Kariesprävention

Kaugummi: Genussmittel UND Dentalprodukt

Im öffentlichen Bewusstsein gilt Kaugummi in erster  Linie als Genussmittel. Dass das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi jedoch auch ein wichtige kariespräventive Funktion erfüllt, wird kaum wahrgenommen. Dabei empfiehlt die Leitlinie zur Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen das Kaugummikauen nach den Mahlzeiten. Prof. Joachim Klimek, einer der Leitlinien-Autoren, erläutert die kariespräventiven Wirkmechanismen und berichtet über relevante Studien.

In der ersten Leitlinie zur Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen (2016) wird das Kauen zuckerfreien Kaugummis nach Mahlzeiten – neben dem Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta und dem möglichst geringen Zuckerkonsum – als eine der Maßnahmen zur täglichen Kariesprophylaxe empfohlen. Grund dafür sind nicht spezielle Inhaltsstoffe von Kaugummi, sondern die Stimulation des Speichelflusses durch das Kaugummikauen. Der stimulierte Speichel beeinflusst vielfältig die Entstehung und das Voranschreiten von Karies durch protektive Faktoren. Die Speichelstimulation wird über den Akt des Kauens selbst (Mastikation) sowie durch die von den Geschmacksstoffen des Kaugummis angeregten Nerven („das Wasser läuft im Mund zusammen“) ausgelöst. Ein zuckerfreier Kaugummi sollte daher – auch aus zahnmedizinischer Sicht betrachtet – möglichst gut schmecken, damit er nach einer Mahlzeit möglichst lange, am besten zwischen 10 und 20 Minuten, gekaut und dadurch nachhaltig viel Speichel produziert wird.

Früher waren Kaugummis einfach nur lässig

Kaugummi hat sich in Deutschland zunächst als zuckerhaltiges Genussprodukt etabliert, bevor in den 1970/80er-Jahren die für die Zahngesundheit förderlichen Effekte seiner zuckerfreien Variante in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt wurden. Man kann nachvollziehen, dass dieser (frühe) Genussstatus des Kaugummis seiner Anerkennung in zahnmedizinischen Kreisen nicht nur förderlich war. Kaugummi wird nicht genuin als ein Dentalprodukt (wie Zahnpasta oder Zahnseide) gesehen, sondern vielmehr als ein Genussmittel mit – in seiner zuckerfreien Variante – positiven Zusatzeigenschaften. Bei der Zahnpasta ist einleuchtend, dass sie einen angenehmen Geschmack haben soll, damit der Patient oft und gründlich putzt. Beim Kaugummi scheint sein guter Geschmack, seine zuckerhaltige Variante und vielleicht auch der früher mit ihm assoziierte Lifestyle (lässig, cool) eher dazu geführt zu haben, dass sein zahnmedizinischer Nutzen für lange Zeit tendenziell unterschätzt wurde.

Die Wirkmechanismen des Speichels

Die Entstehung und die Progression von Karies werden auf verschiedene Weise durch protektive Speichelfaktoren beeinflusst. Von besonderer Bedeutung sind hier die Neutralisation von Säuren durch die Puffersysteme des Speichels, die Reinigung der Mundhöhle von verbliebenen Nahrungsbestandteilen durch die Spülfunktion (Clearance) sowie die remineralisierende Wirkung des Speichels. Die Schutzfaktoren des Speichels gegen Karies werden besonders wirksam, wenn der Speichelfluss durch Stimulation erhöht wird. Stimuliert wird der Speichelfluss vorrangig durch Geschmacks- und Geruchsempfindungen sowie durch mechanische Reize der Zunge oder anderer Bereiche der Mundhöhle. Zu den mechanischen Reizen zählt in erster Linie die Kautätigkeit. Der stimulierte Speichel verfügt im Vergleich zum Ruhespeichel über eine wesentlich bessere Pufferwirkung zur Neutralisation von Säuren und auch die Spülfunktion (Clearance) und die remineralisierende Wirkung des Speichels sind deutlich erhöht [Dawes, 2008]. Während die normale Fließrate für den unstimulierten Ruhespeichel bei 0,3 bis 0,4 ml/min liegt, beträgt die Fließrate für den stimulierten Speichel 1–3 ml/min. Maximal können etwa 7 ml/min erreicht werden.

