Praxisübernahme im Schwarzwald

„Uff‘m Land isch‘s super!“

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Manchmal sortiert man sich in der Mitte des Berufslebens noch einmal neu. Die Zahnärztin Isabel Tunn hat das getan und im Sommer 2018 in Höchenschwand ihre Praxis eröffnet – nachdem sie elf Jahre in Schottland gearbeitet hatte. Höchenschwand, das „Dorf am Himmel“, ist Deutschlands höchstgelegener heilklimatischer Kurort im südlichen Schwarzwald. Ein Gespräch über Tony Blairs Frontzähne, snap-on dentures, die Standortfrage und sanfte Zahnheilkunde.

Frau Tunn, eigentlich waren Sie schon ‚gesettled‘ – im wörtlichen Sinn, also niedergelassen, als auch im übertragenen Sinn, also beruflich eingerichtet, geordnet, gefestigt. Eine eigene Praxis in Schottland, wie kam es dazu? 

Isabel Tunn: Der Zufall hat mich nach Schottland gebracht, 2006 hat Großbritannien eifrig nach europäischen Zahnärzten gesucht, besonders Schottland war damals unterversorgt. Ich hatte Deutschland 2003 verlassen, um mir ein Jahr Auszeit in der Türkei zu gönnen, habe Türkisch gelernt und von dort aus mein Akupunktur-Diplom gemacht. Eines Tages fand ich mich im Internet-Café wieder und habe nach Zahnarztstellen gesucht, weltweit. Per Zufall bin ich auf die Webseite der britischen Botschaft gekommen, da stand, dass in Großbritannien dringend Zahnärzte gesucht werden. 

Wie war das Arbeiten in Schottland?

In Großbritannien gibt es ein „Schwarz-Weiß“-Gesundheitssystem. Entweder man nimmt am National Health Service (NHS), dem staatlichen nationalen Gesundheitsdienst, teil oder praktiziert privat. Dazu muss man wissen, dass das NHS ein Pauschalsystem ist, das nur geringste Honorare für Zahnärzte vorsieht. Ich konnte nicht sehen, wie es in diesem System möglich sein soll, echte Qualität zu liefern. 

Eigenanteile wie im deutschen Gesundheitssystem gibt es in England nicht. Viele Firmen bieten ihren Angestellten zwar eine Privatversicherung, so dass diese sich eine private Zahnmedizin leisten können. Allerdings stiegen die Wirtschaftskosten in der Praxis enorm, gleichzeitig war die Bereitschaft der Patienten für aufwendigere Prothetik wie Teleskope oder Implantate gering. 

Die deutschen Patienten sind meiner Meinung nach hinsichtlich der Mundgesundheit und eigener prothetischer Versorgungen viel aufgeschlossener als die Briten. Das konnte man schon an Tony Blairs Frontzähnen sehen.

Was hat Sie dann veranlasst, Schottland den Rücken zu kehren? 

Der Brexit brachte sehr viel Unsicherheit auf allen Ebenen – privat und dienstlich. Keiner wusste, wie es weitergehen sollte. Ich wollte Stabilität, daher bin ich zurück in die Heimat. Und mein schottischer Mann mit mir, wir hatten den Glauben an ein unabhängiges Schottland verloren. 

Sie haben sich wieder für eine eigene Praxis entschieden.

Ich war schon acht Jahre niedergelassen, ich konnte mir kein Angestelltenverhältnis mehr vorstellen. Zudem war ich bei meiner Entscheidung hochschwanger und sehe das Blatt von der anderen Seite. Als Angestellte kann ich zum Beispiel meine Arbeitszeit nicht so frei gestalten, wie ich es jetzt mit meiner Praxis kann.

Was warum die Gründe dafür, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen? 

Ich mag schlichtweg die Hektik einer Großstadt nicht. Die Leute hier auf dem Land „schwätze noch miteinand“, das schätze ich sehr. Zudem genieße ich es, ein Teil der Gemeinde und für die Gemeinde zu sein.

Berater sprechen oft davon, dass der Standort die Wirtschaftlichkeit (mit-)bestimmt – warum haben Sie sich für Ihren Standort entschieden?

Nach zwei Praxisgründungen denke ich, das mit dem Standort kann man von mehreren Seiten sehen. Vorrangig in unserem Beruf sind die Professionalität und das schlichte Können. Ich kannte in Großbritannien einen Zahnarzt, der sehr erfolgreich war und regelrecht abseits von jeder Infrastruktur seine Praxis hatte. Der war sehr erfolgreich, weil er einfach gut war – auch im Marketing. 

Wie groß ist Ihre Praxis? 

Momentan bin ich die einzige Behandlerin mit zwei Assistentinnen, eine Vergrößerung ist jedoch geplant.

Welche Patienten betreuen Sie? Spielt die Nähe zur Schweiz eine Rolle?

