DMS V im Fokus: Entwicklung der häuslichen Mundhygiene

Was bei Patienten funktioniert

A. Rainer Jordan
Bald wird es sowohl aus der Zahnerhaltung als auch aus der Parodontologie je eine Leitlinie zur Prävention der Haupterkrankungen der Zahnmedizin im häuslichen Setting geben. Die DMS V zeigt schon jetzt, welche Maßnahmen bei Patienten wirklich funktionieren.

Im Juni 2016 veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) die erste Leitlinie zur Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen. Als Basisprophylaxe soll Zahnpflege mindestens zweimal täglich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta erfolgen, sodass eine möglichst vollständige Entfernung des Biofilms resultiert. Lassen sich Speisereste und Biofilm mit alleinigem Zähneputzen nicht ausreichend beseitigen, sollen zusätzlich Hilfsmittel zur Approximalraumhygiene verwendet werden. Insbesondere Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko wird die Teilnahme an strukturierten Prophylaxeprogrammen empfohlen [Geurtsen et al., 2016].

Desgleichen hat die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) für dieses Jahr zwei Leitlinien zum chemischen Biofilmmanagement respektive zur mechanischen Biofilmkontrolle in der Prävention und Therapie parodontaler Erkrankungen angekündigt. Die Ergebnisse sind noch nicht bekannt. Daher darf man hilfsweise in den Leitfaden der Europäischen Föderation für Parodontologie (EFP) für die wirksame Prävention von Parodontalerkrankungen schauen [EFP, 2015].

Die beiden Empfehlungen sind nur bedingt deckungsgleich, was aus Sicht einer strikten Fächertrennung nicht überrascht. Angewendet werden sollen Leitlinien jedoch in der Praxis und hier auch von Patienten. In diesem Anwendungssetting erscheinen unterschiedliche Empfehlungen zur häuslichen Mundhygiene wenig hilfreich, gleichgerichtete Botschaften wären wünschenswert.

Interdentalraumbürsten versus Kaugummis

So wird in der Parodontologie die tägliche Reinigung der Zahnzwischenräume als entscheidende Maßnahme der Zahnpflege angesehen – in der Kariologie nicht. Dort kommen stattdessen Kaugummis zur Stimulation des Speichelflusses auf die Agenda – in der Parodontologie wiederum nicht. Dies dürften nicht die einzigen Unterschiede sein. Man darf gespannt sein, wie der niedergelassene Zahnarzt und die Patienten mit den konkurrierenden Leitlinien umgehen werden.

Leitlinienempfehlungen werden in der Regel aus hochwertigen (klinischen) Studien abgeleitet. Die Versorgungsforschung zeigt, dass sich diese Ergebnisse nicht unbedingt auf den (Versorgungs-)Alltag übertragen lassen.

Daher lohnt der Blick in die DMS V, die zeigt, welche Mundhygienemaßnahmen auf Bevölkerungsebene, also jenseits eines klinischen Studiensettings, funktionieren.

Zähneputzen – manuell oder elektrisch?

Eine Cochrane-Analyse kommt bei der Frage nach dem effektiveren Hilfsmittel zwar zu dem Ergebnis, dass eine elektrische Zahnbürste der manuellen Zahnbürste zur Reduzierung von Plaque und Gingivits vorzuziehen sei, die Autoren schlussfolgern jedoch, dass die klinische Relevanz unklar sei [Yaacob et al., 2014].

     
  

Elektrische Zahnbürste

Handzahnbürste

Stat. Signifikanz

DMFT

MW

10,8

11,4

0,35

Anzahl Zähne mit kariöser oder gefüllter Wurzelfläche

MW

0,2

0,4

0,07

Zahnfleischbluten (BOP)

%

22,7

30,2

< 0.001

Tabelle 1
Quelle: bislang unveröffentlichtes Material aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V)

    

In der DMS V wurden neben klinischen Parametern auch sozialwissenschaftliche Fragen gestellt, darunter umfangreiche zum persönlichen Mundhygieneverhalten. Hier soll einmal am Beispiel der jüngeren Erwachsenen betrachtet werden, wie sich unterschiedliche Hilfsmittel zur Zahnreinigung auf Bevölkerungsebene auswirken (Tabelle 1). Das Ergebnis überrascht, denn immerhin weisen die Anwender elektrischer Zahnbürsten fast einen Zahn weniger mit einer Karieserfahrung auf. Zahnfleischbluten fällt sogar um circa neun Prozentpunkte geringer aus. Nun lässt sich aus einer epidemiologischen Querschnittsuntersuchung kein ursächlicher Zusammenhang ableiten. Als Erklärungsansatz wird gern die Zeitvorgabe elektrischer Zahnbürsten angegeben oder auch der Umstand, dass in derselben Zeit viel mehr Bürstenbewegungen stattfinden. Denkbar ist auch, dass Anwender elektrischer Zahnbürsten ein grundsätzlich anderes Mundhygiene- oder gar Mundgesundheitsbewusstsein aufweisen. So bleibt unklar, ob die Unterschiede bei der Mundgesundheit tatsächlich in einem Wirkungsunterschied der Zahnbürsten begründet sind. Dies zu ergründen erfordert andere Studiendesigns, die aus der qualitativ-sozial wissenschaftlichen Forschung kommen oder im Rahmen von randomisierten klinischen Studien beantwortet werden können. Beeindruckend bleiben die mundgesundheitlichen Unterschiede auf dieser einfachen bivariaten Ebene dennoch.

Zahnseide – wirklich notwendig?