Geschmacksreize fördern die Speichelfließrate

Das Kauen einer geschmacklosen Kaumasse stimuliert zwar auch den Speichelfluss, der Effekt ist aber deutlich geringer als bei zusätzlichen Geschmacksreizen. Yankell und Emling fanden eine signifikant erhöhte Schluckrate sowie eine bessere Absenkung des Plaque-pH-Wertes beim Kauen eines handelsüblichen zuckerfreien Kaugummis im Vergleich zu einer geschmacksneutralen Kaumasse [Yankell und Emling, 1988]. Dawes und Macpherson verglichen in einer Studie den Effekt von sechs verschiedenen Kaugummis mit dem Effekt von Kaugummi-Basismasse auf die Speichelfließrate (Abbildung 1) [Dawes und Macpherson, 1992]. Durch alle Kaugummis mit Geschmacksstoff wurde die Speichelfließrate zu Beginn gegenüber der unstimulierten Fließrate um etwa das Zehnfache, durch Kaugummi-Basismasse nur um etwa das Fünffache erhöht. Nach 20-minütigem Kauen war die Fließrate immer noch um das 2,7-Fache erhöht und damit in der Größenordnung wie die Fließrate beim Kauen von Kaugummi-Basismasse. Die Verminderung des Effekts nach einigen Minuten Kauen lässt sich bei den Kaugummis mit Geschmacksstoffen durch ein „Herauskauen“ der Geschmacksstoffe erklären. Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass sich nach wenigen Minuten zumeist die Kaufrequenz vermindert. Um den Speichelfluss über einen möglichst langen Zeitraum deutlich zu erhöhen, wäre es vorteilhaft, wenn die Geschmacksstoffe nur sehr langsam herausgekaut würden.

Metaanalyse belegt kariesprotektive Wirkung

In zahlreichen klinischen Studien wurde der kariesprophylaktische Effekt von mindestens dreimal täglichem Kauen von zuckerfreien Kaugummis untersucht. Das ADA(American Dental Association)-Center for Evidence-Based Dentistry führte 2011 eine Metaanalyse dieser Studien durch und stellte fest, dass bei fünf- bis sechzehnjährigen Personen das Kauen zuckerfreien Kaugummis für 10 bis 20 Minuten nach den Mahlzeiten die Kariesinzidenz verringern kann.

Kaugummikauen nach den Mahlzeiten ist aber keineswegs nur für junge Menschen empfehlenswert. Bei älteren Menschen findet sich häufig eine Verminderung des Speichelflusses, die zu zahlreichen Problemen führen und die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen kann. Die Prävalenz der Xerostomie liegt bei über 65-Jährigen bei etwa 30 Prozent und wird am häufigsten durch die Einnahme xerogener Medikamente verursacht. Kaugummikauen nach den Mahlzeiten oder auch zwischendurch zur Erhöhung des Speichelflusses kann hier eine sinnvolle und hilfreiche Maßnahme sein.

Es gibt keinen speziellen Dental-Kaugummi

Es finden sich keine Beweise dafür, dass bestimmte Süßungsmittel oder andere Inhaltsstoffe in Kaugummis zu einem erhöhten kariespräventiven Effekt führen. Bezüglich der verwendeten Zuckeraustauschstoffe wird aufgrund einiger Studien ein möglicher Vorteil von Xylit diskutiert. Hauptsächlich werden hierbei mögliche plaquehemmende Effekte von Xylit herausgestellt, durch die eine Karieshemmung bewirkt werden soll [Milgrom et al., 2012]. In einer jüngeren Studie konnte allerdings kein karieshemmender Effekt von Xylit nachgewiesen werden [Bader et al., 2013].

Alle Zuckeraustauschstoffe (Polyole) wie zum Beispiel Xylit sowie Süßstoffe wie beispielsweise Cyclamat und Aspartam wirken nicht kariogen, weil orale Mikroorganismen sie nicht oder kaum zu Säuren verstoffwechseln. Trotz unzureichender Studienlage erscheint es biologisch plausibel, dass das Kariesrisiko sinkt, wenn in nennenswertem Umfang Zucker in Nahrungsmitteln durch Zuckeraustauschstoffe oder Süßstoffe ersetzt wird [Lingström et al., 2003].

