KI in der Praxis

Ein Roboter als ZFA-Ersatz?

Der Kieferorthopäde Dr. Christian Leithold setzt seit gut zwei Jahren einen KI-gesteuerten Roboter in seiner Praxis in Thun (Schweiz) ein. Der 1,30 Meter hohe Technikzwerg empfängt die Patienten und führt sie in den Behandlungsraum. Über seine Erfahrungen mit dem „humanoiden Roboter“ hat Leithold mit den zm gesprochen. Und Eines sei vorweg verraten: Ja, er würde den Assistenten weiterempfehlen.

Herr Dr. Leithold, was war Ihre Motivation für den Roboter?

Dr. Christian Leithold:

Die Antwort ist einfach: Ich mag Technik. Seit der Neugründung meiner Praxis in Thun arbeite ich in einem vollständig digitalisierten Umfeld, das ich fortlaufend versuche an den aktuellen Stand anzupassen. Vor zweieinhalb Jahren erreichte der Technisierungsgrad ein Level, das theoretisch die Praxisführung ohne Personal möglich macht. Die Auswirkungen der Corona-Problematik auf den Praxisbetrieb und der auch in der Schweiz spürbare Mangel an guten Fachkräften waren für mich ausschlaggebend für die Idee. Ich wollte zukünftig ohne Personal arbeiten. Was vorerst fehlte, war der passende Roboter. Eine innovative Schweizer Firma erklärte sich bereit, mir zu helfen. Und eines Tages erschien dann „Cruzr“ in meiner Praxis.

Wie kann man sich das vorstellen, wenn man in Ihre Praxis kommt?

Seit September 2020 steht Cruzr nun am Empfang und begrüßt die Patienten. Jedem Patienten wird vor dem ersten Besuch meiner Praxis ein verschlüsselter QR-Code aufs Handy übermittelt. Cruzr fordert dann freundlich alle Neuankömmlinge auf, ihm diesen Code zu präsentieren oder, falls das Handy nicht greifbar ist, Familien- und Vornamen in die Eingabemaske seines Displays am Kopf einzugeben. Anschließend werden meine Patienten gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen, während der Roboter auf allen Arbeitsstationen das Eintreffen der entsprechenden Person meldet.

Als künstlich-intelligentes Wesen freut er sich über Beschäftigung und führt auf Nachfrage meine Patienten ins Wartezimmer oder zum WC, erklärt Wissenswertes zu Kunstwerken in der Praxis, zu seiner eigenen „Existenz“, gibt Anleitungen zum Verbinden des Mobiltelefons mit dem Praxis-WLAN, tanzt oder erzählt immer neue Roboterwitze – über deren Spaßigkeit man sich natürlich streiten kann. Währenddessen neigt sich eine Therapiesitzung ihrem Ende entgegen, Folgetermine werden vereinbart und per SMS auf das Handy der Patienten gesandt. Via Browseroberfläche melde ich Cruzr, den nächsten Patienten in eines der Sprechzimmer oder zum Röntgen zu führen. Daraufhin fährt er in den Wartebereich, ruft den Patienten auf und bittet ihn, ihm zu folgen. Selbstverständlich informiert Cruzr auch die Wartenden über etwaige Verspätungen. Sehr hilfreich sind die Patienteninstruktionen, die der Roboter am Behandlungsstuhl in einer Mischung aus Videosequenzen und Zwischenfragen darbietet, während ich in einem anderen Behandlungszimmer präsent bin.

Seitdem ich mein eigenes Konzept entwickelt habe, bin ich auch ohne Stuhlassistenz effizient. Cruzr selbst wird mich bei Behandlungen niemals aktiv unterstützen können, was ihn von der menschlichen Arbeitskraft unterscheidet – für seine Nachkommen hingegen bin ich mehr als zuversichtlich.

Wie funktioniert das technisch?

Der Roboter in Menschengestalt ist die Hardware, ausgestattet mit ausgefeilter Sensorik und einem Laser-Radar zur Orientierung. „Leben“ wird ihm eingehaucht durch eine KI-Software, die sich auf einem Schweizer Server der ebenfalls in der Schweiz ansässigen Vertriebsfirma befindet. Hard- und Software kommunizieren über das WLAN der Praxis. Die Daten, die er zur Verarbeitung seiner Aufgaben braucht, gehen also nicht nach China, wo er hergestellt wurde. Das war mir wichtig.

