Umfangreiche Übersichtsarbeiten belegen die sichere Anwendbarkeit von direkten adhäsiven Kompositrestaurationen im kaulasttragenden Seitenzahnbereich mit geringen jährlichen Verlustraten von circa 2 Prozent [Manhart et al., 2004; Beck et al., 2015]. In Kombination mit der Adhäsivtechnik ermöglichen Komposite rein defektorientierte Versorgungen bei maximaler Schonung der noch verbliebenen gesunden Zahnhartsubstanz.
Kontinuierliche Verbesserungen im Bereich der Adhäsivsysteme und Komposittechnologie sowie weiterentwickelte klinische Applikationstechniken [Attin und Tauböck, 2017; Staehle, 2019] führen dazu, dass das Indikationsspektrum direkter Kompositrestaurationen zunehmend erweitert wird und keine klare Grenze mehr zu indirekten Versorgungen erkennen lässt [Rothmeier et al., 2019]. Selbst komplexe Bisshöhenrekonstruktionen können heutzutage mit direkten adhäsiven Kompositaufbauten vorhersehbar durchgeführt werden, wie klinische 5,5-Jahres-Daten zeigen [Attin et al., 2012].
Während der Fokus der Biomaterialforschung lange Zeit auf der Optimierung der mechanischen und der ästhetischen Eigenschaften dentaler Komposite sowie auf der Verbesserung ihrer Abrasionsstabilität lag, orientieren sich aktuelle Entwicklungen auch am Wunsch vieler Zahnärzte nach einer vereinfachten, weniger fehleranfälligen und zugleich zeitsparenden Füllungstherapie. Bestrebungen, Kompositmaterialien ohne die Anwendung eines Adhäsivsystems und damit ohne techniksensitive Konditionierungsmaßnahmen an der Zahnhartsubstanz zu befestigen, haben zur Einführung selbstadhäsiver Komposite geführt, die neben einer vereinfachten Anwendung zeitliche Vorteile versprechen.
Ein anderer Ansatz, Fehlerquellen im Rahmen der Füllungstherapie zu reduzieren und den Arbeitsablauf zu beschleunigen, wurde bei der Entwicklung von Bulk-Fill-Kompositen verfolgt, die im Vergleich zu herkömmlichen Komposit-Füllungsmaterialien deutlich erhöhte Inkrement-Schichtstärken und damit eine vereinfachte und zeitsparende Applikationstechnik ermöglichen.
Selbstadhäsive Komposite
Aufgrund der großen Beliebtheit der selbstadhäsiven Befestigungs-Kompositmaterialien wurden auch für den Einsatz in der direkten Füllungstherapie selbstadhäsive Komposite entwickelt. Diese Komposite sollen einen sicheren Verbund zur Zahnhartsubstanz ohne separate Konditionierung und ohne Applikation eines Adhäsivsystems erzielen. Das Funktionsprinzip basiert auf funktionellen Monomeren der niedrigviskösen Komposite, die zu einer Ätzung der Zahnhartsubstanz führen und eine chemische Bindung zum Hydroxylapatit eingehen.
Das erste auf den Markt gebrachte selbstadhäsive Komposit „Vertise Flow“ (Kerr, Orange, CA, USA) enthält Glycerolphosphat-Dimethacrylat (GPDM) als funktionelles Monomer, dessen saure Phosphatgruppe zum einen die Zahnhartsubstanz ätzt und damit eine mikroretentive Oberfläche erzeugt und zum anderen chemisch an das Kalzium der Zahnhartsubstanz binden kann. Über Methacrylatgruppen erfolgt eine Vernetzung mit anderen Monomeren, wodurch die mechanische Festigkeit maßgeblich bestimmt wird [Blunck, 2012].
Weitere in selbstadhäsiven Kompositen eingesetzte funktionelle Monomere sind 4-Methacryloxyethyltrimellitsäure (4-MET) (Bestandteil von Fusio Liquid Dentin; Pentron Clinical, Orange, CA, USA), das über Carboxylgruppen (ähnlich wie bei Glasionomerzementen) eine Haftung zur Zahnhartsubstanz eingeht sowie 10-Methacryloyloxydecyl-Dihydrogenphosphat (10-MDP) (Bestandteil von Constic; DMG, Hamburg, Deutschland). Insbesondere für 10-MDP konnten stabile chemische Bindungen zu Hydroxylapatit nachgewiesen werden [Yoshida et al., 2004].
