Young-Esthetics-Preis 2016

Ästhetische Rehabilitation mit zahlreichen Vorbehandlungen

Schmerzen, funktionelle Probleme, mangelhafte Ästhetik: „Seit er zum Zahnarzt ging, wurde alles nur immer schlimmer. Immer gab es neue Füllungen“, beschreibt Dr. Helena Bienas das Drama ihres Patienten, den sie mit ihrer Therapie von seinen Leiden befreite und zu mehr Lebensqualität verhalf. Für ihr Behandlungskonzept erhielt Bienas den Young-Esthetics-Preis 2016 der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnmedizin (DGÄZ).

Der 53-jährige Patient hatte sich erstmals mit submandibulärem Abszess rechts, ausgehend von Zahn 47 bei mir vorgestellt. Nach abgeschlossener mikroskopischer Wurzelkanalbehandlung wollte er bei mir weiterbehandelt werden – insbesondere wegen seiner seit zehn Jahren schwindenden Zahnhartsubstanz mit begleitenden Schmerzen muskulär und auf Temperatur.

Spezielle Anamnese

Da er weder lächeln noch richtig kauen könne, wünsche er sich sehnlichst seine Zähne von vor zehn Jahren zurück. Seitdem er vor zwei Jahren eine Gleitsichtbrille bekommen hatte, litt er außerdem täglich unter Nacken-, Rücken- und Kopfschmerzen – ausgelöst durch die Computerarbeit im Job. Zu stoppen seien die Beschwerden innerhalb einer Stunde nur durch das bewusste Aufrichten der Lenden- und Halswirbelsäule – diese Übung hatte ihm der Orthopäde nach dem letzten Bandscheibenvorfall gezeigt.

Fünf Jahre zuvor hatte sich der Patient erstmals mit dem Wunsch zur Therapie seines fortschreitenden Zahnhartsubstanzverlustes bei seinem alten Zahnarzt vorgestellt. Dieser hatte ihm eine jährliche Zahnreinigung empfohlen und ihm zwei Jahre später ohne Funktionsuntersuchung eine Schiene zur Bisserhöhung angefertigt, die der Patient auch jede Nacht gerne trug, da er morgens ein gutes Gefühl habe.

Innerhalb der vergangenen fünf Jahre sei aber sein Leidensdruck bezüglich seines Lächelns; der Empfindlichkeit der Zähne auf kalt, süß und sauer; seiner Mundöffnungseinschränkung und des undefinierten Bisses gestiegen, obwohl er den Zahnarzt regelmäßig konsultiert hatte. Als Kind hatte er eine lose kieferorthopädische Behandlung und eine Frenulektomie im Oberkiefer, mit dem Ziel, das Diastema mediale zu schließen. Weisheitszähne waren keine angelegt.

Diagnostik

Extraoral:

Kerniges Gesicht mit kräftigen Massetern. Inzisionsnarbe in rechter Halsfalte.

Psychosozial:

Hohe Stressbelastung durch berufliche und familiäre Verantwortung. Keine Anzeichen für Angst oder Depression.

Intraoral:

(siehe Abbildung 1, 2) Adultes, starkes Abrasionsgebiss ohne Weisheitszähne. Überkront waren 26 sowie 37, 36 und 46 alle drei (insuff.). Füllungen hatten die Zähne 17 (insuff.), 16, 14, 23, 24, 25, 27, 35, 34, 44, 45 und 47. Zahnhalsdefekte zeigten 17, 15, 14, 25, 34, 44, Attritionen 16, 21, 34, 33 und 43. 27, 36 und 47 waren wurzelkanalbehandelt.

Der PA-Befund zeigte Sondierungstiefen (ST) von 4 mm mit Blutung an den Zähnen 16 (p), 15 (mb, p), 14 (mb), 11 (mp), 24 (mb). ST=5 mm hatten die Zähne 27 (mb) und 36 (b). ST=6 mm hatte Zahn 26 (db). Der BOP lag bei 27 Prozent. Rezessionen waren generalisiert, es gab keine Lockerungen oder Furkationsbefunde. Die Mundhygiene war interdental mangelhaft, die Schleimhaut ohne pathologischen Befund mit beidseits sichtbaren Wangenimpressionen.

