Mundgesundheitserziehung in der Kita

Mit Kroko in der Mäusegruppe

Immer mehr Kitas stellen das gemeinsame Zähneputzen ein. Häufig mit dem Argument: „Wir putzen aus hygienischen Gründen nicht mehr, weil die Kinder alles Mögliche mit den Zahnbürsten anstellen und wir unterbesetzt sind.“ In der Colbestraße in Berlin-Friedrichshain wird trotzdem geputzt. Regelmäßig kommen die Prophylaxekräfte der LAG Berlin zu Besuch. Eine davon ist Bianca Jüng.

„Lieber Kroko, lieber Kroko, schläfst du noch, schläfst Du noch? Hörst du nicht die Glocken, hörst du nicht die Glocken? Ding, dang, dong. Ding, dang, dong.“ Für einen Moment ist es ganz still. Aufgeregt schauen die Kinder auf die große schwarze Trage- tasche, die bei Bianca Jüng auf ihrem Schoß liegt. „Kroko, hast du das gehört? Die Kinder haben dir ein Lied gesungen“, flüstert sie in die Tasche. Behutsam zieht sie die grünen Füße des Plüschkrokodils heraus.

Mit dem fliegenden Teppich auf Jagd

An diesem Freitagmorgen im Oktober strahlen 18 Kinderaugen um die Wette. „Kroko, Kroko, komm heraus“, rufen die Kleinen. Erst kommt das Hinterteil, dann die Arme und zum Schluss der Kopf zum Vorschein. Jüng steckt ihre recht Hand in einen Schlitz am Rücken der extragroßen Handspielpuppe und spricht mit leicht erhöhter Stimme: „Hallo ihr lieben Kinder! Bin ich hier richtig in der Kita Colbestraße?“ Alle möchten dem grünen Maskottchen der LAG Berlin guten Tag sagen. „Nicht drängeln. Es kommt jeder dran. Und wenn ihr Kroko gestreichelt habt, setzt ihr euch bitte wieder in den Kreis zurück.“

Jüng ist eine temperamentvolle, herzliche Frau, die Erfahrung im Umgang mit Kindern hat. Seit fast 15 Jahren ist die gelernte ZFA als Prophylaxehelferin für die Landesarbeits- gemeinschaft Berlin zur Verhütung von Zahnerkrankungen tätig. Täglich besuchen sie und ihre 75 Kolleginnen Kindergärten und Schulen in der Hauptstadt, um den Kindern und Jugendlichen alles, was sie für ihre Mundgesundheit wissen müssen und tun können, zu vermitteln.

„Wir zeigen den Kindern, wie man die Zähne richtig putzt, welche Lebensmittel eine gesunde Ernährung ausmachen und wollen sie dazu bringen, die vielfältigen Zahnarztleistungen in Anspruch zu nehmen“, erklärt mir Jüng. Mithilfe von Gesprächstrainings und Schauspielschulungen hat sie gelernt, die Kita-Kinder mit der Handspielpuppe zu verzaubern.

Die Zwei- bis Dreijährigen aus der Froschgruppe entdecken heute ihre Zähne: Milchzähne, bleibende Zähne, Backenzähne, Eckzähne, Schneidezähne, Zahnfleisch und Gebiss. Alles ganz einfach: Jüng fragt, welche Zähne braucht man, um eine Möhre zu essen. Und Henry* ruft: „Ich weiß es! Eckzähne und die Backenzähne.“ Jüng nickt, dass man auch die Zunge benötigt, fügt sie hinzu. Josie* weiß auch warum: „Zum Schlucken brauchen wir die Zunge.“ Super, lobt die Prophylaxehelferin das Mädchen.

