Volker Looman zu „sicheren“ Investitionen

Das gespaltene Verhältnis des Menschen zu Risiken

Volker Looman

Kann ich mit Ihnen heute mal über Risiken bei Geldanlagen sprechen? Mir ist bewusst, dass das Thema heikel ist, weil Risiken für die meisten von Ihnen der Vorhof der Hölle sind. Arbeit, Ehe und Leben enthalten Risiken. Sie können arbeitslos werden, Ihr attraktiver Partner kann sich aus dem Staub machen, und Sie können krank werden. Genauso können Sie aber auch Karriere machen, in 35 Jahren immer noch verliebt sein und Sie können vor Gesundheit strotzen. Den meisten unter uns ist nicht bewusst, dass Risiko – neutral ausgedrückt – nichts anderes als die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine bestimmte Erwartung erfüllt wird. Sollte Ihnen das nicht klar sein, kann ich nur hoffen, dass sich das bald ändert, weil nirgendwo mehr „erwartet“ wird als beim Geld.

Das beste Beispiel sind Aktien und Immobilien. Ich erlaube mir die These aufzustellen, dass Sie gar nicht der solide Anleger sind, für den Sie sich so gerne halten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind Sie – so viel Provokation sei erlaubt – ein veritabler Spekulant, der sich nur wenig von dem Spieler unterscheidet, der im Casino am Roulette-Tisch sitzt. Ahnen Sie jetzt, was Risiko ist? Sie haben die Erwartung, dass die Kugel auf die 23 fällt. Das Ereignis kann eintreten, es kann ausbleiben, und alles ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit!

Übertragen wir das Beispiel auf eine Immobilie. Sie haben 100.000 Euro geerbt und wollen das Geld „sicher“ anlegen. Deshalb sind Sie auch bereit, die Erbschaft um einen Kredit von 400.000 Euro aufzustocken und die halbe Million in eine Wohnung zu stecken, die 15 Jahre vermietet wird. Warum in aller Welt machen Sie das? Was würden Sie zu Protokoll geben, wenn ich Sie bäte, mir nicht zu erzählen, wie „super“ die Immobilie und „toll“ der Kreditzins sind, sondern in einem zweiseitigen „Besinnungsaufsatz“ darzulegen, was Sie von diesem Deal erwarten. Das wäre ganz schön fies – oder nicht?

Was erwarten Sie also von Ihrem künftigen Dasein als Kleingrundbesitzer? Wie soll sich zum Beispiel die Miete entwickeln? Soll der Wert des Hauses fallen, gleich bleiben oder steigen? Soll der Kredit in 15 Jahren getilgt sein? Wie hoch soll die Rendite der Anlage sein? Mir ist bewusst, dass diese Fragen ätzend sind und der Vorfreude auf das zukünftige Investorendasein erheblich beeinträchtigen. Aber es geht um Ihr Erbe und nicht um das meinige!

Vielleicht helfen Ihnen ja folgende Formulierungshilfen. Die Miete soll jedes Jahr um 1 Prozent steigen. Der Kredit soll in 15 Jahren vom Tisch sein. Der Wert der Wohnung soll zu diesem Zeitpunkt beim Zwanzigfachen der Jahresmiete liegen. Die jährliche Rendite nach Steuern soll 3 Prozent betragen.

Sehen wir uns den Zahlungsplan an. Sie legen effektiv 100.000 Euro auf den Tisch. Die jährlichen Zuzahlungen bewegen sich zwischen 14.000 und 15.000 Euro. Der Endwert soll bei 418.000 Euro liegen. Das führt nach Steuern zu einer Rendite von 2,9 Prozent pro Jahr. Damit scheint (fast) alles im grünen Bereich zu sein. Nun kommt freilich die Frage aller Fragen. Wie hoch ist das Risiko, dass die Sache klappt und die Rechnung aufgeht? 35 Prozent? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf Sand bauen und die Verzinsung nur 1 oder 2 Prozent beträgt? 25 Prozent?

Bitte überlegen Sie genau, was Sie jetzt sagen. Falls Sie glauben, die Wahrscheinlichkeit, die 3 Prozent-Hürde zu überspringen, liege bei 75 Prozent, sollten Sie von Zahnarzt auf Hellseher umschulen, und wenn Sie die Meinung vertreten, die Hoffnung werde zu 45 Prozent in Erfüllung gehen, erinnert mich das an die Einschätzung junger Männer, die von sich behaupten: Ich bin 33 Jahre alt, werde in drei Jahren ein tolle Frau heiraten, in fünf Jahren stolzer Vater eines Buben mit blauen Augen und in zehn Jahren alleiniger Eigentümer von Ferrari sein.

Im Grunde wissen alle Anleger, dass sie nichts wissen. Nur wollen sie das beim Geld nicht wahrhaben, und bei Immobilien scheint mir der Anteil der Gaukler und Bänkelsänger besonders hoch zu sein. Ich kann mir diese Selbstüberschätzung nur mit der Intransparenz von Immobilienpreisen erklären. Die Kurse deutscher Aktien werden, dem Anleger sei’s geklagt, jeden Abend vor der Tagesschau im Fernsehen präsentiert. Wer aber geht einmal im Monat zum Sachverständigen, legt jedes Mal brav 666 Euro auf den Tisch und bittet um sachdienliche Hinweise, wie hoch der Wert seiner Immobilie in Gauselfingen auf der Schwäbischen Alb ist?

Ich habe wirklich nichts gegen Immobilien, doch ich finde den Mut, insgesamt 500.000 Euro auf eine Karte zu setzen, und das Vertrauen, alles werde gut, wirklich putzig. Vielleicht machen Sie sich einmal Gedanken darüber, ob die Anlage von 100.000 Euro ohne Kredit in einen Indexfonds mit 1.000 Aktien nicht „risikoärmer“ ist. Das sind 100 Euro pro Firma, und wenn 111 Unternehmen gegen die Wand fahren, können Sie sich entspannt zurücklehnen und sich über die 889 Überlebenden freuen. Das hat doch was Beruhigendes. Oder ist es bei Ihnen in der Praxis so langweilig, dass Sie bei der Geldanlage den ultimativen Kick – die Wohnung auf Pump in Gauselfingen – wirklich brauchen?

Kolumnen entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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