Editorial

Erste allgemeine Bürgerverunsicherung ...

Uwe Axel Richter

Zuerst das Wichtigste: Ich wünsche allen Lesern von Herzen einen guten Start ins neue Jahr und für selbiges Langmut, Duldsamkeit und den (hoffentlich zunehmenden) Willen, wichtige gesellschaftliche Entwicklungen aktiv mitzugestalten! 

Langmut? Das Wort kommt von althochdeutsch „langmuotig“, hat als Wortbasis das lateinische longanimus und bedeutet einen ‘gleichmütigen Sinn habend’. Anders lässt sich auch kaum der Stillstand politischen Denkens in den Parteien ertragen. Selbst im vierten Monat nach der Bundestagswahl imaginieren die gewählten Mandatsträger der etablierten Parteien – dazu dürfen wir auch die wieder in den Bundestag eingezogene FDP zählen – politische Handlungsfähigkeit. Nur zu einer Regierung oder wenigstens die Aussicht auf eine solche hat es immer noch nicht gereicht. Als ob die Welt um uns herum stillstehen würde, die EU in Brüssel verständnisvoll auf die neue deutsche Regierung wartet und Entscheidungen im Kalender weit nach hinten verschiebt und auch von Macron bis Trump sich alle relevanten Politiker in der Gestaltung der „Welt“, vulgo Realität, zurückhalten würden. Stattdessen diskutieren die Parteien leidenschaftlich rote Linien, führen (Vor-)Vor-Sondierungsgespräche, versuchen Politik nach Flaggen (Jamaika) und basteln derzeit an Groko- und Koko-Regierungsmodellen. Jedenfalls hätte Heinrich Heine mit seinen Nachtgedanken („Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“) wohl viele Nächte nicht geschlafen. Und ob das nachfolgende Zitat tatsächlich von Albert Einstein stammt, ist dann auch fast egal. Denn: „Die reinste Form von Wahnsinn ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ In Umfragen zeigt sich nach anfänglicher Zustimmung von fast 61 % für eine Fortsetzung der Groko wieder eine deutliche Abkühlung auf 45 %.  

Dasselbe gilt für das Lieblingsprojekt der SPD. Laut einer Emnid-Umfrage vom Dezember befürworten mehr als 60 Prozent der Deutschen die Bürgerversicherung. Dabei gibt es hinsichtlich der Segnungen der Bürgerversicherung, dieser SPD-Schalmei der Gerechtigkeit, bis heute keine klaren Vorstellungen. Weder bei der Bevölkerung noch bei der SPD. Bessere Versorgung der Versicherten? Oder wenigstens gleiche Versorgung, aber zu geringeren Kosten? Niedrigere Beiträge für die (Zwangs-)Versicherten, aber dafür nur Basisversorgung und individualisierte Absicherung durch Zusatzversicherungen? Was macht man mit der PKV und den Altersrückstellungen der Privatversicherten? Wie hält man deren Beiträge stabil, will heißen bezahlbar, wenn keine neuen Mitglieder mehr für die PKV gewonnen werden können? Fragen über Fragen und bis heute keine Antworten! Dabei stammt die Einheitsversicherung noch aus der Zeit der Kostendämpfungspolitik Ulla Schmidts und wird von der SPD seit 2003 – in vier Bundestagswahlkämpfen – immer wieder aufs politische Tapet gebracht. Zeit wäre also genug gewesen. Doch: Eingeklemmt zwischen einer sehr grünen Merkel-CDU und den Seehofer’schen „Herz-Jesu-Sozialisten“ (Spiegel) ist die Bürgerversicherung in dem gegebenen politischen Umfeld zu einem Prestigeprojekt der SPD mutiert. Mehr noch, sie gilt vielen gar als Kristallisationspunkt des Wesenskerns der SPD, der Gerechtigkeit! Was immer Letztere auch bedeuten mag …

Will die CDU/CSU die Groko, müssen einige der SPD Forderungen die Vor-Sondierungen, Sondierungen und Koalitionsverhandlungen überstehen. Als da wären: Deckelung oder gar Abschaffung der Zusatzbeiträge; mehr Geld für Klinikpersonal und Landärzte; ein Sofortprogramm für mehr Altenpflege. Aber das wird nicht reichen, denn der Gerechtigkeit muss auch genüge getan werden! Und so hat die Union „aus Verhandlungskreisen“ bereits verlauten lassen, dass es „um gleiche Leistung für gleiche Beiträge“ gehe, meldet das Handelsblatt. Darunter kann sich nun jeder wieder vorstellen, was er will. In diesem Zusammenhang geht mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Dieses Zitat entstammt nun sicher dem Gedankenschatz von Albert Einstein. Womit wir auch im neuen Jahr wieder in den Niederungen bundesdeutscher Gesundheitspolitik angekommen sind. 

Dr. Uwe Axel Richter

Chefredakteur

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