Naomi Hirsch arbeitet hier seit 2015 als Kitaleiterin und sitzt im Schneidersitz mit den Kindern im Kreis. Oscar* hat es sich auf ihrem rechten Oberschenkel gemütlich gemacht. Kroko kommt seit 2009 viermal jährlich zu Besuch in die Kita, erzählt sie. „Viele Kinder kennen Bianca und freuen sich immer auf ein Wiedersehen mit Kroko. Aber nicht nur für die Kinder ist Kroko ein Highlight – auch für uns Erzieher“, erzählt die Heilpädagogin. Das Zähneputzen ist fest in den Kitaalltag integriert: Bereits Einjährige werden an das tägliche Ritual herangeführt. „Trotzdem ist es eine Herausforderung die Kinder täglich aufs Neue für die Mundhygiene zu begeistern“, berichtet Hirsch.

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Daheim fällt Putzen schwer

Mundgesundheit als Teil der Kindergesundheit ist Fürsorgepflicht der Eltern aber auch Bildungsauftrag in den Kindertageseinrichtungen. Und einige Familien geben diese Verantwortung morgens an der Kita ab. Wenn beide Eltern stark eingespannt sind sind, fehlen abends oft Kraft und Geduld, um den Kindern das Zähneputzen beizubringen. Gerade morgens kurz vor dem Aufbruch und abends vor dem Zubettgehen regieren Zeitdruck und Überforderung. Das Zähneputzen kann dann leicht zur lästigen Pflicht werden.

Wie Eltern und Kita Hand in Hand arbeiten können, um frühkindliche Karies bei unter Dreijährigen zu vermeiden, zeigen die erweiterten Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ). Darin sind Kernaufgaben für Gruppenpropylaxe-Teams, Eltern und Kita klar beschrieben. So sollte beispiels- weise der Umgang mit Eltern und Kita-Teams wertschätzend, partnerschaftlich und gleichberechtigt gestaltet werden, weil sie die wichtigsten Bezugspersonen für die Kleinkinder darstellen. Demnach sollten die Eltern für gesundheitsförderliches Verhalten gelobt werden.

Hirsch schildert, warum in der Kita eine besondere Situation herrscht: „Hier ist Zähneputzen eine Gemeinschaftserfahrung, die pädagogisch begleitet wird.“ Trotzdem müssen sich die Erzieher allerhand einfallen lassen. Mal gehen die Kinder auf dem fliegenden Teppich auf die Jagd nach Karius und Bactus, ein anderes Mal läuft während des Putzens die Sanduhr. Von Jüng und ihren Kollegen schauen sich die Erzieher auch gern den ein oder anderen pädagogischen Kniff ab, sagt Hirsch, während wir auf dem Weg zur Mäusegruppe sind.

Die Fünfte Deutsche Mundgesundheits- studie (DMS V) belegt die Tendenz, dass die Zahn- und Mundgesundheit der Kinder in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden ist. Die Zahl kariesfreier Gebisse hat sich in den Jahren 1997 bis 2014 praktisch verdoppelt. Auch bei den Berliner Kindern und Jugendlichen gibt es grundsätzlich eine positive Entwicklung der Mundgesundheit. Der Anteil kariesfreier Gebisse hat sich bei den Berliner Kitakindern und Schülern kontinuierlich erhöht. Trotzdem gilt die frühkindliche Karies als die häufigste chronische Erkrankung im Vorschulalter und dominiert mit seiner zum Teil massiven Gebisszerstörung das Gesamtkariesaufkommen bei Kleinkindern – mit Tendenz zur Polarisierung.

Die kleinen Körper wackeln

Willkommen in der Mäusegruppe. Auf einem kleinen Holzpodest in der Spielecke sitzt Bianca und singt: „Hin und Her, hin und her, Zähneputzen ist nicht schwer. Andere Seite hin und her, Zähneputzen ist nicht schwer.“ Mit Krokos Gebiss als Anschauungsobjekt lernen die Kids die Putzbewegungen. Aufgeschlossen scharen sich die Kleinen um Jüng. Ihr gehe es bei Kindern in diesem Alter besonders darum, den Zugang zu ihnen zu finden. „Schließlich sind wir bis zur zehnten Klasse zusammen!“