Radiologisch:

generalisierter moderater horizontaler Knochenabbau und vertikaler Knocheneinbruch an Zahn 26 bis zu einem Viertel der Wurzel.

MRT:

Ohne pathologischen Befund.

Funktionell:

Die Kiefergelenke zeigten keinen pathologischen Befund.

Bei Palpation der Muskulatur waren der Musculus masseter superficialis und profundus links, der Musculus temporalis anterior beidseits und die Nackenmmuskeln beidseits schmerzhaft. Zur Missempfindung kam es am Musculus masseter superficialis und profundus rechts, am Musculus pterigoideus mediales beidseits und am linken Musculus digastricus venter posterior.

Die Mundöffnung war eingeschränkt. Sie lag aktiv bei 30 mm, mit Schmerzen ab 24 mm und passiv bei 37 mm. Von der zentrischen in die habituelle Okklusion wurde vertikal 1 mm gegleitet. Die vertikale Kieferrelation war zu niedrig.

In der Statik waren Overjet 1,5 mm und Overbite 2 mm. 17 stand zu 47 im Kreuzbiss. Die habituelle Okklusion war nicht fest definiert, sondern ergab ständig neue Ergebnisse. Dies stimmte mit der Beschreibung des Patienten überein, wonach er immer anders beiße und ohne Anspannung keinen richtigen Zahnkontakt bekomme. Die ersten Kontakte seien oft in der Front, dann gleite und presse er, damit er auf den Seiten aufkomme. Das Essen mahle er. Der Shimstock-Kontakt variierte seitenabhängig mit dem Pressen. In der Dynamik hatten nahezu alle Zähne Kontakt.

Ästhetisch:

In der Vertikalen waren faziale und dentale Mittellinie in Lage und Achsneigung harmonisch. Die dentale Unterkiefermitte war 1,5 mm rechts der Oberkiefermitte. Die faziale Mittellinie stand rechtwinklig auf der Bipupillarlinie. Davon wich die Horizontale durch die Eckzahnspitzen schräg nach links unten ab. Die Zähne 27, 36, 47 waren devital, aber nicht verfärbt. Die weiße Anatomie des Lächelns war disharmonisch. Beim Lachen harmonierten die Oberkieferschneidekanten nicht mit der Unterlippe und es entstand ein negativer Bogen.

Die Eckzahnspitzen berührten die Unterlippe nicht. Bezüglich der Zahnachsen war Zahn 12 vergleichsweise gerade. Der Goldene Schnitt traf nicht zu. Die Zähne 12 und 22 waren zu schmal.

Die Zahntextur war stark abradiert und scharfkantig. Zahn 21 hatte einen dominanten Schmelzdefekt. Im Breite-/ Längen-Verhältnis überwog die Breite dis-proportional (Zahn 11: 163 %; Zahn 21: 136 %, Zahn 12: 100 %; Zahn 22: 86 %, Zahn 13: 100 %; Zahn 23: 90 %). Die Oberkieferfont war von Diastemata geprägt (zwischen den Zähnen 11-21: 0,5 mm; 11-12: 2,5 mm; 12-13: 1 mm; 21-22: 2 mm; 22-23: 2,5 mm).

Die rote Anatomie war beim Sprechen und Lächeln nicht sichtbar. Der bukkale Korridor war schmal, das Lächeln breit. Die Rot-Weiß-Ästhetik wurde erst durch Fotohaken sichtbar.

