Die Therapie obliterierter Wurzelkanäle stellt mitunter auch für erfahrene Endodontologen eine große Herausforderung dar. Oftmals sind kalzifizierte Wurzelkanäle mit einem vorangegangenen Trauma assoziiert [Andreasen et al., 1987; Oginni et al., 2009]. Aber auch kariöse Läsionen [Sayegh et al., 1968], invasive Restaurationen [Fleig et al., 2017] und kieferorthopädische Maßnahmen [Delivanis et al., 1982] können einen chronischen Reiz für die Pulpa bewirken und eine Obliteration begünstigen. Darüber hinaus kann die physiologische, altersbedingte Bildung von Sekundärdentin zu einer Verengung des Wurzelkanals führen [Johnstone et al., 2015].
Meist kommt es im Verlauf zu einer gelblichen Verfärbung des Zahns und radiologisch zeigt sich ein verkleinerter Wurzelkanal bis hin zum kompletten Fehlen dieser Struktur. Wissenschaftlich herrscht Konsens, dass die Apposition von Dentin als indirektes Zeichen der Vitalität zu bewerten ist und nicht jede Obliteration eine Therapieindikation darstellt. Eine Wurzelkanalbehandlung von kalzifizierten Zähnen ist nur bei vorliegender klinischer Symptomatik oder einer apikalen Parodontitis indiziert [Andreasen et al., 1987; Oginni et al., 2009; McCabe et al., 2012; Moule et al., 2007].
Die zeitintensive Erschließung eines kalzifizierten Wurzelkanalsystems ist selbst unter Zuhilfenahme des OP-Mikroskops technisch schwierig und komplikationsbehaftet [Kiefner et al., 2017]. Die Suche nach dem Wurzelkanal führt zu einem erhöhten Verlust von Zahnhartsubstanz und birgt das erhöhte Risiko von Perforationen, Instrumentenfrakturen und inkompletter Kanalpräparation, was letztendlich im Verlust des Zahns resultieren kann [Hargreaves et al., 2015; Cvek et al., 1982; Wu et al., 2011].
Computergeplante Bohrschablonen für die navigierte Implantation haben sich etabliert und gehören mittlerweile zu den Routineverfahren. In Anlehnung an diese Technik wurde das „Guided Endodontics“-Verfahren für die Therapie von obliterierten Wurzelkanälen entwickelt [Connert et al., 2018; Krastl et al., 2016]. Hierbei werden die DVT-Datensätze obliterierter Wurzelkanäle in eine Planungssoftware übertragen, mit den SLT-Daten von Intraoral- oder Model-Scans gematched und eine Navigationsschiene für den optimalen Zugang in das Kanalsystem geplant, die in Folge gefräst oder gedruckt wird. Studien zeigen, dass diese Technik eine präzise und reproduzierbare Methode zur Erschließung obliterierter Kanalsysteme ist [Connert et al., 2017; Zehnder et al., 2016].
Anhand des folgenden Patientenfalls soll das klinische und technische Vorgehen bei der „Guided Endodontics“-Therapie demonstriert werden.
Fallbeschreibung
Der 17-jährige Patient stellte sich mit nicht auffindbarem Wurzelkanal Zahn 23 vor. Er war allgemeinanamnestisch unauffällig. Zum Zeitpunkt der Überweisung war die Trepanation bereits erfolgt und der Zahn provisorisch gefüllt. Ein präoperatives Röntgenbild, auf dem keinerlei Kanalstrukturen erkennbar waren (Abbildung 1) sowie ein OPTG (Abbildung 2) lagen vor. Der Patient klagte über spontanen Schmerz, der Zahn war perkussionsempfindlich, reagierte nicht auf den Kältetest. Der Klopfschall war unauffällig, der vestibuläre Knochen im apikalen Bereich druckschmerzhaft. Die Diagnose lautete symptomatische apikale Parodontitis.
Abbildung 1: Präoperative Röntgenaufnahme Zahn 23 mit stark obliteriertem Wurzelkanal | Patientenaufnahme
Abbildung 2: Präoperatives DVT: Zahn 23 weist einen stark obliterierten Wurzelkanal und eine apikale Parodontitis auf. | Patientenaufnahme
Abbildung 3: Röntgenbild der Perforation des Wurzelkanals Zahn 23 mit eingebrachter C-Feile ISO 15 | Klinik und Polikliniken für ZMK, Universitätsmedizin Mainz
Aus der zahnärztlichen Anamnese ging hervor, dass der impaktierte Zahn 23 mittels chirurgisch-kieferorthopädischer Extrusion vor drei Jahren in die Zahnreihe eingegliedert wurde.
