Jubiläum in Hamburg

10 Jahre rollendes Zahnmobil

Seit 2008 hilft in Hamburg die rollende Zahnarztpraxis der Caritas Menschen, die sich nicht selbst um eine zahnmedizinische Behandlung kümmern können. Ein Gespräch mit Gerd Eisentraut, der damals als Pressesprecher im Auftrag der Hamburger Zahnärzte das Projekt betreute.

Wie kam die Idee damals auf, ein Zahnmobil zu initiieren?

Gerd Eisentraut:

Die Caritas unterhielt vor dem Zahnmobil bereits eine fahrende Arztpraxis, in der Obdachlose behandelt werden konnten. Die Zähne ließen sich da ja nicht behandeln, somit lag der Gedanke eigentlich nahe, eine Zahnarztpraxis auf vier Räder zu setzen. Die Finanzierung erwies sich allerdings als schwierig.

Als Initialzündung habe ich eine Weihnachtsfeier von einer Dentalfirma in Erinnerung, auf der für so einen Zweck gesammelt wurde. Dadurch kam wohl auch die Unternehmensleitung auf den Gedanken, das Projekt zu unterstützen. Die Caritas und das Unternehmen schlossen einen Vertrag. Somit war die Finanzierung gesichert. Die Caritas konnte ein Fahrzeug zur rollenden Zahnarztpraxis ausbauen.

Welche Patientengruppe hatte man im Auge?

Das war am Anfang ganz klar die Gruppe der Obdachlosen. Die Caritas richtete für die Einsatztage einen richtigen Fahrplan mit festen Haltepunkten ein. Daran konnten sich Obdachlose orientieren. Das sprach sich in der Gruppe natürlich sehr schnell herum.

Welche Hürden musste man überwinden?

Neben den finanziellen Anfangssorgen wusste die Caritas anfangs nicht, ob genügend Zahnärzte zum Nulltarif anheuern würden. Über die Medien der Zahnärztekammer und KZV Hamburg wurde die Trommel gerührt. Es fanden sich eher ältere Zahnärzte, die keine wesentlichen Verpflichtungen mehr in der Praxis hatten. Derartige Aufrufe unternahmen die Körperschaften in loser Folge, weil immer mal wieder neue Zahnärzte gesucht wurden. Die Caritas stellte Fahrer und Assistenz.

Wie wurde das Mobil angenommen?

Eine aufsuchende Betreuung von Obdachlosen gab es bisher nicht in Hamburg. Und diese Menschen trauen sich nicht so gern in eine Praxis und können sicher auch mit einem Termin am Mittwoch in drei Wochen eher schwer umgehen. Diese Gruppe dürfte allerdings auch in Zahnarztpraxen eher zu den schwierigen Patienten gehören.

Nachdem klar war, dass das nichts kostet, wurde das Zahnmobil auch fleißig frequentiert. Die Zahnärzte mussten allerdings auch die eine oder andere Wunde versorgen oder sich andere Wehwehchen ansehen. Hier war und ist der ganze ZahnArzt gefordert.

Hat sich das Klientel über die Zeit gewandelt?

Obdachlose entsprechen heute nicht mehr zwingend dem Bild des Berbers, der mit langen Haaren, Bart und Schnapsfahne daherkommt. Auch Obdachlose können sich in entsprechenden Einrichtungen pflegen. Sofern sie den Rahmenbedingungen dieser Einrichtungen unterwerfen können, stehen einer Dusche und Rasur nichts im Wege. Mit der Zeit nutzten allerdings auch andere Menschen wie Fernfahrer, Illegale oder sonst durch den gesellschaftlichen Rost Gefallene das Angebot des Zahnmobils.

Was bleibt haften, wenn man - so wie Sie - auch einmal mitfährt?

An Bord können im Wesentlichen nur konservierende Arbeiten übernommen werden. Aber einmal mitzubekommen, wie es ist, wenn der Zahn, der über Monate geschmerzt hat, endlich raus ist, diese Erleichterung des Patienten ist schwer in Worte zu fassen. Das sind Erlebnisse, die in der modernen Zahnheilkunde heute wohl eher selten vorkommen. Ein Anspruchsdenken haben diese Menschen nicht. Sie zweifeln, ob das alles gut geht und ob sie nett behandelt werden. Sie sind schüchtern, scheu und ängstlich.

Wie erleben die behandelnden Zahnärzte die Arbeit?

Das ist eine Herzensangelegenheit. Diese Dankbarkeit, die häufig nicht groß in Worte gefasst werden kann von den Betroffenen, die das aber mit jeder Pore ausstrahlen, erleben Zahnärzte im normalen durchgetakteten Praxisalltag nicht mehr so unmittelbar. Das Gefühl, einer absoluten Randgruppe der Gesellschaft, die sich selbst ausgrenzt, etwas Gutes getan zu haben, ist mit Honorar-Punkten nicht aufzuwiegen.

Hintergrund

Hintergrund

Welche Zahnmobile folgten - in welchen Bundesländern?

Das Hamburger Zahnmobil wurde für andere Städte und Gemeinden zum Vorbild, hat aber nicht den Anspruch, das erste in Deutschland zu sein. Die Caritas hatte immer mal wieder Besuch von Interessierten, die ebenfalls so ein Projekt auflegen wollten. Ich gestehe, ich kenne nur noch das Zahnmobil in Hannover, aber es gibt sicher weitere. So hat vor einigen Jahren auch das Deutsche Rote Kreuz in Hamburg ein Zahnmobil ins Leben gerufen, das sich dann nach meiner Kenntnis schwerpunktmäßig um Flüchtlinge kümmerte.

Die Caritas drehte in den Folgejahren noch weiter an der Idee und richtete vor rund zwei Jahren zusätzlich noch eine feste Behandlungsstation im ehemaligen St.-Pauli-Krankenhaus ein. Hier kann auch geröntgt werden. Und durch einen weiteren Sponsor kann jetzt auch Zahnersatz gefertigt werden.

Zum Grundkonzept des Zahnmobils gehört es auch, Brennpunkt-Schulen und -Kindergärten zu besuchen. Hier können Kinder, die von zuhause vermutlich nicht so zur Zahnpflege angeregt werden, einmal auf einem Zahnarztstuhl Platz nehmen und so Berührungsängste abbauen. Bei diesen Einsätzen sind keine Zahnärzte an Bord. Das bietet die Caritas mit den Stammkräften an.

Wurde das Jubliäum denn gefeiert?

Ja, aber so ganz anders. Die Caritas hatte alle Beteiligten, darunter inzwischen auch Zahnärzte aus den Randbezirken von Hamburg, zu einem gemeinsamen Essen eingeladen - das erst mal von allen gemeinsam gekocht wurde. Zur Begrüßung gab es eine kurze Rede, dann herrschte dentaler Gedankenaustausch.

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