Ich betreue hauptsächlich geriatrische Patienten, Schweizer machen weniger als zehn Prozent aus. Die Alterszahnheilkunde spielt in meiner Praxis deswegen eine große Rolle, weil der örtliche Altersdurchschnitt sehr hoch ist. Das ist aber keine große Herausforderung, es ist ganz normale Zahnheilkunde für mich. Vielleicht ist die Chirurgie mehr vertreten, was ich aber gern mag.

Wie ist das Arbeiten im Vakuum ländlicher Raum und Schweizer Grenze?

Wie gesagt, ich genieße es und bin dankbar, Teil einer Gemeinde sein zu dürfen.

Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen? Wo liegen die Herausforderungen? 

Um ehrlich zu sein, ich arbeite daran. Ohne Unterstützung von außen ist es sehr schwer, eine Work-Life-Balance zu erreichen. Es ist sozusagen ein „Work in progress“. Die Herausforderungen liegen darin, allen gerecht zu werden: den Patienten, dem Team, dem Ehemann und dem Sohn. Und auch sich selbst. Manchmal hatte ich das Gefühl, von morgens bis zu dem Moment, wann ich abends die Augen schließe, nur noch zu arbeiten – entweder in der Praxis oder zu Hause. Wir Frauen haben da schnell eine Dreifachbelastung: Beruf, Haushalt und Kind. Nun habe ich mich entschlossen, den Haushalt und auch die Tagesbetreuung meines Sohnes abzugeben. Auch wenn es schwerfällt, aber anders geht es nicht. 

Sport und Meditation ist ebenfalls elementar für Klarheit und Gelassenheit im Leben für mich. Außerdem habe ich gelernt, Pausen einzulegen. Anfangs habe ich sieben Stunden durchgearbeitet, ohne Essen, manchmal auch ohne zu trinken, das kann man nicht lange durchhalten. Über einen Artikel über Pausen und dank meiner kürzlich eingestellten Rezeptionistin ist mir dies nun möglich. Mit Pausen ist man viel produktiver.

Wie ist Ihr Eindruck nach den ersten Monaten zurück in Deutschland? 

Ich liebe es total, ich kann hier viel mehr leisten als in UK, dort war das Feld sehr eingeschränkt. Auch bin ich froh, einige britische Aspekte in Sachen Ästhetik einfließen lassen zu können. Für mich sind dies vornehmlich in der Ästhetik: Veneers, Componeers, Snap on dentures, aber auch die Kombination von KFO und Prothetik. Ich genieße auch die tollen Fortbildungen hier in Deutschland und die „Advanced Technology“.

Ihr aktuelles Praxiskonzept beruht auf sanfter Zahnheilkunde – was verstehen Sie darunter?

Bedacht und mit Achtsamkeit für sich und dem Patienten gegenüber. Mein Konzept liegt in der ganzheitlichen Zahnheilkunde, es fließen Elemente der Hypnose ein, unterstützt durch Farben, Musik und Stimme. Aber eben auch auf Achtsamkeit im Umgang mit den Menschen, mit dem Praxisteam und mit mir selbst. Es ist ein buddhistischer Ansatz, ein bisschen Jon-Kabat-Zinn-based*.

Ihre Homepage ist auf Deutsch und Englisch – haben Sie viele internationale Patienten? 

Ja, viele ausländische Mitbewohner tun sich mit Deutsch sehr schwer und sind froh, sich in einer weiteren Sprache äußern zu können. Wir sind auch zu Hause bilingual, daher ist das kein Problem für mich, zwischen den Sprachen zu switchen.

Die Fragen stellte Stefan Grande.

*Jon Kabat-Zinn ist Professor Emeritus für Medizin an der University of Massachusetts Medical School; er forscht im Bereich der Heilung und den klinischen Anwendungen des Achtsamkeitstrainings für Menschen mit chronischen Schmerzen und mit Stress verbundenen Störungen. Seine Werke zu Achtsamkeitstraining sind Bestseller.

Isabel Tunn

1992–1994: Ausbildung zur medizinisch-technischen Angestellten an der MTA-Schule der Universität Freiburg

1994–2000: Zahnmedizinstudium an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg., mit Abschluss der Approbation

2001–2005: angestellte Zahnärztin, Schwerpunkt konservierende Zahnheilkunde

2005–2006: Diplom für Ohr- und Körperakupunktur an der Europäischen Akademie für Akupunktur in München

2006–2007: angestellte Zahnärztin (Blairdaff Dental Practice in Schottland), allgemeine Zahnheilkunde im NHS, Kinderbehandlung und Notdienst

2007–2009: selbstständige Zahnärztin (Westhill Dental Practice in Schottland) mit Schwerpunkt auf Prothetik

2009: selbstständige Vertretungszahnärztin (Cults Dental Care in Schottland) 

2009–2017: leitende Zahnärztin in eigener privater Zahnarztpraxis (Oldmacher Dental Care in Schottland), Direktorin der Tunn Dental LTD

seit 2018: Praxisübernahme in Höchenschwand und Dozentin für Onlinekurse über Doppelkronensysteme

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