Zahnbehandlung in Großbritannien

Der private Bereich boomt

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Heftarchiv Gesellschaft
Britische Zahnärzte und Patienten haben ihr Interesse an privater zahnärztlicher Behandlung entdeckt. Vor allem teure Behandlungen, wie Überkronen und Richten der Zähne – viele davon rein kosmetischer Natur – erleben im Königreich derzeit einen regelrechten Boom. Die ersten privaten Zahnarztpraxen bereiten ihren Gang an die Börse und den Aufbau von Praxisketten vor. Die Engländer sind heute bereit, sich ihr strahlend weißes Lachen etwas kosten zu lassen.

Zwar hat Großbritannien seit 1948 ein staatliches Gesundheitssystem (National Health Service, NHS), das auch die zahnärztliche Grundversorgung mit beinhaltet. Allerdings wurde der NHS-Leistungskatalog in den vergangenen 15 Jahren immer weiter eingeschränkt. In vielen Landesteilen fehlt es zudem an staatlichen Zahnärzten. Folge: Patienten bleibt oftmals keine andere Wahl, als aus eigener Tasche für private Behandlungen in vormals staatlichen Praxen zu bezahlen. Das Problem dabei ist, dass· viele der Praxen schlecht ausgestattet sind und die angebotenen Leistungen sich nicht sonderlich von den in einer NHS-Praxis angebotenen Leistungen unterscheiden.

Das haben clevere Zahnärzte vor allem im wohlhabenden Südosten Englands und im Großraum London erkannt. Was Amerika bereits seit rund 20 Jahren vormacht – nämlich viel Geld mit aufwändigen und häufig kosmetischen Behandlungen verdienen – macht neuerdings auch in Großbritannien Schule. Das private Unternehmen Integrated Dental Holdings (IDH) plant, an die Londoner Börse zu gehen. IDH betreibt bereits landesweit rund 130 Zahnarztpraxen. Investoren haben umgerechnet rund 30 Millionen Euro bereit gestellt, um die weitere Expansion der von einem Zahnarzt geführten Kette zu finanzieren. Das Unternehmen dürfte nach Angaben Londoner Broker einen Börsenwert von rund 40 Millionen Euro erzielen.

Andere private Zahnarztketten, wie Ora (London) und James Hull Associates (36 Praxen), bauen derzeit auch an einem landesweiten Praxis-Netz. Auch hier wird das Marketing gezielt auf teure kosmetische Behandlungen und Implantologie abgestellt. Der Markt für zahnärztliche Behandlungen in Großbritannien ist nach Einschätzung von Experten derzeit jährlich umgerechnet rund 4,6 Milliarden Euro wert. Umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro davon dürften auf private Behandlungen entfallen. Tendenz: steigend.

Ein typischer NHS-Zahnarzt kalkuliert laut Londoner City Broker mit einem Stundenlohn von 120 bis 150 Euro. Privat praktizierende Zahnärzte können dagegen mit einem Stundenlohn von zwischen 290 und 310 Euro rechnen, so die Experten. Der britische Zahnärzteverbund hat keinen Einfluss darauf, wieviel Zahnärzte für private Behandlungen berechnen. Dementsprechend groß sind die Preisunterschiede von Praxis zu Praxis. Die teuersten Praxen im Königreich sind im Londoner Westend, vor allem rund um die prestigeträchtige Medizinerstraße Harley Street. Hier lassen sich auch wohlhabende Araber und andere Zahnmedizintouristen gerne behandeln.

Die Praxis im Kaufhaus

Interessant: Inzwischen haben auch die Apothekenketten und Kaufhäuser, wie Selfridges in London, die private Zahnmedizin für sich entdeckt. Selfridges – nach Harrods Großbritanniens zweites Flaggschiff-Kaufhaus – bereitet derzeit die Eröffnung der ersten Zahnarztpraxis im Kaufhaus vor. Zusammen mit der privaten Zahnarztkette Ora sollen zwischen Rolltreppe und Kosmetikabteilung Behandlungen wie Zahnpiercing und Zahnbleichen angeboten werden. Für aufwändigere Arbeiten werden die Patienten in die nah gelegene richtige Ora-Zahnarztpraxis gelotst. „Wir haben Marktforschungen angestellt und die Ergebnisse sind sehr viel versprechend“, so Nora Harris vom Venture Capitalist Kleinworth (London). Kleinworth beobachtet den Markt sehr genau.

Britische Apothekenketten, wie Boots (mehr als 1 000 Offizinen), bereiten ebenfalls den Sprung in die private Zahnmedizin vor. Diverse Boots-Filialen werden von 2002 an privat bezahlenden Zahnarztpatienten diagnostische und therapeutische Dienstleistungen anbieten. Analysten rechnen damit, dass der Filialist innerhalb der nächsten drei Jahre die Zahl seiner Zahnarztpraxen verdreifachen wird. Pro Praxis wird ein Jahresgewinn vor Steuern von umgerechnet rund 1,5 Millionen Euro angestrebt. In Großbritannien ist weder der Fremd- noch der Mehrfachbesitz von Apotheken gesetzlich verboten. Das hat den Markt geprägt.

Analysten rechnen für die nächsten fünf Jahre mit großen Umwälzungen im privaten zahnärztlichen Sektor. „Der Markt wird zunehmend von großen, kapitalstarken Ketten dominiert werden“, urteilt Kleinwort Capital Equity. Damit könnte der britische Zahnarztsektor den Optikern im Königreich folgen. Heute wird dieser Markt von großen Filialisten dominiert, die sich die besten Geschäftslagen leisten können.   

Arndt StrieglerGrove House32 Vauxhall GroveGB-London SW8 1SY

 

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