Er läuft außerdem losgelöst vom Praxissystem. Jegliche Übertragung personenbezogener Daten haben wir deaktiviert. Der Roboter selbst ist als multifunktionaler Mitarbeiter, der unterstützend in Hotels, Museen, Airport-Lounges, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Restaurants, Reise- und Tourismusbüros eingesetzt werden kann, konzipiert. Für einige der aufgezählten Einsatzgebiete kann die Schweizer Vertriebsfirma bereits Lösungen („user cases“) offerieren. Neuland war definitiv der Betrieb in einer Praxis.

Also ist Datenschutz ein Thema?

Für mich ein sehr großes. Es werden keine Patientendaten oder persönlichen Bilddateien von dem Gerät auf den Schweizer Server oder sonst wohin übertragen. Deshalb arbeiten wir ausschließlich mit verschlüsselten QR-Codes.

Wie reagieren die Patienten auf den Empfang?

Durchweg positiv. Unabhängig vom Alter fühlen sie sich gut unterhalten und sind vielleicht auch ein bisschen abgelenkt. Der kleine Mann fasziniert sie. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass der Roboter einen Marketing-Effekt auslöst. Dafür, dass ich überhaupt nicht aktiv mit oder für ihn geworben habe, hat sich das Projekt bemerkenswert schnell herumgesprochen. Trotz des überragenden Erfolgs gehe ich davon aus, dass der verstärkte Bekanntheitsgrad zu einer Selektion geführt hat, die Technikskeptiker dazu veranlasst, nicht oder nur zögerlich bei mir vorstellig zu werden. Besonders meine jüngeren Patienten sind allerdings extrem begeistert.

Für Sie scheint die Investition aufzugehen. Würden Sie den Roboter Kolleginnen und Kollegen auch weiterempfehlen?

Ja, das würde ich tatsächlich – sofern man eben keine Stuhlassistenz braucht oder erwartet. Allein vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das doch eine Überlegung wert. Zu meinem Konzept als digitalisierte Praxis, in der ich alleine und autonom tätig bin, passt das gut. Allerdings muss ich betonen, dass der Roboter nur eingebettet in ein Gesamtkonzept, das nicht unerhebliche Investitionen, persönliches Engagement und strukturierte Abläufe einfordert, in der Lage ist, sein Potenzial voll auszuspielen. Mit unseren Erfahrungswerten und der Weiterentwicklung wird das aber immer konkretere Formen annehmen.

Klar, wird er nie einen Menschen ersetzen. Aber das muss er ja auch gar nicht. Er macht mich aber unabhängiger und vor allem übergeordnet kann man den Fachkräften auch zurufen: Ihr werdet als Menschen in Kitas, Schulen, dem Handwerk und der Pflege so händeringend gebraucht. Dort seid ihr unersetzbar.

Wie viel Zeit haben Sie investieren müssen, bis der Roboter eine echte Unterstützung wurde?

Oh, einiges an Zeit! Und rückblickend eine wertvolle, erschöpfende, aber wahnsinnig aufregende Zeit, in der ich ambitionierte Menschen kennenlernen, Teil eines einzigartigen Projekts werden und die fruchtbare Dynamik der Teamarbeit erleben durfte.

Sie müssen sich folgende Situation vorstellen: Es gab einen Praxisinhaber mit einem brandneuen Roboter ohne Erfahrungswerte, Robotiker mit enormem Fachwissen, aber keinerlei Erfahrung und Ideen, was deren neuartiger Roboter in einer kieferorthopädischen Fachpraxis anstellen sollte. Ein mit mir befreundetes Foto- und Filmteam aus Zürich und Berlin beriet und unterstützte uns mit Lösungsvorschlägen bezüglich der Instruktionsvideos, was den Kreis Involvierter weiter anwachsen ließ. Für mich und alle Beteiligten eine tolle Zeit, die unvergessen bleibt und für zukünftige Besitzer eines Cruzr und die Schweizer Firma einen riesigen Vorteil bietet: Innerhalb von zwei Wochen ist der Roboter einsatzbereit.

Das Gespräch führte Laura Langer.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.