Wie geht es Zahnärztinnen und Zahnärzten in der Pandemie?

„Corona macht was mit Zahnärzten“

Stress, Angst, Dauerbelastung – die Pandemie hinterlässt ihre Spuren. Die Zahnärztin Dr. Bettina Kanzlivius ist zahnmedizinische Leiterin der Berliner Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“. Dort stehen zwar vor allem die Belange der Patienten im Fokus. Doch sie hat festgestellt: Corona belastet auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte.

Frau Dr. Kanzlivius, was beobachten Sie aktuell bei Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Dr. Bettina Kanzlivius: Aktuell beobachten wir eine große Erschöpfung unter den Kolleginnen und Kollegen. Im vergangenen Frühjahr zu Beginn der Pandemie gab es viele Ängste: wirtschaftliche Unsicherheiten, die Fragen, wie es weitergeht, darf man arbeiten, was darf man überhaupt? Und natürlich gab es die Angst, sich zu infizieren. Was wird dann aus meiner Praxis, überstehe ich das wirtschaftlich? Was habe ich im Krankheitsfall für einen Verlauf, werde ich es gut überstehen?

Damals hat man noch gedacht, es wird staatliche Hilfen auch für Zahnarztpraxen geben. Diese Unsicherheiten wichen dann einer Frustration wegen mangelnder Unterstützung. Letztlich sind alle diese Fragen nach über einem Jahr immer noch aktuell, und diese Dauerbelastung macht auch den Zahnärztinnen und Zahnärzten sehr zu schaffen.

Wo ist das Stresslevel derzeit am höchsten?

Ich denke, das Stresslevel ist derzeit bei den Selbstständigen am höchsten. Die hohe Verantwortung für die eigene Existenz, für die Familie und für die Angestellten stellt eine sehr hohe Belastung dar. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende ist zerschlagen – man weiß nicht, was noch kommt. Wir hören, dass die staatliche Unterstützung weitgehend zurückgezahlt werden musste und Quarantäne-Entschädigungen auch nach Monaten noch nicht eingegangen sind. Derweil muss man sich mit anderen Fragen beschäftigen, zum Beispiel der Umsetzung der Medizinprodukte-Verordnung.

Wie sieht es denn mit den Patientenströmen in den Praxen aus?

Die Patientenströme sind leider nicht gleichmäßig, auch das ist ein großes Problem. Teilweise bleiben die Patienten aus, man macht sich Sorgen, denn die Fixkosten laufen ja weiter. Dann gibt es wieder Phasen, in denen die Patienten kommen und kaum unterzubringen sind. Wir beobachten infolge der verringerten Zahnarztbesuche und Prophylaxemaßnahmen auch vermehrt Probleme mit der Zahngesundheit. Das sind dann häufig Patienten, die akut in die Schmerzsprechstunde kommen und den Praxisablauf durcheinanderbringen. Natürlich sind alle für ihre Patienten da. Unvorhergesehene Termine bedeuten aber einen zusätzlichen Stressfaktor.

Wie wirkt sich die mangelnde staatliche Unterstützung auf die mentale Situation der Kollegen aus?

Die mangelnde Unterstützung vom Staat war im vergangenen Jahr ein großes Thema und hat viele von uns enttäuscht. Allerdings habe ich festgestellt, dass die Kolleginnen und Kollegen die Zähne zusammengebissen und weitergemacht haben. Vielen war doch sehr schnell klar, dass gerade für Zahnärzte keine Hilfe kommen wird. Hier wird offenbar erwartet, dass selbstständige Zahnärzte in einer so guten wirtschaftlichen Lage sind, dass sie allein durch die Krise kommen. Das gilt leider nicht für alle Praxen.

Patientenberatung Seele und Zähne

„Seele und Zähne“ ist ein fachübergreifendes Projekt der Psychotherapeutenkammer und der Zahnärztekammer Berlin. Wenn Zahnärzte oder Psychotherapeuten vermuten, dass hinter zahnmedizinischen Belastungen eines Patienten seelische Konflikte stehen und umgekehrt, steht ihnen zur Klärung die bundesweit erste und kostenlose Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“ offen. Gemeinsam geben dort eine Psychologische Psychotherapeutin und eine Zahnärztin Empfehlungen für die weitere Behandlung. Die Beratung erfolgt nur nach Vermittlung durch behandelnde Ärzte oder Psychotherapeuten, die in die Vor- und Nachbereitung der Beratung einbezogen werden.

Mehr unter: https://www.psychotherapeutenkammer-berlin.de/patientinnenberatung-seele-und-zaehne oder unter https://www.zaek-berlin.de/patienten/patientenberatung.html

Was belastet die Zahnärzte psychisch – und auch körperlich gesehen?

Eine Belastung stellt das lange Tragen von Masken im Berufsalltag da. Wir tragen die Maske nicht nur kurz zum Einkaufen, sondern teilweise acht bis zehn Stunden am Tag. Eine Pause alle 75 Minuten ist für viele nur ein Traum. Wirtschaftliche Aspekte spielen natürlich auch eine Rolle. Den stark gestiegenen Kosten zum Beispiel für Schutzausrüstung und andere Materialien stehen unregelmäßige und verringerte Patientenbesuche gegenüber.

Dazu kommt, dass sich in vielen Praxen Personal infiziert hat und längere Zeit ausfällt. Die Lohnfortzahlung hat trotzdem der Arbeitgeber zu leisten und die Mehrarbeit abzufangen.

Belastend ist auch die mangelnde Erholungsphase. Ein kurzes Wochenende der Entspannung, ein längerer Urlaub, um mal wirklich abzuschalten, das alles ist schon seit längerer Zeit nicht mehr möglich. Und gerade in diesen schweren Zeiten wäre es für viele dringend nötig.