Der Gingivasaum des Zahns 22 lag auf der ästhetischen Gingivalinie, der von 12 etwas unterhalb. Der Zenit der Einser lag regelrecht distal der Zahnachse. Das Lachen wirkte alt, da nur 5 Prozent der Oberkieferfront unterhalb der Mundwinkellinie platziert waren. Bei einem minimalen Papillenspitzenanstieg nach distal bestanden schwarze Löcher von 0,5 bis 2,5 mm zwischen den Oberkieferfrontzähnen. Der Gingivabiotyp war dünn.

Diagnosen

Initialdiagnosen

:

• Okklusiopathie mit gestörter statischer (Vorkontakte, Pressen) und dynamischer Okklusion (Fehlkontakte, Knirschen)

• Myopathie der Kaumuskulatur mit Missempfindung und Masseterhypertrophie

• Zustand nach Bandscheibenvorfällen vor 14 Jahren sowie vor einem Jahr

Nebendiagnosen:

• V. a. Fehlhaltung mit Bezug zur Aktivität der Kaumuskulatur und zur Kieferposition

• V. a. erhöhte Stressbelastung mit Einwirkung in die Aktivität der Kaumuskulatur

• V. a. erosive Ernährung

• lokale moderate chronische Parodontitis

• konservierend und prothetisch insuffizient versorgtes Gebiss

Differenzialdiagnosen:

• arthrogene Ursache

• nicht arthrogene ossäre Ursache

• myogene Ursache

• cicatricogene Ursache

• Inflammatio

Ätiologie

Die Befundätiologie war multifaktoriell bestimmt. Die Ursachen der gestörten habituellen Okklusion lagen in der Füllungstherapie des alten Zahnarztes, in der Abrasion und in der ernährungsbedingten Erosion. Erosion, Abrasion und Alter waren auch für den Verlust der Vertikalen mitverantwortlich. Die Okklusiopathie drückte sich unter anderem in Parafunktionen aus und übertrug sich auf die Muskeln, die dadurch im Funktionsbefund palpationsempfindlich waren. Das Knirschen lief besonders über die ventrale und kaudale Faserrichtung des Musculus masseter pars superficialis. Das Pressen erstreckte sich über die vertikalen Faserrichtungen des Musculus masseter pars profunda und des Musculus temporalis anterior.

Die genannten Muskeln waren zusammen mit dem ebenfalls im Funktionsbefund palpationsempfindlichen Musculus pterygoideus medialis Elevatoren, wodurch es zur eingeschränkten Mundöffnung kam. Diese wurde auch durch den palpationsempfindlichen Musculus digastricus venter posterior bedingt. Palpationsempfindlich waren auch die Nackenmuskeln, die den Kopf stabilisieren und ihn im Gleichgewicht halten.

Jede Veränderung der Kopfhaltung oder Körperhaltung bewirkt eine Positionsänderung von Unterkiefer zu Oberkiefer, die mit einer Veränderung des Zungenbeins und einem veränderten Tonus der Kaumuskulatur einhergeht. Die tägliche Arbeitshaltung des Patienten vor dem PC mit Gleitsichtbrille war eine Kopfextension nach dorsal.

Dadurch wurde der Unterkiefer nach retral verlagert, was zu einem verstärkten Okklusalkontakt der Molaren führte. Zur Entlastung führte der Patient dann eine Inklination, also eine Kopfneigung nach anterior durch. Dies führte zu einer Vorverlagerung des Unterkiefers und einem verstärkten Frontzahnkontakt.

Umgekehrt hatte der Zahnkontakt Auswirkungen auf Kopfposition und Körperhaltung. Der Dauerstress wirkte natürlich auch direkt auf Okklusiopathie und Myopathie ein.

Therapie

Der Therapieweg wurde im Vorfeld detailliert mit dem Patienten besprochen, um ihm bewusst zu machen, dass seine eigene lebenslange Mitarbeit und Ausdauer maßgeblich für den Therapieerfolg sind. Zudem sollte er verstehen, dass seinem Wunsch nach ästhetischer Rehabilitation umfangreiche Vorbehandlungen vorausgehen, um auch langzeitstabil zu sein.

