Anamnestisch waren eine ausgeprägte Demenz, Status nach Hüftgelenksersatz, eine arterielle Hypertonie, eine Herzinsuffizienz und ein Diabetes mellitus bekannt. Bei Vorhofflimmern wurde die Patientin mit Apixaban (Eliquis®) behandelt.
Die erste Sichtung erfolgte wegen des Verletzungsmusters und eines Glasgow-Coma-Scale-Score von 8 (einem Score-System zur Einschätzung des neurologischen Status zum Beispiel bei Schädel-Hirn-Trauma, Normalwert: 15) über die chirurgische Notaufnahme und die Abteilung für Neurochirurgie. Von neurochirurgischer Seite zeigte sich eine Subarachnoidalblutung ohne akuten Interventionsbedarf und eine nicht dislozierte Kalottenfraktur. Aufgrund einer zusätzlichen dislozierten Mehrfragmentfraktur des Unterkiefers (Abbildung 1) wurde die Abteilung für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie konsultiert.
Klinisch präsentierte sich die Patientin mit einer massiven Unterkieferrücklage (Abbildung 2) mit Rückfall der Zungenmuskulatur, mobilem Unterkieferfrontsegment sowie einem Mundboden- und einem Kinnhämatom. Die Kiefer waren komplett zahnlos und zeigten eine ausgeprägte Atrophie. Eine Prothese existierte nicht. Die Mundöffnung schien nicht eingeschränkt. Aufgrund der neurologischen Einschränkungen der Patientin war eine Untersuchung von Sensibilität oder Motorik nicht abschließend möglich. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich durch die Rücklage des anterioren Unterkiefers eine Verlegung der Atemwege mit Sättigungsabfällen bis 84 Prozent O2, die sich klinisch in einer Schnappatmung manifestierte. Bei manueller Reposition des Unterkiefers normalisierte sich die Atemfrequenz mit peripherer Sauerstoffsättigung bis 96 Prozent O2 (100% unter Sauerstoffgabe). Die manuelle Reposition wurde von einem knirschenden Geräusch begleitet (Krepitation).
Bei akuter, respiratorisch relevanter Verlegungsproblematik wurde daher initial in Lokalanästhesie zur Stabilisierung eine passagere externe Unterkiefer-Schienung im Sinne eines extern geschienten „circumferential wiring“ angelegt. Die Schienung diente zur Überbrückung, bis eine definitive operative Versorgung möglich war, da eine sofortige Narkose im Notfall von der Anästhesie als kritisch betrachtet wurde und zur besseren neurologischen Überwachung darauf verzichtet werden sollte. Nach Fixierung der Schienung (Abbildung 3) zeigte sich sofort eine stabile Verbesserung der Atemwegssituation.
Die Patientin wurde danach zur Reevaluation des neurologischen Status und zur Überwachung vorübergehend durch die Neurochirurgie übernommen. Nach Ausschluss einer interventionsbedürftigen neurochirurgischen Problematik wurde die Patientin in die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie verlegt und es erfolgte die operative Versorgung der Fraktur in Vollnarkose.
Hier wurde der Kiefer von extraoral reponiert und eine an einem reponierten 3-D-Modell des Unterkiefers vorgebogene Platte zur Retention genutzt (Abbildung 4).
Postoperativ zeigte sich eine im Allgemeinzustand inzwischen deutlich gebesserte Patientin, der Heilungsverlauf verlief unkompliziert.
Abbildung 1a: Darstellung der dislozierten Mehrfachfraktur im CT in der axialen Schichtung | Peer Kämmerer
Abbildung 1b: Darstellung der 3-D-Rekonstruktion in der die Rücklage des Unterkiefers zu erkennen ist. | Peer Kämmerer
Abbildung 1c: Die Rücklage konnte in der sagittalen Schichtung (1c) mit < 1 cm quantifiziert werden.| Peer Kämmerer
Abbildung 3: Klinischer Situs nach fixierender Drahtcerclage im Unterkiefer mit Holzspateln als extraorales Widerlager | Peer Kämmerer
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