Eine Geschichte der maschinellen Beatmung

Mit dem Pulmotor fing alles an

Vor 100 Jahren sieht Johann Heinrich Dräger in London, wie ein Mann aus der Themse geborgen und wiederbelebt wird. In ihm reift eine Idee: Aufgrund von Sauerstoffmangel bewusstlose Menschen vor Ort maschinell zu beatmen. Er entwickelt den „Pulmotor“, das wahrscheinlich erste Beatmungsgerät der Welt, für das er 1907 das Patent erhält.

Der Pulmotor war nicht Drägers erstes Patent. Bereits 1889 entwickelte er ein Druckmindererventil für Kohlensäure, zu Beginn des 20 Jahrhunderts dann Atemschutz-geräte für Bergungsleuten unter Tage. Dräger machte sich dabei vor allem bei Grubenrettern in Nordamerika einen Namen. Bis heute nennen sich die Grubenwehren und Rettungsmannschaften in den USA und Kanada „Draegermen“.

In der Entwicklung von Beatmungsgeräten waren zwei Fertigkeiten gefragt: Die Konstrukteure mussten sich in Steuerungsprinzipien auskennen und sie mussten mit der Handhabung von Druckgasen vertraut sein. Beide Voraussetzungen waren zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in der noch jungen Firma „Heinrich & Bernhard Dräger“ gegeben. In seiner Publikation „Das Werden des Pulmotors“ beschreibt der Unternehmensgründer Dräger seine Überlegungen zur Entwicklung eines Beatmungsgeräts.

Als gelernter Uhrmacher kannte er die Mechanik

Er skizziert darin eine neue Technologie zum „Einblasen von Frischluft oder Sauerstoff in die Lunge“. Sein mit Druck-Sauerstoff betriebener Pulmotor erzeugte abwechselnd einen positiven und negativen Atemwegsdruck. Für die Umschaltung zwischen Ein- und Ausatmung setzte Dräger in seinem Ur-Pulmotor eine Mechanik ein, die ihm als gelerntem Uhrmacher recht geläufig war: Die Steuerung des Beatmungsmusters erfolgte mit einem modifizierten Uhrwerk mit Kurvenscheibe. Dräger wählte er für seine Beatmungsmaschine ein technisches Prinzip, bei dem die Dauer der Ein- und Ausatemphase während der – zeitgesteuerten – künstlichen Beatmung unverändert blieb.

Der Rest der Welt ging erst einen anderen Weg

Der Rest der Welt folgte damals einem anderen Weg: Zur Steuerung des Beatmungsmusters diente ihnen ein sogenanntes druckgesteuertes System, das nach Erreichen bestimmter Beatmungsdrücke auf Aus- beziehungsweise auf Einatmung umschaltete. Moderne Beatmungsgeräte sind jedoch nicht mehr druckgesteuert, sondern überwiegend zeitgesteuert.

Ob Dräger damals schon wusste, dass er mit seinem Prinzip der Physiologie näherkam als andere? Klar ist, dass sein Pulmotor mit der Zeitsteuerung den richtigen Weg wies. Allerdings gab es noch zwei Unzulänglichkeiten.

Zum einen kam es zu einer erhebliche Rückatmung des ausgeatmeten Gases und zum anderen konnte durch die rigide Uhrwerk-Steuerung die Beatmung nicht an den Patienten angepasst werden. Die Problemlösung überließ Heinrich seinem Sohn Bernhard und dem Ingenieur Hans Schröder.

Aktuell zu COVID-19

Der Vorläufer der Drägerwerk AG & Co. KGaA, die Firma Dräger & Gerling, wurde am 1. Januar 1889 von Johann Heinrich Dräger und Carl Adolf Gerling in Lübeck gegründet. Im selben Jahr wurde das Lubeca-Ventil, ein Druckminderer, patentiert. Es folgten1899 ein als Finimeter noch heute bezeichnetes Manometer für Atemgasflaschen, 1902 der Roth-Dräger-Narkoseapparat, 1907 ein Tauchretter für U-Bootbesatzungen und das Notfallbeatmungsgerät Pulmotor, 1912 ein schlauchloses Helmtauchgerät, 1926 ein Bade-Tauchretter sowie ein Sauerstoffkreislaufgerät zur Rettung verunglückter Schwimmer, 1953 ein Alkohol-Teströhrchen und das militärische Sauerstoff-Kreislaufgerät Leutnant Lund II.