Die derzeit vorherrschenden Habits erlaubten keine sofortige prothetische Sanierung, da die Gefahr bestanden hätte, dass sie die Kieferrelation beeinträchtigten, die Sanierung frakturierten oder der Patient die neue Versorgung in der Vertikalen, der Horizontalen oder der anatomischen Gestaltung nicht tolerierte und am Ende auch ästhetisch enttäuscht gewesen wäre. Und selbst für den Fall, dass der Patient die Totalsanierung toleriert hätte, wären die ungesunden Habits lebenslang in diese Versorgung „eingefroren“.

Die neue Sanierung hätte in diesem Fall den weiteren Verschleiß des Bewegungsapparats also regelrecht gefördert. Zudem erfordert ein langzeitstabiles Sanierungsergebnis eine optimale Mundhygiene und ein gesundes Parodontium, was beides noch nicht vorlag.

So waren Compliance und Motivation prätherapeutisch aktiviert.

Initialtherapie

Die Initialtherapie (siehe Abbildung 3) beinhaltete die Beseitigung der Initialdiagnosen „Okklusiopathie“ und „Myopathie“, was infolge der Behandlung aller Nebendiagnosen erreicht wurde. Jede Nebendiagnose war ein Mitverursacher von Myopathie oder Okklusiopathie, die beide auch untereinander in einer Wechselwirkung standen.

Als Erstes leitete ich eine konsiliarische Therapie der Nebendiagnosen „V. a. Fehlhaltung mit Bezug zur Aktivität der Kaumuskulatur und zur Kieferposition“ sowie „V. a. erhöhte Stressbelastung mit Einwirkung in die Aktivität der Kaumuskulatur“ und „V. a. erosive Ernährung“ ein, die ich regelmäßig reevaluierte. Beteiligt waren der Physiotherapeut, der Orthopäde, der Augenarzt und der Patient selbst, der zu Hause trainierte und auf erosive Getränke verzichtete.

Ziel der Physiotherapie war, schmerzende Muskelpalpationsbefunde zu behandeln und damit die Mundöffnung zu erweitern und die kraniofaziale Region zu entspannen. Direkt wirkte sie durch manuelle Therapie auf den Funktionszustand der Muskulatur ein, indirekt durch Verhaltenstraining, indem der Patient lernte, seine Muskeln und seine Zähne nicht als Stressventil zu nutzen. In der Orthopädie wurde er über die Zusammenhänge zwischen Kopfposition, Körperhaltung und Zahnkontakt aufgeklärt.

Ich erklärte ihm, dass die Gleitsichtbrille ein Hauptverursacher seiner Fehlhaltung war. Dies deckte sich vor dem Hintergrund der oben beschriebenen muskuloskelettalen Reaktionskette bei der PC-Arbeit mit der zeitlichen Erstmanifestation der Beschwerden kurz nach dem Kauf der Gleitsichtbrille. In Kooperation mit der Augenheilkunde bekam der Patient stattdessen eine Lesebrille, die er bei PC-Arbeiten tragen sollte.

Zu Hause verbesserte der Patient seine Mundhygiene, machte Übungen aus Orthopädie und Physiotherapie und bildete nach und nach eine Selbstbeobachtung aus, die ihn fehlerhaftes Verhalten bezüglich Okklusiopathie oder Myopathie vermeiden ließ. Währenddessen schloss ich die Differenzialdiagnosen aus: Normale Protrusion, circa gleiche Werte für Laterotrusion rechts und links und flächiger Schmerz sprachen gegen einen arthrogenen Prozess.