Sind Kinder im Haus, müssen die Zahnärztinnen und Zahnärzte hier ein hohes Maß an Unterstützung bieten. Die lange Zeit des Homeschoolings erfordert viel zusätzliche Elternarbeit. Und auch die Kinder leiden unter den Einschränkungen und der Isolation und benötigen verstärkte Aufmerksamkeit.

Die Kolleginnen und Kollegen belastet auch die Präsenzpflicht. Wir müssen immer parat stehen. Selbst unsere Angestellten können sich krankmelden, wenn es ihnen nicht gut geht. Uns sitzt auch diese Angst im Nacken, denn dann steht der gesamte Praxisbetrieb still. Man kann sich nicht einfach mal einen Nachmittag frei nehmen, die Patienten erwarten, dass man für sie da ist.

Wie angespannt ist die Personalsituation?

Die Personalsituation ist genauso schwierig wie zuvor. Der Arbeitsmarkt hat sich nicht deutlich verändert. Es gibt immer wieder Phasen, in denen gewechselt wird, aber wir beobachten keine verstärkte Kündigungswelle aufgrund von Corona. Nur stehen aktuell noch mehr Ängste im Vordergrund, wie der eigene Ausfall in der Praxis, aber auch drohende Quarantänemaßnahmen oder die Erkrankung des Personals an Corona.

Wie gehen die Zahnärzte damit um, dass Auszeiten und persönliche Inseln in einem dicht getakteten Arbeitsalltag nur begrenzt möglich sind?

Genau das fällt allen schwer. Inzwischen höre ich, dass – im Rahmen der Möglichkeiten – wieder Kontakt zu anderen Menschen gesucht wird. So wie die Kinder die Zeit allein nicht mehr verkraften, so geht es auch den Erwachsenen. Wer kann, schafft sich kleine Inseln, übt wieder seinen Sport aus oder sucht sich einen anderen Ausgleich im sportlichen oder gestalterischen Bereich.

Was wünschen sich die Zahnärzte selbst, um für den Praxisalltag wieder aufzutanken?

Der größte Wunsch wäre für viele gewesen, über Ostern im eigenen Land in Urlaub zu fahren. Einfach mal raus aus dem Alltag, abschalten, das war für viele die rettende Insel. Völlig unverständlich, warum man nicht im eigenen Auto in eine einzelne Ferienwohnung in Deutschland fahren durfte, aber eng im Flieger sitzend in den Urlaub fliegen konnte. Für die meisten bestand diese Option allerdings nicht – aus ethischen Bedenken, aus Angst vor einer Infektion – auch der Familie – oder vor einer möglichen Anschlussquarantäne.

„Wir wünschen uns Gleichbehandlung!“

„Die Herausforderungen für Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Pandemie sind immens und multikausal. Angefangen von einem erhöhten Arbeitsdruck, immer für die Patienten da zu sein, bis hin zu wirtschaftlichen Problemen durch zum Beispiel aus Verunsicherung ausbleibende Patienten. Als Arbeitgeber ist man zudem gefordert, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den durch die schwierige Gesamtsituation verursachten zusätzlichen Stress und die dadurch zum Teil gereizte Stimmung auszugleichen. Hinzu kommen die privaten Belastungen etwa durch betreuungspflichtige Kinder und Homeschooling.

Trotz unseres Engagements und wiederholter Forderungen an die Politik wurden die Zahnärzte im Gegensatz zu den Ärzten leider nicht beim wirtschaftlichen Schutzschirm 2020 berücksichtigt. Wir als Zahnmediziner wünschen uns und arbeiten weiter daran, dass Ärzte und Zahnärzte endlich gleich behandelt werden. Wichtige Kapazitäten gerade zur Eindämmung der Pandemie bleiben so leider ungenutzt, könnten Zahnärzte doch beim Durchimpfen der Bevölkerung helfen und so für alle – Patienten und Zahnärzte – ein schnelleres Fortkommen auf dem Weg aus der für alle belastenden Situation ermöglichen.“

Können Sie im Umgang mit den Belastungen Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren erkennen?

Bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen habe ich eher eine hilflose Frustration bemerkt, dieses „Das kann doch nicht sein!“ zum Beispiel in Bezug auf die späte Priorisierung der Zahnärzte bei der Impfung oder aufgrund der fehlenden Unterstützung bei der Beschaffung von Schutzausrüstung. Die älteren Kollegen haben eher gesagt: „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.“ Müde von der lang andauernden Belastung sind aber alle.

Ist Ihrer Meinung nach mit längerfristigen Folgen aufgrund der Stresssituation in den Praxen zu rechnen?

Ich glaube, um diese Frage zu beantworten, müsste man in die Zukunft schauen können. Es bleibt zumindest zu befürchten, dass die Zahlen derjenigen, die an Burnout oder an anderen psychischen Störungen und körperlichen Krankheiten erkranken, die durch die lang anhaltende Belastung ausgelöst werden, zunehmen werden. 

Welche alltags- und praxistauglichen Methoden können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen empfehlen?

Wir sollten uns der möglichen Folgen klar werden und anfangen, bewusster für das eigene Wohlbefinden einzutreten. Das heißt wieder Sport machen, auf die eigene Ernährung achten und – im Rahmen des Erlaubten – soziale Kontakte pflegen. Für einige Kolleginnen und Kollegen ist jetzt auch die Zeit, Neues zu entdecken. Ich habe von einigen gehört, die neue Hobbys für sich entdeckt haben und bewusster die Zeit mit der Familie nutzen. Sich aktiv und positiv, vorwärts denkend mit der Situation zu arrangieren, ist natürlich für die eigene Gesundheit der beste Schutz.

Das Gespräch führte Gabriele Prchala.

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