KI in der ZahnarztPraxis – Teil 2

So unterstützt KI die zahnärztliche Diagnostik

Falk Schwendicke
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Eine Hemmschwelle für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist die gängige Befürchtung, die klinische Beurteilung könne eines Tages durch „Entscheidungen“ der KI – auch justiziabel – beeinträchtigt oder sogar ersetzt werden. Wenngleich solche Szenarien nicht unmöglich erscheinen, wird die KI doch in der Bilddiagnostik immer nur eine begrenzte diagnostische Reichweite haben, weil die klinischen Informationen für die Diagnosestellung unverzichtbar bleiben.

Die heutigen KI-Anwendungen haben oft einen klar und eng definierten Zweck: Sie sollen zum Beispiel auf Bildern bestimmte Pathologien wie Karies oder odontogene Zysten detektieren oder anhand von klinischen Aufzeichnungen – zum Beispiel Zeitreihen parodontaler Sondierungstiefen – Krankheitsereignisse wie Zahnlockerungen oder Zahnverlust vorhersagen. Jede dieser Aufgaben ist jedoch mit spezifischen Schwierigkeiten verbunden, bedingt durch das unterschiedlich häufige Auftreten des vorherzusagenden Problems:

1. Schwierigkeit: Bestimmte Pathologien kommen seltener vor als andere.

So sind beispielsweise odontogene Zysten seltener anzutreffen als Karies (geringere Prävalenz), ebenso ist der Verlust eines Zahnes deutlich seltener als zum Beispiel das Auftreten einer Zahnlockerung (geringere Inzidenz).

KI-Modelle, die klinisch nützlich sein sollen, um seltene Phänomene zu detektieren oder vorherzusagen, müssen sich dieser Schwierigkeit stellen: Sie müssen einerseits oft an größeren Datensätzen trainiert werden, da der Zielparameter – also zum Beispiel die Zyste oder der Zahnverlust – nur selten auftreten (also von 100 Bildern nur einige wenige überhaupt Zysten enthalten).

Andererseits müssen diese Modelle sogar deutlich größere Genauigkeiten aufweisen, um nützlich zu sein. Modelle, die mit 80 Prozent Genauigkeit Zahnverluste über einen Zehnjahreszeitraum vorhersagen können, sind für den Praktiker nur bedingt nützlich, da die Wahrscheinlichkeit eines Patienten, über diesen Zeitraum überhaupt keinen Zahn zu verlieren, in ähnlicher Größenordnung liegt. Der praktische Zahnarzt, der also annimmt, jeder Zahn würde erhalten, hat ebenso oft recht wie das aufwendig trainierte KI-Modell!

2. Schwierigkeit: Gerade für KI-Modelle in der Bildanalytik ist es zudem herausfordernd, kleinere Veränderungen, die nur wenige Pixel auf dem Bild betreffen, aufzuspüren. In vielen Fällen sind nur wenige Hundert Pixel auf einem mehrere Zehntausend Pixel großen Bild betroffen.

Forscher behelfen sich daher mit der Eingrenzung der relevanten Areale auf einem Bild: So kann Karies beispielsweise nur im Bereich der Zahnhartgewebe vorkommen, die meisten Zahnröntgenbilder weisen jedoch auch umfänglich andere Strukturen wie Knochen auf. Diese Areale auszublenden und dem KI-Modell nur den relevanten Bereich anzubieten, kann die Genauigkeit erheblich steigern.

Die KI analysiert nur das Bild 

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die KI an möglichst sauber aufbereiteten Daten zu trainieren und zu testen. So ist es beispielsweise in der Bildanalytik oft sehr schwierig, das Vorliegen einer bestimmten Pathologie mit Sicherheit festzustellen, wenn nur das Bild und nicht noch weitere klinische Daten zur Verfügung stehen: Zahnärzte weisen nämlich zur Erkennung von Pathologien wie Karies auf Röntgenbildern Genauigkeiten zwischen 25 und 75 Prozent auf; verschiedene Untersucher kommen sowohl bei der Entscheidung, ob eine Pathologie vorhanden ist, als auch bei der Abschätzung von deren Ausdehnung oft zu verschiedenen Ergebnissen.

Ein Bild (als Datenobjekt) nur von einem einzelnen Zahnarzt zur Erstellung der Dateninformation (Karies vorhanden ja/nein) bewerten zu lassen, wird also zu 25 bis 75 Prozent richtig oder falsch sein; das so trainierte KI-Modell wäre am Ende genauso gut wie dieser einzelne Zahnarzt.

KI IN DER ZAHNARZTPRAXIS

Erste Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) für die Zahnarztpraxis gibt es inzwischen, doch noch immer herrscht viel Unsicherheit darüber, was KI eigentlich ist und leisten kann. Was können Zahnärztinnen und Zahnärzte vom Einsatz einer KI im Alltag erwarten? Welchen Mehrwert kann ein solches Werkzeug bringen? In der Reihe „KI in der Zahnarztpraxis“ erörtern Experten Fragen zum Verständnis der KI.

Um diese Unsicherheit und Variabilität abzufangen, werden oft mehrere erfahrene Experten dasselbe Bild (denselben Datenpunkt) bewerten. Dies hilft, die KI auf einen über den einzelnen Experten hinausgehenden Genauigkeitsgrad zu trainieren. Eine KI, die auf Zehntausenden von Bildern, die durch drei, vier oder fünf Experten analysiert worden sind, trainiert wurde, hat eine gute Chance, genauer zu sein als der einzelne Zahnarzt, schlicht und ergreifend, weil sie auf einem viel größeren Erfahrungsschatz aufbaut. Dies erklärt auch, warum KI gerade in der Hand weniger erfahrener Kollegen große Vorteile bieten kann. Umgekehrt heißt dies nicht, dass eine solche hochtrainierte KI immer recht hat. Die Nutzer sind vielmehr aufgefordert, die KI-Information als Vorschlag zu verstehen, gerade weil der KI ja weitere sinnvolle Informationen, zum Beispiel zum klinischen Befund, nur selten zur Verfügung stehen.

Nur unter Einbeziehung dieser Informationen, der eigenen Expertise und des Gesamtbilds kann der Zahnarzt eine valide Diagnose stellen. KI unterstützt, ersetzt jedoch nicht die zahnärztliche Diagnostik! 

Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke

Direktor der Abteilung für Orale
Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde
und Versorgungsforschung,
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, MVZ Charité
Zahnheilkunde Charité –
Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

Dr. rer. nat. Joachim Krois

Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung,
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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