Die Panoramaschichtaufnahme war unauffällig, was zudem gegen eine Kiefergelenksankylose sprach. Eine Diskusverlagerung ohne Reposition schloss ich zusätzlich durch ein Kiefergelenks-MRT aus. Ein ossäres Geschehen schied durch die Panoramaschichtaufnahme aus. Myogene Ursachen in Form einer reflektorischen Kieferklemme kamen nicht infrage, da die Mundöffnung bereits vor dem Abszess eingeschränkt war. Für eine Entzündung fehlten die Anzeichen. Narben konnten ebenfalls als Ursache ausgeschlossen werden. Daraufhin folgte meine Behandlung der Nebendiagnosen „konservierend und prothetisch insuffizient versorgtes Gebiss“ und „lokale moderate chronische Parodontitis“, weiterhin eingebettet im beschriebenen konsiliarischen Netzwerk. Ich führte konservierende, dann parodontale und schließlich funktionelle Vorbehandlungen durch, die ich regelmäßig reevaluierte.

Ziel meiner konservierenden Vorbehandlung war, durch den Austausch der Füllungen an den Zähnen 17, 16, 14, 23-25, 27, 35, 34, 44 und 45 eine gleichmäßige habituelle Okklusion herzustellen. Zudem wurden die insuffizient versorgten Zahnhalsdefekte der Zähne 17, 15, 14 und 25 mit Komposit gefüllt. Ziel meiner geschlossenen parodontalen Vorbehandlung war die Reduktion der erhöhten Sondierungstiefen der Zähne 16, 15, 14, 11, 24, 26, 27 und 36. Darüber hinaus waren die Mundhygieneinstruktion und die Motivation sowie das Generieren optimaler Voraussetzungen wesentlich für die zu intensivierende häusliche Mundhygiene.

Funktionell führte ich die vom alten Zahnarzt begonnene Schienentherapie weiter – und zwar mit der vorhandenen Schiene. Zur Weiterverwendung entschied ich mich, da die Zentrik grob getroffen war und die Schiene die für die spätere prothetische Versorgung notwendige vertikale Bisserhöhung enthielt. Ich hielt es für wertvoll, dass der Patient mit den in der Schiene abgespeicherten Informationen bereits seit über zwei Jahren nachts sehr gut klarkam. Ich passte die Schiene nach jeder Füllung an und remontierte sie des Öfteren, da sich das kraniofaziale muskuläre Gleichgewicht durch die Physiotherapie, die Orthopädie, das Heimprogramm und meine Vorbehandlung veränderte, wodurch die zentrische Okklusion auf der Schiene immer wieder feinjustiert werden musste. Dass die gefundene Zentrik auch tatsächlich der gewünschten Position der Kondylen in den Fossae entsprach, wurde durch ein MRT mittels eingesetzter Schiene bestätigt.

Die Reevaluation der abgeschlossenen Initialterapie ergab eine deutliche Zunahme der Mundöffnung auf aktiv 42 mm und passiv 45 mm sowie eine gesteigerte Entspannung physisch und psychisch. Der Paient kam mit der Lesebrille für die PC-Arbeit gut zurecht. Seine Selbstbeobachtung, die ihn vermehrt auf Haltung Kopf, Hals, Rücken und Pressen achten ließ, war aktiviert.

Deshalb dienten Physiotherapie- und Osteopathiepathiesitzungen mittlerweile nur noch als Bewusstseinsschärfer. Zusätzlich waren Heimtraining und Schienentherapie erfolgreich im Detonisieren der Muskulatur. Die vertikale Bisserhöhung der Schiene wurde nach wie vor gut akzeptiert. Die Compliance war weiterhin hoch, was für die Mundhygiene sowie für den Erfolg der CMD-Therapie und der späteren prothetischen Sanierung wichtig war.

Provisorische Phase

Nach einem Jahr Beschwerdefreiheit und stabiler Verhältnisse ohne Okklusiopathie und Myopathie leitete ich die provisorische Phase ein (siehe Abbildung 4 und 5). Sie hatte die Funktion, die in der Schiene gespeicherten Informationen und die Ästhetik der späteren definitiven Prothetik auszutesten. Sofort von der Initialtherapie in die definitive Prothetik überzugehen, war mir aufgrund des Anfangsbefundes zu riskant.