In Folge der COVID-19-Pandemie stieg die Nachfrage nach Beatmungsgeräten sprunghaft so stark an, dass das Unternehmen die Produktionskapazitäten im Februar und erneut im März verdoppeln musste. Allein die deutsche Bundesregierung bestellte 10.000 Geräte, die im Laufe des Jahres ausgeliefert werden sollen.

So war der Patient nur über einen Schlauch mit der Beatmungsmaschine verbunden, der wie eine Verlängerung der Luftröhre wirkte, da die Ein- und Ausatemluft erst innerhalb des Geräts getrennt wurde. Bernhard ersetzte diesen Atemanschluss durch ein System aus Ein- und Ausatemschlauch und bewirkte durch eine geänderte Ventilsteuerung eine patientennahe Trennung von Einatem- und Ausatemluft. Die Verunreinigung der Einatemluft durch ausgeatmetes Kohlendioxid war damit erheblich verringert.

Hans Schröder konstruierte zudem ein Steuerprinzip, mit dem sich abhängig vom Atemwegsdruck automatisch von Einatmung auf Ausatmung umschalten ließ.

1908 waren schon 3.000 Pulmotore im Einsatz

Bereits fünf Jahre nach Beginn der Serienfertigung 1908 waren 3.000 Pulmotore im Einsatz, zehn Jahre später hatte sich ihre Anzahl fast verdoppelt.

Mit Ausnahme des Beatmungsdrucks in der Einatemphase unterschied sich die damalige Beatmung recht deutlich von der heutigen und die Kritik aus der Klinik erscheint aus heutiger Sicht nachvollziehbar. Der Streit ging hauptsächlich um die vermeintlich gefährlichen Folgen des Beatmungsdrucks auf Herz und Lunge – die, wie man heute weiß, wesentlich bedenklicheren Negativdrücke oder die CO2-Beimischung zur Stimulation des Atemzentrums fanden hingegen wenig Beachtung.

Das Reichsgesundheitsamt entschied 1922, dass es gegen die Anwendung von Überdruckbeatmung keine gesundheitlichen Bedenken gebe, veranlasste jedoch dazu wissenschaftliche Untersuchungen. Das Thema Schädigung des Organismus durch Beatmungsgeräte ist auch heute noch aktuell (siehe Kasten).

Vorbild war auch hier der Tagebau

Bei den Folgemodellen in den 1950er Jahren der Beatmungsdruck nicht werkseitig festgelegt, sondern konnte vom Arzt eingestellt werden. Außerdem konnten Beatmungsfrequenz und Volumen über Regelventile angepasst und sowohl Beatmungsdruck als auch das ventilierte Volumen an Zeiger-instrumenten abgelesen werden.

Zur Atemgaskonditionierung verwendete man Nickelsiebpakete, die man im Grubenrettungswesen schon erfolgreich eingesetzt hatte. In den Sieben kondensierte die Feuchtigkeit der Ausatemluft und in der Einatemphase diente dieses Kondensat dann zur Anfeuchtung des Atemgases.

Der große Bedarf an Beatmungsgeräten in der Klinik entstand zum großen Teil aus der enorm gestiegenen Zahl an beatmungspflichtigen Patienten aus den Polioepidemien. Besonders kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte sich die Nachfrage nach Beatmungs-geräten, die Patienten über längere Zeiträume beatmen konnten.

Wie ein zweiter Thorax: Die Eiserne Lunge

Zum Einsatz kamen hier große, starre Behälter, in die der beatmungspflichtige Patient gelegt wurde – die „Eisernen Lungen“. Die Bezeichnung „Eiserner Brustkorb“ wäre angebrachter gewesen, weil der starre Behälter wie ein zweiter Thorax wirkte. Ein beweglicher Zwischenboden leistete fortwährend einen Druckwechsel und damit eine Belüftung der Lunge wie ein künstliches Zwerchfell.