„Der Nutzen der Zahnseide ist nicht erforscht!“ – so ging es im vergangenen Sommer weltweit durch die Presse, als die Empfehlung zur Nutzung von Zahnseide aus den Dietary Guidelines for Americans gestrichen wurde. Zugegeben: Ob Zahnseide das Maß aller Dinge der Zahnzwischenraumhygiene ist, darf tatsächlich hinterfragt werden. Schließlich kommen auch andere Hilfsmittel für eine mechanische Zahnzwischenraumreinigung in Betracht wie beispielsweise Interdentalraumbürsten oder medizinische Zahnhölzer. Diese drei Maßnahmen wurden in der DMS V im Rahmen der sozialwissenschafltichen Befragung auch abgefragt. Und erneut sind die Ergebnisse interessant (Tabelle 2).

     
  

Interdentalraumreinigung: ja

Interdentalraumreinigung: nein

Stat. Signifikanz

DMFT

MW

11,1

11,5

0,3

kariöse Zahnflächen (DS)

MW

0,7

1,5

< 0.001

Zahnfleischbluten (BOP)

%

23,9

32,7

< 0.001

Tabelle 2
Quelle: bislang unveröffentlichtes Material aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V)

    

Zahnzwischenraumpflege gehört heute zum Standard

Wenngleich bei der gesamten Karieserfahrung kein signifikanter Unterschied erkannt werden kann, ist das Ergebnis bei der aktuellen Karieserfahrung, also der Anzahl kariöser Zahnflächen, erstaunlich: Mehr als doppelt so viele erkrankte Zahnflächen, wenn eine regelmäßige Zahnzwischenraumreinigung ausbleibt. Und auch aufseiten der Parodontalerkrankungen (hier: Zahnfleischbluten) ist die Forderung der EFP mit diesen Zahlen kaum zu widerlegen. Zahnzwischenraumpflege scheint doch zum Standardrepertoire der täglichen Mundhygiene zu gehören, obschon die Einschränkung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs auch hier ebenso bestehen bleibt wie bei der elektrischen Zahnbürste.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Einsatz von Hilfsmitteln bei der Mundhygiene nach Selbstauskünften der Probanden im vergangenen Jahrzehnt eine erhebliche Entwicklung gemacht hat. Dies gilt insbesondere für elektrische Zahnbürsten und Hilfsmittel zur Zahnzwischenraumreinigung: Fast jeder zweite jüngere Erwachsene und fast jeder dritte jüngere Senior geben heute an, eine elektrische Zahnbürste zu verwenden (Tabelle 3). Beim Vergleich von Zahnseide und Zahnzwischenraumbürsten fällt auf, dass jüngere Erwachsene Zahnseide und jüngere Senioren eher Bürsten favorisieren – ein Ergebnis, das vor dem Hintergrund der altersbedingten Veränderung der Interdentalräume – bedingt durch die gingivale Rezession – ja durchaus nachvollziehbar ist.

Selbst wenn diese Zahlen nicht durchgängig den Abverkaufszahlen des deutschen Marktes entsprechen und somit die Abgabe sozial erwünschter Antworten (Ja-Sager-Effekt) nicht auszuschließen ist, dürften die Zahlen aber zumindest für eine deutlich gestiegene Selbstaufmerksamkeit (dental awareness) in der Bevölkerung sprechen (Abbildung 1).

    
 

%

DMS IV (2005)

DMS V (2014)

Jüngere Erwachsene

   

Zahnbürste (elektrisch)

 

38,3

47,1

Zahnseide

 

43,8

48,3

Zahnzwischenraumbürsten

 

10,8

16,4

Jüngere Senioren

   

Zahnbürste (elektrisch)

 

17,9

32,4

Zahnseide

 

14,7

23,1

Zahnzwischenraumbürsten

 

14,1

29,1

Tabelle 3
Quelle: bislang unveröffentlichtes Material aus der Vierten und aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV. DMS V)

   

Dasselbe gilt für die Entwicklung der subjektiven Einschätzung der Qualität der Zahnreinigung. In der DMS V wurde ein kombinierter Verhaltensindex aus den Angaben zur Häufigkeit (mindestens zweimal täglich), zu den Zeitpunkten des Zähneputzens (nach einer Mahlzeit beziehungsweise vor dem Ins-Bett-Gehen) und der Zeitdauer (mindestens zwei Minuten) gebildet. Wenn alle drei Parameter zutrafen, wurde dem Studienteilnehmer ein eher gutes Zahnputzmuster zugeordnet, ansonsten ein eher schlechtes. Auch diesbezüglich ist in allen Altersgruppen ein deutlich positiver Trend über die Jahre zu erkennen (Tabelle 4).

    
 

%

DMS IV (2005)

DMS V (2014)

Kinder

   

eher gut

 

41,9

45,1

Jüngere Erwachsene

   

eher gut

 

32,1

31,3

Jüngere Senioren

   

eher gut

 

22,6

32

Tabelle 4
Quelle: bislang unveröffentlichtes Material aus der Vierten und aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV. DMS V)

   

PD Dr. med. dent. habil. A. Rainer Jordan, MSc., ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), Universitätsstr. 73, in 50931 Köln.

Literatur:

1. Geurtsen W, Hellwig E, Klimek J: DGZ-Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen —grundlegende Empfehlungen. S2k-Leitlinie (Langversion). Düsseldorf: DGZ, DGZMK; Juni 2016. AWMF-Registernummer: 083–021.

2. EFP (Europäische Föderation für Parodontologie): Guidelines for effective prevention of periodontal diseases. General Guidance: Diseases. Madrid: EFP; 2015.

3. Yaacob M, Worthington HV, Deacon SA, Deery C, Walmsley AD, Robinson PG et al.: Powered versus manual toothbrushing for oral health. The Cochrane database of systematic reviews. 2014(6):CD002281.

Prof. Dr. med. dent., MSc A. Rainer Jordan

Wissenschaftlicher Direktor IDZ
Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)
Universitätsstraße 73,
D-50931 Köln

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