Zwar waren Okklusiopathie und Myopathie seit einem Jahr therapiert und das Schienentragen verlief problemlos, was bedeutete, dass die Erhöhung der Vertikalen sowie die registrierte Zentrik toleriert wurden. Rund um die Uhr sollte dies aber dennoch mit dem Provisorium bestätigt werden. Der Patient sollte beweisen, dass er auch mit einem wiedergewonnenen ästhetischen Erscheinungsbild nicht in seine alten Habits zurückfällt. Zudem würde das ästhetische Erscheinungsbild durch die prothetische Sanierung derart verändert werden, dass ich es vorher mittels Langzeitprovisorien testen wollte, um Fehlerwartungen beim Patienten vorzubeugen. Rekonstruktives Vorbild war von Anfang an das zehn Jahre alte Foto. Gleichzeitig veränderte sich das ästhetische Bewusstsein des Patienten aber im Behandlungsverlauf durch Gespräche mit der Familie, dem Labor und mir.

Das Vorbildfoto (siehe Abbildung 13) sollte in der Umsetzung durch den Schluss der Diastemata mediale und laterale, durch Verbreiterung der Zapfen Zweier und unter geringfügiger abrasiver Anpassung an das Alter erweitert werden. Die vorerst provisorische Umsetzung räumte dem Patienten die Möglichkeit einer weiteren Reifung seiner ästhetischen Vorstellungen ein. Die gesamte Schienenvertikale wurde aus Kostengründen auf den Oberkiefer übertragen, da es bei der Austestung der Vertikalen keine Rolle spielt, zu welchen Teilen sie auf Ober- oder Unterkiefer übertragen wird. Zudem wurde im Labor zuvor beim Wax-Up eruiert, dass die Hauptanhebung der Vertikalen auch in der späteren definitiven Arbeit hauptsächlich im Oberkiefer sein wird (3,5 mm im OK, 0,5 mm im UK). Im Oberkiefer wurden Kunststoff-Schalenprovisorien (Kronen) für die Zähne 13 bis 23, 26, 27 und Kunststoff-Tabletops für die Zähne 17 bis 14, 24, 25 laborgefertigt. Die Krone an 26 ergab sich aus der Krone im Ausgangs- befund. Die Krone am wurzelkanalbehandelten Zahn 27 empfahl sich aufgrund des starken Zahnhartsubstanzverlustes.

Die Bisserhöhung der anderen Oberkieferzähne wurde durch Tabletops umgesetzt, die ich non-präp adhäsiv auf die Okklusal-flächen beziehungsweise die Füllungen aus der Initialtherapie klebte. Ein frontaler Lückenschluss verlangte die Überkronung der Zähne 13 bis 23. Diese Überkronung konnte durch die bereits natürlich stattgefundene abrasive und parafunktionelle Zahnhartsubstanzreduktion und die erosive Abnutzung um 360 Grad im Bereich der Präparationsgrenze sehr minimalinvasiv gehalten werden.

Die Oberkieferprovisorien wurden schrittweise mithilfe der ebenfalls schrittweise zurückgeschliffenen Schiene eingegliedert, um die erarbeitete und über Monate bewährte Okklusion nicht zu verlieren.

Anschließend wurde die Unterkieferfront mittels Tiefziehschiene vom Wax-Up mit Komposit aufgebaut. Dagegen wurden die Schalenprovisorien der Oberkieferfront so eingeschliffen, dass die Seitenzähne wieder die bewährte Okklusion aufwiesen.

Komposit war das Material der Wahl für die Unterkieferfront, da es non-invasiv, rein additiv aufgetragen werden konnte.

Eine Überkronung war kontraindiziert, weil zu viel Zahnhartsubstanz hätte geopfert werden müssen. Veneers waren ebenfalls kontrainduziert, da zu wenig Klebefläche im Schmelz zur Verfügung stand.

