Leitartikel

Ein billiger Vorstoß

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Zeiten, in denen Wahlkampf redlich geführt wurde, sind wohl Relikte längst vergangener, gesünderer Tage unserer Demokratie. Inzwischen kennen wir von den um Wählerstimmen buhlenden, zusätzlich vom Wettstreit um öffentliche Präsenz angetriebenen Politikern längst Härteres. Der Schlagabtausch in der Arena der Polit-Gladiatoren funktioniert – gesteuert vom Brot-und- Spiele-Prinzip der quotengesteuerten Medien – nicht mehr nach den Regeln wünschenswerter Fairness und gebotener Sachlichkeit. So weit, so schlecht.

Unerträglich und in diesem Ausmaß neu im aktuellen Wahlkampf ist allerdings der Auftritt skrupelloser Polit-Söldner, die außerhalb des parlamentarischen Gefüges eigene Machtinteressen verfolgen. Jüngstes Beispiel ist der an Unverfrorenheit kaum zu überbietende Auftritt des AOK-Verwaltungsratsvorsitzenden Peter Kirch vor Journalisten in Berlin. Kirch verballhornte die ohnehin traurige aktuelle Antisemitismus- Diskussion durch einen gezielten Griff in den bisher wohl gröbsten Dreck deutscher Polit-Injurien. „Wer die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung rasiert, produziert Glatzen“, heißt der Satz, der bisher Gewohntes weit überschreitet.

Was der AOK-Mann mit dieser Beleidigung nicht nur den Oppositionsparteien, die dem Gedanken einer längst überfälligen Prüfung unseres solidarischen Gesundheitssystems folgen, sondern gerade auch allen Heilberuflern dieser Republik an den Kopf geschmissen hat, ist weit schmutziger als das immer wieder gegen unseren Berufsstand erhobene Geschrei der „Abzocker- Mentalität“. Kirch diskreditiert diejenigen, die angetreten sind, im Sinne des ärztlichen Eides für Gesundheit und Überleben ihrer Patienten zu sorgen, als Wegbereiter rechtsradikaler Strömungen unserer Gesellschaft. Der Satz hat nur ein Ziel: Er soll diejenigen, die Auswege aus der das Gesundheitssystem zerstörenden Kassen-Doktrin suchen, ins gesellschaftliche Abseits stellen. Dabei ist diese Unflätigkeit selbst bei genauerer Betrachtung der Kirch’schen Argumentation nicht ansatzweise haltbar: Die „Ökonomisierung des Gesundheitswesens“ führe zu schweren finanziellen und gesundheitlichen Nachteilen für breite Bevölkerungsschichten, die von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bedroht seien. Das ist nicht nur flach gedacht, sondern schlichtweg falsch.

Als Wiederholung für Unverbesserliche: Die von uns Zahnärzten vorgeschlagene Alternative der befundorientierten Festzuschüsse im Verbund mit Kostenerstattung ist gerade der Ausweg aus der im derzeitigen System praktizierten sozialen Ungerechtigkeit. Es ging nie um die Ausgrenzung sozial Benachteiligter. Im Gegenteil: Wer jetzt nicht bereit ist zu handeln, provoziert den Kollaps unseres Gesundheitswesens, macht sich schuldig, wenn eines Tages medizinisch Notwendiges nicht mehr für alle Menschen dieser Gesellschaft zur Verfügung steht. Darum geht es.

Mehr-Klassen-Medizin ist hier und heute das Ergebnis des Vorgehens von Leuten wie Peter Kirch. Wer den planwirtschaftlichen Kassenstaat herbeiredet, schafft „Wasser auf die Mühlen von Populisten und Radikalen“ – nicht wir, die wir nach Auswegen aus dem ökonomischen Dilemma unter Erhaltung der medizinischen Versorgung suchen. Wir – und diesen Gedanken folgen inzwischen auch viele Protagonisten der oppositionellen Parteien – bieten an, im zahnmedizinischen Bereich das befundorientierte Festzuschuss-Modell im Verbund mit der Kostenerstattung zu erproben. Ein Bereich, der mit all seinen Leistungen so viel kostet, wie die gesetzlichen Krankenkassen schon allein an Verwaltungsgebühren schlucken. Warum die Angst, sich auf eine derartige Überprüfung unserer Alternative einzulassen?

Auf jeden Fall hat dieser Vorstoß des AOK-Verwaltungsratsvorsitzenden unser Rest-Vertrauen in die bei anderen Kassenvertretern vielleicht bestehende Dialogbereitschaft nicht gerade gestärkt. Was der AOK-Verwaltungsratsvorsitzende gemacht hat, ist auch in Zeiten des Bundestagswahlkampfes nicht „recht und billig“, sondern nur billig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Rolf Jürgen LöfflerVorsitzender der KZBV

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