Da die Therapeuten aber aufgund fehlender exakter Messparameter auf subjektive Eindrücke setzen mussten, führte dies häufig zu Komplikationen und Fehlbehandlungen. Die Patienten erlitten eine Atemgasunterversorgung oder sie wurden durch eine unnötig heftige Ventilation hohem Stress ausgesetzt.

Infolge neuer Erkenntnisse, insbesondere aus Skandinavien, wurde die druckgesteuerten Beatmung durch Instrumente zur Messung des Volumens ergänzt, und es wurden neue Geräte entwickelt, bei denen von vornherein ein konstantes Volumen verabreicht werden konnte.

Später konnte der Patient auch durch seine Spontanatembemühungen den maschinellen Beatmungshub auslösen.

Der Anspruch einer gezielten Intensivtherapie stellte neue Anforderungen an die Beatmungsgeräte. So wünschten die Anwender eine Kontrolle über das ventilierte Volumen. Außerdem sollte der zeitliche Verlauf der Beatmung durch Einstellparameter veränderbar sein und nicht nur von der Lungenmechanik des Patienten abhängen. Gefordert war die zeitgesteuerte volumenkonstante Beatmung.

Mit Mikrorechnern zu Beatmungsmustern

Die ersten Dräger-Beatmungsgeräte, die diese Ansprüche erfüllten, waren die 1955 eingeführten Spiromaten. Sie stellten den Ausgangspunkt der Entwicklung moderner Dräger-Intensivbeatmungsgeräte dar. 1982 kam dann erstmalig eine völlig neue Ventiltechnik zum Einsatz. Mit elektromagnetisch betriebenen Ventilen konnten Atemgasfluss als auch Beatmungsdruck auch innerhalb des Atemzugs exakt und schnell gesteuert werden. Der Einsatz von Mikrorechnern ermöglichte die Erzeugung von Beatmungsmustern, die mit den vorherigen Gerätegenerationen undenkbar gewesen wären.

Wem gebührt der Ruhm in der Familie Dräger?

Die Frage, welches Modell letztlich als das erste Beatmungsgerät der Welt gelten muss, ist schwierig zu beantworten. Das Unternehmen Dräger formuliert dazu in seiner 2007 erschienenen Festschrift zum Jubiläum der Patentvergabe: „Definiert man ein Beatmungsgerät als eine Maschine, die mechanische Atemarbeit mit einem definierten Zeitmuster leistet und die Möglichkeit einer Sauerstoffbeatmung bietet, dann ist der 1907 von Heinrich Dräger patentierte Pulmotor wahrscheinlich das erste Beatmungsgerät. Fügt man aber als weiteres Kriterium die Serienreife und die nachgewiesene erfolgreiche klinische Anwendung hinzu, dann gebührt der Weiterentwicklung des Pulmotors durch Bernhard Dräger und Hans Schröder das Prädikat ,erstes Beatmungsgerät‘. Unter diesem Gesichtspunkt ist der druckgesteuerte Pulmotor mit großer Sicherheit das weltweit erste Beatmungsgerät in der Geschichte der Medizintechnik.“

Zusätzlich wurde mit den Geräten der neueren Generation ein grafisches Monitoring in die Beatmung eingeführt. Auf einem im Gerät integrierten Bildschirm konnten neben numerischen Daten und Textmeldungen nun auch Beatmungskurven dargestellt werden.

Für mehrere Jahrzehnte war die ausreichende Ventilation der Lunge das primäre Ziel der Beatmung. Erst in den 1970er Jahren fand eine Umorientierung statt und es wurden Beatmungsverfahren etabliert, bei denen die Vermeidung von Schädigungen der Lunge im Vordergrund stand. Den prinzipiell bedingten Nebenwirkungen und deren Bedeutung war man sich früher nicht bewusst.

Text und Bilder stammen aus der Festschrift „Mit dem Pulmotor fing es an. Hundert Jahre maschinelle Beatmung“ von Ernst Bahns und wurden hier mit der freundlichen Genehmigung der Drägerwerk AG & Co. KGaA verwendet..

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