Der Aufbau der Unterkieferfront war für die geplante Front-Eckzahnführung (reine Eckzahnführung bei Laterotrusion, Frontzahnführung bei Protrusion) notwendig. Auch sie sollte in der provisorischen Phase getestet werden. Gegebenenfalls kann sie zu einem späteren Zeitpunkt bei Abnutzung, auch in der definitiven Prothetik, durch Antragen von Komposit jederzeit problemlos wieder aufgebaut werden.

Die Unterkieferseitenzähne wurden schrittweise mit CEREC-Provisorien versorgt, so dass die bewährte Okklusion schrittweise abgesichert blieb. Die insuffizienten Kronen der Zähne 36 und 46 wurden nach Karies-Ex und neuen Kompositaufbauten durch wiederum Kronen ersetzt. Prämolaren und Siebener wurden als Teilkronen präpariert, wobei alte Füllungen entfernt wurden. In der provisorischen Phase von sechs Monaten gab es keine Probleme. Der Patient kam funktionell sehr gut zurecht, die Kompositgestaltung der Unterkieferfront hatte sich bewährt. Weder Okklusiopathie noch Myopathie traten wieder auf. Von der ästhetischen Umsetzung waren der Patient und seine Familie begeistert.

Definitive Versorgung

Für die definitive Umsetzung einigten wir uns darauf, zwei Oberkieferfronten herzustellen: eine mit dem Provisorium identische und eine mit denselben Zweiern, aber weniger abrasiven Eckzahnspitzen und inzisal längeren Einsern, um dem Erscheinungsbild von vor zehn Jahren ähnlicher zu sein. Zwischen diesen Fronten sollte bei der Einprobe entschieden werden.

Der Unterkiefer war im Zuge der provisorischen Versorgung durch die Kompositfront und die Seitenzahnpräparationen abformbereit vorbereitet worden. Die Präparation der Oberkieferkronen 13 bis 23, 26 und 27 war ebenfalls in der provisorischen Phase erfolgt. Die restlichen Oberkieferzähne präparierte ich in der Sitzung der Abformung als Teilkronen durch die provisorischen Komposittabletops hindurch. Jede Teilkrone sollte das Komposittabletop und die darunter liegende Füllung ersetzen. Auch hier wählte ich das Präparationsdesign so minimalinvasiv wie möglich.

So ließ ich beispielsweise die Zahnhalsfüllungen, die ich an den Zähnen 17, 15, 14 und 25 während der Initialtherapie gemacht hatte, bestehen, da die bukkalen Wände kranial der Zahnhalsfüllungen gesund waren, folglich also nicht in die Präparation miteinbezogen werden mussten. Der Patient war darüber aufgeklärt, dass die Zahnhalsfüllungen langfristig eventuell das ein oder andere Mal ausgetauscht werden müssen, seine Zähne dafür aber nicht unnötig geschwächt werden.

Um den seit der Schienentherapie bewährten Biss von der provisorischen in die definitive Versorgung zu übertragen, wurden mehrere Bisse genommen, während die Antagonisten schrittweise präpariert beziehungsweise von Provisorien befreit wurden. Der Biss war klar definiert und wurde vom Patienten wiederholt wiedergefunden. Pro Kiefer wurden mit der Doppelfadentechnik zwei Impregumabdrücke genommen, um neben dem Arbeitsmodell ein unabhängiges Umsetzmodell zu haben.

Alle Restaurationen wurden in E.max hergestellt (siehe Abbildung 6). Gegen ein Zirkongerüst in der Oberkieferfront sprach die leichtere Chipping-Gefahr bei etwaigen früheren Habits, wenngleich genug Platz gewesen wäre und die Front noch ästhetischer hätte gestaltet werden können. Auch für die wurzelkanalbehandelten Zähne war kein Zirkon zur Abdeckung nötig, da die Pulpenkaven mikroskopisch gesäubert und die Zähne dadurch nicht dunkel waren.