Unabhängig von den enthaltenen Monomeren müssen selbstadhäsive fließfähige Komposite aktiv für circa 20 Sekunden in die Zahnhartsubstanz einmassiert werden. Durch die aktive Applikation wird die Interaktion zwischen den sauren Monomeren und der Substratoberfläche verbessert [Vichi et al., 2013]. Des Weiteren ist zu beachten, dass selbsthaftende fließfähige Komposite (sogenannte „Flowables“) im Unterschied zu konventionellen Flowables nur in einer sehr dünnen ersten Schicht von circa 0,5 mm auf die Zahnhartsubstanz appliziert werden sollen.
In Laboruntersuchungen zeigten selbstadhäsive Komposite sowohl auf Schmelz als auch auf Dentin nicht nur schlechtere Haftwerte im Vergleich zum klinisch langzeitbewährten Etch-and-Rinse-System „Optibond FL“ (Kerr), sondern auch im Vergleich zu vereinfachten Ein-Schritt-Self-Etch-Adhäsiven [Juloski et al., 2012; Poitevin et al., 2013; Vichi et al., 2013; Brueckner et al., 2017; Peterson et al., 2018]. Insbesondere nach Temperatur-Wechselbadbelastung wurden für selbstadhäsive Komposite stark reduzierte Haftwerte ermittelt [Brueckner et al., 2017]. Die Haftung am Schmelz kann durch vorgängiges Ätzen mit Phosphorsäure verbessert werden [Juloski et al., 2012]. Allerdings steht dieser zusätzliche Arbeitsschritt dem Grundgedanken eines selbstadhäsiven ohne separate Konditionierung haftenden Komposits entgegen.
Trotz der reduzierten Schmelz- und Dentinhaftung konnte für Vertise Flow ein besserer Randschluss im Vergleich zu Ein-Schritt-Self-Etch-Adhäsiven nachgewiesen werden [Vichi et al., 2013]. Aufgrund der hydrophilen Monomere zeigt Vertise Flow eine hygroskopische Expansion, so dass das vergleichsweise gute Randverhalten auf eine Kompensation der Polymerisationskontraktion durch Wasseraufnahme zurückzuführen sein könnte [Wei et al., 2011].
Allerdings steigert die Wasseraufnahme die Hydrolyseanfälligkeit des Füllungsmaterials. Darüber hinaus wurde im Vergleich zu einem klassischen Drei-Schritt-Etch-and-Rinse-System (Optibond FL; Kerr) bei selbstadhäsiven Kompositen ein höherer Anteil undichter Füllungsränder beobachtet [Celik et al., 2015]. In einer randomisierten klinischen Studie wiesen zudem 67 Prozent der mit dem selbstadhäsiven Komposit Fusio Liquid Dentin (Pentron Clinical) versorgten nicht-kariösen zervikalen Läsionen bereits nach sechs Monaten Retentionsverluste auf, während in der Kontrollgruppe (Optibond FL, Kerr) keine Retentionsverluste auftraten [Çelik et al., 2015].
Überschichtung eines fließfähigen Bulk-Fill-Komposits
1a: Zustand nach Kariesexkavation Zahn 14, 1b: Appliziertes fließfähiges Bulk-Fill-Komposit (SDR, Dentsply Sirona) als 4-mm-Basisinkrement, 1c: Modellierte Deckschicht aus konventionellem Komposit (Ceram.x Spectra ST, Dentsply Sirona), 1d: Fertiggestellte MO-Kompositfüllung an Zahn 14 | Dieckmann
Versorgung einer tiefen Seitenzahnkavität nach Stufenelevation mit einem Bulk-Fill-Komposit
2a: Klinische Ausgangssituation: insuffiziente Kompositfüllung 24, 2b: Zustand nach Entfernung der insuffizienten Kompositfüllung und Kariesexkavation, 2c: Applikation einer tiefgreifenden Metallmatrize, 2d: Stufenelevation (2 mm) mit fließfähigem Bulk-Fill-Komposit (SDR, Dentsply Sirona), 2e: Ausarbeitung der approximalen Kompositstufe mit einer einseitig diamantierten Feile (Proxoshape, Intensiv), 2f: Mechanische Vorbehandlung der okklusalen Fläche der Kompositstufe mit einem diamantierten oszillierenden Präparationsaufsatz (SONICsys, KaVo): Dabei erfolgt gleichzeitig eine Höhenreduktion der Stufe auf das Niveau des Keilchens, wodurch eine bündige Applikation der folgenden Teilmatrize (Abbildung 2g) erleichtert wird., 2g: Applikation eines Teilmatrizensystems (Palodent V3, Dentsply Sirona) und Reduktion der Metallmatrizenhöhe mit einem Diamantschleifer: Dadurch werden die Sicht in die Kavität und das Einbringen des Komposits erleichtert., 2h: Aufbau der distalen Randleiste aus konventionellem Komposit (Ceram.x Spectra ST, Dentsply Sirona), 2i: Fertiggestellte OD-Kompositfüllung an Zahn 24 | Attin
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