So bewertet das Ausland unser Corona-Management

„Warum hat Deutschland das nicht auf die Reihe gekriegt?“

Heftarchiv Gesellschaft
ak
Wie wird unser Corona-Management im Ausland bewertet? Eine Studie hat 670 Personen aus 37 Ländern befragt. Ergebnis: Im Frühjahr 2020 galt unser Umgang mit der Pandemie noch als „effizient und vorbildlich“. Dann aber kam die zweite Welle. Und übrig blieben Verwunderung und Enttäuschung.

Das war eine sehr nüchterne, vernünftige und überzeugende Herangehensweise.“ Das deutsche Krisenmanagement zu Beginn der Corona-Krise nahm das Ausland weithin als effizient und vorbildlich wahr. Wir hatten die Pandemie in der ersten Welle erkennbar gut im Griff. „Einerseits aufgrund eines effizienten Systems und andererseits wegen der disziplinierten Haltung der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Maßnahmen“, schreiben die Autoren der Studie „Außenblick.

Hier habe sich die „deutsche Effizienz“ gezeigt: „Die Menschen interessieren sich für die Regeln und befolgen sie. Man respektiert, was die Regierung sagt. Das hat sich als sehr positiv bei der Bewältigung der Krise erwiesen.“ Auch die sehr nüchterne Herangehensweise von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde positiv und verlässlich bewertet. Vorbildlich sei der Umgang mit Beschäftigten und Unternehmen gewesen: „Dieses Bild von einem Land, das mit Milliarden finanziell unterstützt, ist sehr beeindruckend. Zudem finde ich die hohe Wertschätzung der Kultur in Deutschland bemerkenswert.“

Zur Studie

Die Studie „Außenblick. Internationale Perspektiven auf Deutschland in Zeiten von Corona“ wurde gemeinsam von Autoren des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Goethe-Instituts erstellt. Dazu fanden eine Online-Befragung und semi-narrative Tiefeninterviews statt.

Bei der vorgelagerten Online-Befragung im Januar 2021 beantworteten 622 von 1.255 Personen aus 37 Ländern den Fragebogen vollständig. Befragt wurden vorwiegend um Fachleute aus Netzwerken der drei Organisationen, die gut über Deutschland Bescheid wissen und aufgrund ihrer Beobachtungen Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen gegenüber Deutschland formuliert haben.

Für die qualitative Interviewreihe wurden in 24 Ländern jeweils zwei Interviews pro Land zur Sicht auf Deutschland geführt.

Die Bilder „deutscher Solidarität“ wurden in den ausländischen Medien aufmerksam und wohlwollend verfolgt. Die eigene Bevölkerung habe sich nicht nur untereinander geholfen, sondern auch viel soziale Hilfe geleistet. Besonders positiv fiel die deutsche Unterstützung von erkrankten Menschen im Ausland auf.

Rund 20 bis 44 Prozent der Befragten stellen Deutschland während dieser Zeit ein überwiegend sehr gutes und 39 bis 47 Prozent immerhin ein eher gutes Zeugnis im Umgang der Pandemie aus. Gut die Hälfte hielt unser Verhalten für sehr diszipliniert und am Rat der Experten orientiert. Warum wir so gut durch die erste Welle gekommen sind, habe mit unser Krisenerfahrung zu tun: „Deutschland hat viele Krisen hinter sich gebracht und ist immer wieder aufgestanden.“

Warum nur waren wir beim Impfen so langsam?

Dann aber kam die zweite Phase. Und da, so die verbreitete Wahrnehmung, habe sich die deutsche Bevölkerung zu sicher gefühlt und die Menschen seien der Corona-Maßnahmen müde geworden. Obwohl die Politik versucht habe, dies abzufedern, habe die Disziplin schleichend abgenommen. Instrumente wie die Corona-App seien aufgrund zu großer Datenschutz-Vorbehalte trotz der Ernsthaftigkeit der Lage nie wirklich akzeptiert worden. Die langwierige Abstimmung zwischen Bund und Ländern und die im Resultat uneinheitlichen Regelungen der Bundesländer untereinander hätten die Stimmung ebenfalls negativ beeinflusst. Schließlich sei die Unzufriedenheit sogar auf Demonstrationen artikuliert geworden.

Sehr verwundert war das Ausland über unsere Probleme beim Impfen: „Was mich verwirrt, ja, was ich unfassbar finde in einem Land wie Deutschland, ist das langsame Impfen und der Mangel an Impfstoff. [...] Warum hat Deutschland das nicht auf die Reihe gekriegt?“ Die Ursachen vermuten viele in der föderalen Struktur und in der Schwerfälligkeit der deutschen Bürokratie. 

Wofür man uns achtet

Fleißig. Effizient. Zuverlässig.