Bei der Einprobe entschied sich der Patient für die Garnitur der weniger abrasiven Einser und Dreier. Alle Restaurationen zeigten passenden Randschluss. Für die Adhäsivtechnik benutzte ich beim Einsetzen standardmäßig Syntac Classic und Variolink (siehe Abbildung 7, 8, 9 und 10). Die statische Okklusion stimmte in situ mit der im Artikulator überein. Der Kreuzbiss 17/ 47 war restaurativ überstellt. Dynamisch schliff ich leichte Balancekontakte im Bereich der Oberkieferfünfer und Sechser bukkal ein. Für eine nächtliche Schutzschiene (siehe Abbildung 11 und 12) wurden neue Situationsabformungen genommen, deren Okklusion einartikuliert nochmals analysiert wurde. Jeder Statikpunkt stimmte mit einem intraoralen Kontaktpunkt überein. Für die Schutzschiene wurde der Stützstift aus der bewährten Okklusion nur um die Schienendicke angehoben, da die Zentrik im Laufe der Behandlung bewusst zur habituellen Okklusion gemacht wurde. Die Schiene wurde als grazile Michiganschiene gedruckt und manuell nachgearbeitet.

Prognose

Der Patient wurde nach umfassender konsiliarischer kraniofazialer Therapie, konservierender, parodontaler, funktioneller und provisorischer Vorbehandlung über anderthalb Jahre prothetisch totalsaniert. Regelmäßige Reevaluationen während der gesamten Behandlungszeit verifizierten den vor Behandlungsbeginn erstellten Therapieplan. Die Prognosen sind quoad vitam, quoad restitutionem, quoad valetudinem und quoad functionem als gut einzustufen.

Das Endergebnis entsprach dem Wunsch des Patienten: Es stellte sein Lächeln vor zehn Jahren mit den von ihm gewünschten ästhetischen Modifikationen wieder her (siehe Abbildung 13) und beseitigte die funktionelle Probleme.

Er erlangte Lebensqualität zurück. Die Mundhygiene ist stabil, die dentalen, parodontalen, radiologischen, funktionellen und ästhetischen Befunde sind ohne pathologischen Befund.

Fehlbelastungen des Bewegungsapparats wurden durch konsiliarische kraniofaziale Therapie, Anhebung der Vertikalen, definierten Biss mit reiner Eckzahnführung bei Laterotrusion und Frontzahnführung bei Protrusion vorgebeugt.

Langfristig ist der Erhalt dieser Front-Eckzahnführung bedeutend. Sie wird durch die Kompositaufbauten von 33 bis 43 gesichert, die regelmäßig kontrolliert und gegebenenfalls nachgebessert werden müssen.

Ein enger viermonatiger Recall bei der Dentalhygienikerin wird vorerst zur Ergänzung der häuslichen Mundhygiene empfohlen, um gegebenenfalls ein Rezidiv unzureichender Mundhygiene oder erhöhter Sondierungswerte frühzeitig behandeln zu können.

Der Patient hat schnelle häusliche Übungen aus Physiotherapie und Orthopädie in seinen Alltag integriert. Seine Selbstkontrolle ist stabil aktiviert. Weitmaschige Sitzungen beim Physiotherapeuten geben seiner Selbstkontrolle neue Impulse. Am PC arbeitet er weiterhin mit Lese- statt mit Gleitsichtbrille, was eine aufrechte Kopfhaltung bedingt. Bei Bedarf empfahl ich ihm, die Schutzschiene zu tragen. Der Patient trägt sie freiwillig nachts, da seine Compliance und Motivation sein Wunschergebnis zu erhalten, äußerst hoch sind.

Dr. Helena Carolin Bienas, E-mail:Praxis Dr. Stefan Paul, Stadelhoferstr. 33, 8001 Zürich,und Zahnärzte Zentrum Lachen AG,Bahnhofplatz 2, CH-8853 Lachen SZ

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