Mit Kroko und dem halb so großen Plüschkrokodil, genannt Paul, scheint das gut zu funktionieren. Lena* möchte Paul gar nicht mehr aus den Händen geben. Mit Hingabe putzt sie dem Plüschtier erst die Zähne, und dann auch die Hände und Füße. In jeder Kita-Gruppe schließt die Prophylaxehelferin die Zahngesundheitserziehung mit praktischen Zahnputzübungen nach der KAI-Methode ab. „Nun wollen wir uns blitzeblank die Zähne putzen. Lasst uns mit Kroko in den Waschraum gehen“, sagt sie und platziert das Plüschkrokodil für alle gut sichtbar auf dem hölzernen Wickeltisch, bevor sie mit einer großen Tube Zahnpasta auf die bunten Zahnbürsten verteilt. Die kleinen Körper wackeln – so kräftig wird geputzt.

Wegen der fehlenden Feinmotorik geht die Putzbewegung vom Schultergelenk aus. Erst später verlagern sie sich über das Ellbogengelenk zu den Hand- und Fingergelenken. „Das Zähneputzen stellt für Kinder eine bemerkenswerte feinmotorische Leistung dar“, erklärt Jüng. Erst durch regelmäßiges Üben werden die Putzbewegungen automatisiert. Nach dem die Zähne „blitzblank“ sind, sitzen wir wieder auf dem weichen Korkfußboden im Gruppenraum.

Jetzt noch die Geschenke: Jüng greift in einen Zuziehbeutel, zieht langsam eine neue Zahnbürste nach der anderen heraus und verteilt eine an jedes Kind. Wieder so ein Moment, in dem sie von 18 großen Kulleraugen angeschaut wird. Akribisch nehmen die Kleinen ihre neue Zahnbürste unter die Lupe. „Auf Wiedersehen! Kroko und ich müssen jetzt gehen. Die Kinder der Katzengruppe warten schon auf uns“, sagt Jüng. Mit Kroko unter dem Arm, zwei großen braunen Leder- taschen und einer schwarzen Nylontasche bepackt verlässt sie die Mäusegruppe.

Abenteuer mit Willi, dem kleinen Backenzahn

Im Turnraum erzählt Jüng gerade anhand von A4-Vorlagen die Geschichte von Willi, dem kleinen Backenzahn. Willi fallen Eis, Schokolade und Gummibärchen auf den Kopf. „Mag das die Sonne?“, fragt die ZFA und deutet auf den gelben Ball, der am oberen rechten Bildrand zu sehen ist. „Nein!“, rufen die Fünf- bis Sechsjährigen. Willi hat Freunde, die ihm dabei helfen, wieder sauber zu werden. Am Ende funkelt er mit den Sternen um die Wette. Die Vorschulkinder kennen Jüng schon seit einigen Jahren. Sie will von den Kindern wissen, ob ihre Zähne auch so strahlen sollen, wie die von Willi. Ein „Jaaaaaaa!“ schallt es durch den Raum, was kurz darauf von einem kollektiven Rascheln der Zahnbürsten abgelöst wird.

Das Argument „Wir haben aber vorhin mit Kroko schon Zähne geputzt“ zieht nach dem Mittagessen nicht. Die Kinder nehmen es gelassen. Während Marie* ihre Prinzessin-Lillyfee-Zahnbürste unter dem Wasserhahn abspült, sagt sie laut: „Bianca, ich putze mir gern die Zähne!“ Ein Zeichen, dass die Aufklärungsarbeit offenbar dort ankommt, wo sie ankommen soll. Mit den eigenen Erinnerungen an die Zeit, als Sanktionen der Erzieherinnen darin bestanden, dass man ohne Zahnpasta putzen musste, hat die heutige Gruppenprophylaxe glücklicherweise nicht mehr viel gemein. Jüng stülpt sich mit einem Lächeln die blauen Einmalüberzieher von ihren Lederschuhen und verabschiedet sich. In einem Vierteljahr ist sie mit Kroko wieder zu Besuch in der Kita Colbestraße.

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