So laut wie ein Blatt, das zu Boden fällt

Tinnitus – das quälende Ohrgeräusch

Mehr als eine Million Menschen in Deutschland leiden unter einem Tinnitus, sie hören Geräusche, obwohl objektiv gar nichts zu hören ist. Dennoch nehmen sie – gelegentlich oder sogar permanent – ein Zischen, Pfeifen oder Rauschen wahr, das so manchem Betroffenen auf Dauer das Leben zur Hölle macht. Hilfe bringt bei solchen Ohrgeräuschen oft ein spezielles Rauschgerät, mit dem die Aufmerksamkeit vom Tinnitus weg gelenkt wird und das Hören von Umweltgeräuschen wieder trainiert werden kann.

Ohrgeräusche sind in erster Linie ein Problem der Wahrnehmung, der Emotionen und der Aufmerksamkeit, wie Experten beim „Beethovengespräch 2001“ in Bonn betonten. Denn obwohl die Geräusche, die die Erkrankten wahrnehmen, ihnen selbst vorkommen, als brause ein ICE mit 240 Stundenkilometern durch ihren Kopf, sind sie doch in der Realität ganz leise. Sie liegen bei ein bis maximal drei Dezibel und sind damit nicht lauter als der „Knall“ beim Aufprall eines trockenen Blattes auf den Boden, berichtete Diplom-Ingenieur Helmut Lebisch vom Institut für Tinnitus-Forschung und Therapie in Bad Meinberg.

Jeder Mensch hat nach seinen Worten ein gewisses „Grundrauschen“, das schon allein durch den Blutkreislauf, also durch das Strömen der Flüssigkeit Blut in den Blutgefäßen, verursacht wird. Dieses Grundrauschen wird von unseren Ohren weg filtriert, wir überhören es gemeinhin. Anders die Tinnitus Patienten. Sie nehmen das Grundrauschen wahr und stören sich daran, anfangs nur gelegentlich, später wird das Ohrgeräusch dann oft zu einer unerträglichen Qual.

„Wir unterscheiden beim Tinnitus verschiedene Phasen“, berichtete dazu Dr. Birgit Mazurek vom Tinnitus-Zentrum der Charité in Berlin. Im kompensierten Stadium registriert der Patient den Tinnitus, er kommt mit dem Geräusch aber klar. Dieses verstärkt sich allerdings unter Stress und bei Stille und wird dann durchaus als Belästigung empfunden. Bei vielen Patienten entwickelt sich die Situation im weiteren Verlauf aber zu einem Stadium der Dekompensation, in dem das Geräusch generell als unerträglich erlebt wird. Es schwillt offensichtlich an, raubt den Betroffenen den Schlaf und treibt sie in die Depression. Angstsyndrome, Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme in der Familie und am Arbeitsplatz sind die Folge. „Die Betroffenen erleben durch den Tinnitus massive Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche und erfahren einen hohen Leidensdruck“, berichtete die Medizinerin bei der Veranstaltung von Siemens Audiologische Technik in Bonn.

Ohrgeräusche auch durch Medikamente

Die Ohrgeräusche können nach ihren Worten verschiedene Ursachen haben. Sie können vaskulär bedingt sein, zum Beispiel durch Verengungen der Blutgefäße, aber es können ihnen auch muskuläre Störungen zu Grunde liegen. Sie können Folge einer Otitis media oder eines Hörsturzes sein, oder durch akustische Traumata oder eine allgemeine Schwerhörigkeit im Alter hervorgerufen werden. Auch können Medikamente als Nebenwirkung zu Ohrgeräuschen führen und das mit oder ohne Hörminderung. Bekannt ist dies von Aminoglykosiden, Salicylaten, Naproxen, Chinin und Chloroquin sowie von vielen Antiarrhythmika, Antikonvulsiva und Antidepressiva, von Antihypertensiva und auch von Zytostatika.

Wann immer möglich, sollte die Ursache behoben und gegebenenfalls das jeweilige Medikament abgesetzt werden. Ansonsten kann eine akute Therapie versucht werden. Halten die Beschwerden aber länger als drei Monate an, so gehen die Experten von einem chronischem Tinnitus aus. Dann geht es darum, langfristig zu versuchen, „die Ohren wieder nach außen zu klappen“, so das Credo von Helmut Lebisch. Vieles ist nach seinen Worten oft schon erreicht, wenn der Patient vernünftig aufgeklärt wird und wenn ihm Ängste genommen werden. Denn nicht wenige Betroffenen haben Sorge, der Tinnitus sei ein Vorbote einer schweren Krankheit und kündige einen Schlaganfall oder einen Hörsturz an.

Lärmempfindlichkeit ist oft antrainiert

Man muss dem Patienten laut Lebisch außerdem mitteilen, dass das Tinnitusgeräusch nur ein bis maximal drei Dezibel ausmacht und damit weit leiser ist, als unsere üblichen Umgebungsgeräusche. Das Problem aber besteht darin, dass das wahrgenommene Geräusch von den Patienten subjektiv verstärkt wird. Sie nehmen es überdeutlich wahr, fühlen sich gestört und geraten dadurch in einen Teufelskreis, der sich hochschaukelt. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist primäres Ziel der Therapie.

Die Betroffenen mögen keinen Lärm

Bei vielen Betroffenen hat sich zudem eine gewisse Hyperakusis, also eine Lärmempfindlichkeit ausgebildet. „Diese ist zu 80 Prozent antrainiert“, sagt Lebisch. Die Betroffenen mögen keinen Lärm und ziehen sich zurück, worauf die Ohren mit einer zunehmenden Empfindlichkeit reagieren. Lebisch: „Unsere Ohren gewöhnen sich leicht an den Rückzug und die Stille.“ Damit aber verkleinert sich das dynamische Fenster zwischen der Hörschwelle und der Lärmempfindlichkeit und das um so mehr, wenn – wie dies bei vielen Betroffenen der Fall ist – mit zunehmendem Alter eine gewisse Hörminderung hinzu kommt.

Die Therapie des Tinnitus sollte deshalb immer so ausgerichtet sein, dass sich das dynamische Fenster wieder vergrößert, forderte Lebisch in Bonn. Möglich ist dies mit Hilfe spezieller Rauschgeräte, mit denen der Betroffene lernt, seine Geräuschwahrnehmungen zu modulieren und seine Aufmerksamkeit vom Tinnitus wegzulenken. Bei Patienten mit gleichzeitiger Hörminderung eignen sich besonders gut kombinierte Hörgeräte-Rauschkombinationen für ein solches Re-Trainieren der Aufmerksamkeitslenkung. Sie helfen dem Tinnitus-Patienten, sein Ohr gezielt wieder an Umgebungsgeräusche zu gewöhnen und seine normale Filterfunktion zurückzugewinnen.

Christine VetterMerkenicher Strasse 22450735 Köln

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