Es erfolgte die Inspektion unter dem OP-Mikroskop. Klinisch zeigte sich kein Anhalt auf Kanalstrukturen. Es erfolgten zwei zeitintensive Sitzungen, in denen der Wurzelkanal nicht dargestellt werden konnte und der Zahn, trotz größter Vorsicht und Verwendung des Mikroskops, perforiert wurde. Die Perforation war vestibulär im mittleren Kanaldrittel nach einer Länge von 18 mm lokalisiert (Abbildungen 3 und 4). Die Therapieentscheidung fiel daraufhin zugunsten einer „Guided Endodontics“-Behandlung.
Abbildung 4: Blutung aus Perforationsstelle Zahn 23 | Benjamin Mahmoodi
Abbildung 5: Geplante Trepanationsbohrung in das apikale Kanaldrittel mit Darstellung des Bohrers und der Bohrhülse (Sagittalebene) | Dan Brüllmann
Abbildung 6: Geplante Trepanationsbohrung in der Horizontalebene | Dan Brüllmann
Zunächst wurde hierfür eine DVT–Aufnahme mit einem FOV von 8 cm x 8 cm angefertigt (Orthophos XG 3D, Sirona, Bensheim) und das Oberkiefer-Modell des Patienten gescannt (3Series Dentaler Modellscanner, Dental Wings, Montreal, Kanada). Die DICOM- und SLT-Datensätze wurden anschließend in die Planungssoftware (coDiagnostiX, Dental Wings, Montreal, Kanada) übertragen, fusioniert, und es wurde virtuell eine optimale Zugangskavität geplant. Der verwendete Endoseal-Bohrer (Atec Dental, Ebringen) mit einem Durchmesser von 1,0 mm sowie die auf den Bohrer abgestimmte Endo-Guide-Innenhülse (Steco Systemtechnik, Hamburg) sind in der Software hinterlegt. Bohrer und Hülse werden in der Software so positioniert, dass die Zugangskavität bis in die apikalen Kanalabschnitte erfolgen kann (Abbildungen 5 bis 7). Nach der virtuellen Planung (Abbildung 8) erfolgte die Herstellung der Navigationsschiene mit dem 3-D-Drucker Form 2 (Formlabs, Berlin). Im Anschluss wurde die Hülse in die Schiene eingesetzt (Abbildung 9).
Abbildung 7: Geplante Trepanationsbohrung in der OPG-Rekonstruktion | Dan Brüllmann
Abbildung 8: Virtuell geplante Navigationsschiene | Dan Brüllmann
Abbildung 9: Gedruckte und ausgearbeitete Schiene mit eingebrachter Bohrerhülse und Bohrer | Benjamin Mahmoodi
Abbildung 10: Angepasste Schablone in situ unmittelbar vor der Bohrung | Benjamin Mahmoodi
In der folgenden Sitzung wurde die Schiene angepasst (Abbildung 10), die Trepanationsöffnung ergänzt und die Bohrung mittels Endoseal-Bohrer auf die zuvor am DVT geplante Tiefe vorgenommen. Nach erfolgter Bohrung wurde der Kofferdam angebracht und das erschlossene Kanalsystem mit einer ISO 10 C-Feile sondiert (Abbildung 11). Die Endometrie ergab 23,5 mm. Eine Röntgenkontrastaufnahme mit einer ISO 15 K-Feile wurde angefertigt (Abbildung 12). Die mechanische Wurzelkanalpräparation erfolgte mit Reciproc Blue 25 und 40 (VDW, München), die Desinfektion mit NaOCl 5 Prozent und EDTA 17 Prozent. Die Perforation wurde mit Total Fill BC Root Repair Material (FKG, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) abgedeckt (Abbildung 13). Im Anschluss wurde eine Masterpointaufnahme angefertigt (Abbildung 14), der Wurzelkanal mit Total Fill BC Points und Sealer (FKG, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) biokeramisch abgefüllt (Abbildung 15) und adhäsiv verschlossen. Bei der klinischen Nachuntersuchung nach vier Wochen war der Zahn symptomlos.
Abbildung 11: Darstellung und Sondierung des eigentlichen Wurzelkanals | Benjamin Mahmoodi
Abbildung 12: Messaufnahme mit ISO 15 K-Feile auf 23,5 mm | Klinik u. Polikliniken für ZMK, Universitätsmedizin Mainz
Das postoperative Röntgenbild neun Monate nach Therapieabschluss zeigt gute periapikale Verhältnisse (Abbildung 16), und der Zahn ist nach wie vor ohne klinische Symptomatik.
Abbildung 13: Perforationsversorgung mit BC Root Repair Material (FKG, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) | Benjamin Mahmoodi
Keine Kommentare