005; Liu et al., 2007; Gündüz et al., 2008; Mossaz et al., 2014]. Tay und Mitarbeiter (1984) berichteten gar über eine noch höhere Prävalenz von 55 Prozent. Hyun und Mitarbeiter (2009) betonen, dass überzählige Zähne im Oberkieferfrontzahnbereich nicht selten auch zu einer Diastemabildung führen, was für die Therapieplanung von Bedeutung ist (Abbildungen 16 uns 17).
Wenn zusätzliche Zähne eruptieren, verursachen diese oft einen Engstand/Crowding in der bleibenden Dentition [Rajab Hamdan, 2002; Garvey et al., 1999]. Auch nicht durchgebrochene überzählige Zähne können sich mitunter klinisch über einen Engstand der bleibenden Zähne manifestieren.
Eine Verzögerung, Krümmung oder sonstige abnormale Entwicklung benachbarter Zahnwurzeln scheint selten zu sein, und es sind nur wenige Fallberichte bekannt [Yeung et al., 2003; Hansen Kjaer, 2004; Arslan et al., 2008].
In einer aktuellen Arbeit berichteten Mossaz und Mitarbeiter (2014) über eine relativ hohe Prävalenz (22,8 Prozent) der Wurzel- resorptionen an benachbarten Zähnen, wobei besonders häufig überzählige Prämolaren zu Resorptionen führen (Abbildung 18). Für die Beurteilung der Wurzelresorptionen wurden digitale Volumentomografie (DVT) der Patienten herangezogen. In einer Studie aus China, welche ebenfalls DVT-Bilder beurteilte, wurde über eine deutlich geringere Häufigkeit von Wurzelresorptionen (1,6 Prozent) berichtet [Liu et al., 2007]. Im Gegensatz zu den Daten aus der Schweiz war Diagnose und Bewertung von Wurzelresorptionen kein primäres Ziel dieser Studie und es wurde auch keine Information über das Ausmaß der Resorptionen gegeben.
Daher könnte diese Studie leichte oder mäßige Wurzelresorptionen nicht eingeschlossen haben, was zumindest einen Teil des doch deutlichen Unterschieds in den Prozentsätzen erklären würde. Studien, welche Panoramaschichtaufnahmen zur Diagnose von Wurzelresorptionen heranziehen, berichten über Resorptionsraten zwischen 4,7 Prozent [Gündüz et al., 2008] und 7,6 Prozent [Hyun et al., 2009]. Tyrologou und Mitarbeiter (2005) berichteten sogar, dass keine Resorption im untersuchten Patientengut vorhanden waren. Allerdings wurden in dieser Studien nur Mesiodentes beurteilt, wo Wurzelresorption benachbarter Zähne eher selten vorkommen [Mossaz et al., 2014]. Generell lässt sich festhalten, dass zweidimensionale Röntgenaufnahmen für die Diagnose von Wurzelresorptionen eher ungenau sind und diese so in bis zu 50 Prozent der Fälle übersehen werden [Ericson Kurol, 1987, Heimisdottir et al., 2005; Botticelli et al., 2011; Alqerban et al., 2011a].
Radiologisch erscheint der Zahnfollikel um retinierte überzählige Zähne als eine dünne perikoronale Radio-luzenz, welche in der Regel nicht breiter als 3 mm ist [Mossaz et al., 2014] (Abbildung 19). Andere Autoren betrachten eine Breite von 2 mm als physiologisch [Tyrilogou et al., 2005]. Bis heute fehlen aber klare Angaben zu den normalen Dimensionen des Zahnfollikels, das heißt, es ist radiologisch nicht eindeutig zu erkennen, wann ein zystischer Prozess vorliegt [Villalba et al., 2012]. Studien berichteten über eine (pathologische) Erweiterung des Follikularraums in 1,4 Prozent bis 5,3 Prozent der überzähligen Zähne [von Arx 1990; Tyrologou et al., 2005; Liu et al., 2007; Hyun et al., 2009; Mossaz et al., 2014]. Dagegen sahen Koch und Mitarbeiter (1986) bei 54 überzähligen Zähnen keine Erweiterung des perikoronaren Raumes während des Beobachtungsintervalls (Mittelwert: 7,3 Jahre).
Eine Eruption des überzähligen Zahnes in die Nasenhöhle ist sehr selten [Primosch, 1981; von Arx, 1990; Stellzig et al., 1997; Rajab Hamdan, 2002]. Fallberichte werden jedoch immer wieder publiziert [Clementi et al., 2012; Krishnan et al., 2013; Mohebbi et al., 2013]. In einer großen Stichprobe waren 3,6 Prozent der überzähligen Zähne, meistens Mesiodentes, nach nasal durchgebrochen [Hyun et al. 2009] (Abbildung 20).
Die Anwesenheit eines impaktierten überzähligen Zahnes kann eine Zahnimplantation oder auch augmentative-rekonstruktive Verfahren bei Patienten mit Gaumenspalten beeinträchtigen [Garvey et al., 1999; Wang Fan, 2011].
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