Insgesamt finden sich also keine ausreichenden Beweise für einen zusätzlich kariespräventiven Effekt bestimmter Zuckeraustauschstoffe. Für die Inhaltsstoffe von Kaugummi bedeutet dies, dass es also keinen speziellen „Dental-Kaugummi“ gibt, der einem „gewöhnlichen“ zuckerfreien Kaugummi zahnmedizinisch überlegen wäre. Die Wirkung des Kaugummikauens basiert auf der Speichelstimulation. Eine Stimulation des Speichels wird durch jedes Kaugummi erzielt und funktioniert umso besser, je besser das Kaugummi schmeckt und je länger es gekaut wird. Deshalb ist es wichtig zu empfehlen, besonders nach Mahlzeiten für 10 bis 20 Minuten ein zuckerfreies Kaugummi zu kauen.

Fazit für die Praxis

Regelmäßiges Kauen von zuckerfreiem Kaugummi nach den Mahlzeiten hat einen kariespräventiven Effekt und ist daher Bestandteil der Basismaßnahmen zur Kariesprophylaxe – der „Genussstatus“ des Kaugummis ist dabei hilfreich und nicht etwa hinderlich. Wenn Gesundheitsvorsorge und Prophylaxe angenehm sind und Freude bereiten, umso besser.

Prof. em. Dr. Joachim Klimek war bis 2014 Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltungs- und Präventive Zahnheilkunde des Zentrums für ZMK der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Kariesprophylaxe und Erosionen der Zahnhartsubstanzen. Er war Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung und Mitglied des Executive und des Advisory Council der ORCA (Europäische Gesellschaft für Kariesforschung).

###more### ###title###Literatur:###title### ###more###

Literatur:

ADA Center for Evidence Based Dentistry: Non-fluoride caries preventive agents – Full report of a systematic review and evidence-based recommendations. A report of the Council on Scientific Affairs 5/4/2011

Bader JD, Vollmer WM, Shugars DA, Gilbert GH, Amaechi BT, Brown JP, Laws RL, Funkhouser KA, Makhija SK, Ritter AV, Leo MC: Results from the Xylitol for Adult Caries Trial (X-ACT). J Am Dent Assoc 144, 21-30 (2013)

Dawes C. Salivary flow patterns and the health of hard and soft oral tissues. J Am Dent Assoc 139 (5 suppl): 18S-24S (2008)

Dawes C, Macpherson LMD: Effects of nine different chewing-gums and lozenges on salivary flow rate and pH. Caries Res 26, 176–182 (1992)

Deshpande A, Jadad AR: The impact of polyol-containing chewing gums on dental caries: a systematic review of original randomized controlled trials and observational studies. J Am Dent Assoc 139,1602 -1614 (2008)

Geurtsen W, Hellwig E, Klimek J: S2k-Leitlinie Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen. AWMF Register Nr. 083-021 (2016)

Lingström P, Holm AK, Mejáre I, Twetman S, Söder B, Norlund A, Axelsson S, Lagerlöf F, Nordenram G, Petersson LG, Dahlgren H, Källestal C: Dietary factors in the prevention of dental caries: a systemic review. Acta Odontol Scand 61, 331-340 (2003)

Matsukubo T, Takazoe I: Sucrose substitutes and their role in caries prevention. Int Dent J 56, 119-130 (2006)

Mickenautsch S, Leal SC, Yengopal V, Bezerra AC, Cruvinel V: Sugar-free chewing gum and dental caries – A systematic review. J Appl Oral Sci 15, 83-88 (2007)

Milgrom P, Söderling EM, Nelson S, Chi DL, Nakai Y. Clinical evidence for polyol efficacy. Adv Dent Res 2012, 112-116 (2012)

Van Loveren C: Sugar alcohols: What is the evidence for caries-preventive and caries-therapeutic effects? Caries Res 38, 286-293 (2004)

Yankell SL, Emling RC: Clinical effects on plaque pH, pCa, and swallowing rates from chewing a flavored or unflavored chewing gum, J Clin Dent 1(2): 51-53 (1988)

 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.