Das deutsche politische System wird als stabile Demokratie mit rechtsstaatlichen Prinzipien wahrgenommen. Auch wird Deutschland als führende Wirtschaftsmacht in EU betrachtet. Nach wie vor steht das Gütesiegel „Made in Germany“ für höchste Qualität. Aufgrund der flächendeckenden Krankenversicherung und den hohen Versorgungsstandards wird das Gesundheitssystem wird als stark bewertet. Ihre Lehren aus der Vergangenheit hätten Politik und Gesellschaft gezogen. Mit der Aufnahme der Geflüchteten in Jahren 2015 und 2016 habe Deutschland menschlich gehandelt und globale Verantwortung getragen. Respekt wird uns auch für die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus gezollt.

Worüber man den Kopf schüttelt

Unflexibel. Kritisch. Zögerlich.

Deutsche seien häufig übervorsichtig und überkritisch, eben starr – mit höchsten Standards. Deutschland müsse seine digitale Infrastruktur ausbauen und die Rahmenbedingungen für unternehmerische Innovationen verbessern. Umweltschutz sei ein großes Thema in Gesprächen, stehe aber bei Unternehmen wenig im Fokus. Die beobachtete Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird verstärkt durch die jüngsten Skandale in Politik und Wirtschaft. Auch wurde festgestellt, dass sich Deutschland nicht ausreichend mit seiner Kolonialgeschichte auseinandersetze. Akademische Hürden und ausgeprägte Hierarchien im Hochschulsystem werden als effektive Schwächen wahrgenommen.

Wovor man uns warnt

Verschlossen. Dominant. Selbstgefällig.

Vor allem zunehmende populistische und extremistische Tendenzen in Deutschland werden im Ausland thematisiert. In den letzten Jahren sei den Befragten während ihrer Aufhalte in Deutschland weniger Toleranz und Freundlichkeit entgegengebracht worden. Sie haben verstärkt das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Für Deutschland sei die eigene Identitätsfindung schwierig. International müsse sich das Land stark engagieren, aber dürfe sich nicht zu dominant präsentieren.

Was man uns zutraut

Lösungsorientiert. Vertrauenswürdig. Verantwortungsbewusst.

Deutschland wird eine hohe Glaubwürdigkeit attestiert und die Fähigkeit, internationale Verantwortung zu tragen. Allerdings müsse Deutschland deutlicher Position beziehen. Die starke Einbettung in die EU wird auch so verstanden, dass wir uns gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten für ein starkes Europa einsetzen.

Was man sich erhofft

Offen. Partnerschaftlich. Zukunftsorientiert.

Migration sei heute und zukünftig eine Realität. Der Wunsch nach einem offenen Deutschland, das diese Vielfalt umarme, ist weltweit groß. Man erhofft sich ein offenes Land und offene Herzen. Für gemeinsame Projekte sei Deutschland ein beliebter Partner. Beim Umweltschutz, Klimawandel und Nachhaltigkeit wird von uns eine Vorreiterrolle erwartet.

Aber welche Lehren ziehen die Befragten daraus? „Das Ergebnis wird kein Gutes sein, wenn die europäischen Länder alle versuchen, die medizinischen Herausforderungen allein zu lösen. Hier muss mehr und weniger bürokratisch zusammengearbeitet werden.“ Es sei an einigen Stellen sichtbar geworden, dass man das Gesundheitswesen zu stark institutionalisiert und seit 2010 Investitionen vernachlässigt habe.

Insgesamt sei kritisch zu hinterfragen, ob im deutschen Gesundheitssystem nicht der Profit einen zu hohen Stellenwert einnehme: „Manchmal wird im deutschen Gesundheitssystem zu viel gemacht.“ Um Krisen effektiv zu begegnen, seien auch eine schnelle Reaktion und klare Prioritätensetzung nötig: „Die Prinzipien der Selbst- bestimmung, der Freiheit, des Individualismus und des Föderalismus führen in der Krise zu Widersprüchen und machen die Krisenbewältigung schwieriger und langwierig.“

Und wieso glauben wir an Verschwörungstheorien?

Verwunderung löste aus, dass sich Verschwörungstheorien verbreiteten und die Nachverfolgung des Virus mittels digitaler Lösungen teils abgelehnt wurde. „In Deutschland steht das Wohlergehen des Individuums an erster Stelle, bei uns ist es das Wohl ergehen der Gemeinschaft und die öffentliche Gesundheit.“ Und: „In Deutschland lebt ihr in einer Utopie. Wenn ein Virus wie Corona zuschlägt, habt ihr staatliche Unterstützung, ihr habt Zugang zu Impfstoffen. In Afrika ist dies nicht so.“

Wir sind vielleicht auch einfach zu verwöhnt

Insgesamt seien die Deutschen aber zu kritisch bezüglich der Lage in der Corona-Krise: „Sie vergessen hierüber, wie gut die Situation im Allgemeinen ist. Sie sind vielleicht ein bisschen verwöhnt und blind gegenüber den eigenen Errungenschaften. Dinge wie die persönliche Freiheit, das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit werden nicht geschätzt, sondern als selbstverständlich wahrgenommen.“

ak

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.