Gastkommentar

Schmidt versus Lauterbach

In der Richtungsdiskussion der Sozialdemokraten um die Gesundheitsreform hat Ulla Schmidt als Realpolitikerin gegenüber dem radikalreformerischen Umfeld von Karl Lauterbach einen Etappensieg errungen. Die Diskussion zur Sache hätte freilich am Beginn der Legislaturperiode stehen müssen und nicht an deren Ende. Jetzt haftet ihr zu viel Vorläufigkeit an.

Ein nicht alltäglicher Vorgang: Ärzte und Zahnärzte haben Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gelobt, weil sie radikale Vorschläge zu einer Gesundheitsreform 2003 kurz vor der Bundestagswahl nicht öffentlich diskutiert wissen wollte. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hatte Berliner Journalisten zu einem Hintergrundgespräch eingeladen, um das entsprechende Expertenpapier zu ventilieren, dann aber kurzfristig abgesagt. Die FES hatte zuvor schon mehrfach das Forum für eine Expertengruppe um den Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie der Universität Köln geboten: Prof. Dr. Karl Lauterbach. Weitere Mitglieder dieser Kommission sind die Professoren Gerd Glaeske, Christopher Hermann, Peter Schwoerer und Jürgen Wasem.

Der Streit darüber, inwieweit Frau Schmidt Einfluss auf die Absage der FES ausgeübt hat, sowie die Dementis dazu sind müßig. Eine Arbeit, die deutsche Professoren mit einem Sinn für öffentliche Wirksamkeit angefertigt haben und über die konkurrenzerprobte, aber wider Erwarten ausgeladene Berliner Fachjournalisten berichten wollen, bleibt selbstverständlich keine Verschlusssache. Der Abschlussbericht, den die Kommission vorlegen wollte, war in Auszügen sehr schnell in der überregionalen Tagespresse nachzulesen und in toto im Internet verfügbar. Er macht konkrete Angaben zum gesetzlichen Änderungsbedarf für eine Entmachtung der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, eine Einbeziehung von Miet- und Zinseinnahmen in die Beitragsbemessung, den Ausbau der integrierten Versorgung, den Übergang zu sektor übergreifenden Gesamtversorgungsbudgets für jede einzelne Krankenkasse und eine Konzentration der staatlichen Aufsichtsfunktion in einer neuen Art von Regulierungsbehörde, für die das Papier ein Errichtungsgesetz vorsieht.

KZBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Rolf-Jürgen Löffler meinte dazu auf Fragen von Journalisten in Berlin, ein Papier von Professor Lauterbach zu kassieren, könnte nur positiv sein, und Löffler setzte am Ende in bayerischer Deutlichkeit noch eine Bemerkung hinzu, die exemplarisch für die Schärfe der Auseinandersetzungen im heftigen Streit um die Ausrichtung einer längst überfälligen Gesundheitsreform ist: Auch Lauterbach sei am eigenen Geldbeutel interessiert. Der Kölner Gesundheitsökonom ist mit seinen Kollegen sehr häufig in Berlin und bundesweit vertreten, wo immer Gesundheitspolitik diskutiert wird. Die Professoren haben offensichtlich ein Interesse daran, aus ihren Analysen auch praktische Politik werden zu lassen.Dazu passt, dass Professor Lauterbach kürzlich in die SPD eingetreten ist. Er ist in der kurzen Amtszeit Ulla Schmidts als Gesundheitsministerin zu einem ihrer gewichtigsten Ratgeber geworden. Die Expertengruppe um Lauterbach ist aber nicht von Ulla Schmidt eingesetzt, sondern vom SPD-Parteivorstand. Die Kommission hat zuvor bereits wie eine Art Minenhund Positionen vorgetragen, die einer vermehrten Konfliktfreudigkeit der Ministerin hätten dienlich werden können und aus Sicht mancher Genossen auch hätten dienlich werden sollen. Die Ministerin hat die Positionen der Wissenschaftler aber niemals eins zu eins übernommen.Ihr mitunter auch in der eigenen Partei kritisiertes Harmoniebedürfnis mag dabei eine geringere Rolle gespielt haben als vielmehr ihre praktische politische Erfahrung, dass im deutschen Gesundheitswesen wesentliche Veränderungen nur im Diskurs zu haben und im Konsens mit Vertretern überaus heterogener Interessen auszutarieren sind. Die Diskussion darüber hätte aber früher beginnen müssen und intensiver sein können. Wer sie auf politischer Seite fortf hren wird, ist bis nach der Wahl offen. Für die Sozialdemokraten mag sich daraus die Frage ergeben, ob sie die Gesundheitspolitik nicht besser schon seit Beginn der Legislaturperiode selbst verantwortet hätten.

Dr. Rudi MewsFreier Journalist, Berlin

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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