BZÄK-Bundesversammlung 2002 in Hamburg

Mehr Taten als starke Worte\r

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Beseelt vom toleranten Geist der Hansestadt Hamburg – um mit den Worten des gastgebenden BZÄK-Vizepräsidenten und Hamburger Kammerpräsidenten Dr. Wolfgang Sprekels zu sprechen – erörterten die Delegierten der Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer am 8. und 9. November die politischen Themen, die ihnen am meisten unter den Nägeln brannten: Massive Kritik und mögliche Reaktionen auf das Notstandsgesetz. Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp subsumierte: „Es ist sinnvoll, eher Taten als starke Worte walten zu lassen. Trotz unseres Widerstandes bleiben wir im Gespräch.“

„Es droht tatsächlich der Kollaps, vor dem wir und andere schon seit Jahren gewarnt haben“, erklärte BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, der in seiner Eröffnungsrede hart in die Kritik ging gegen die Gesundheitspolitik der Regierungskoalition, die weiterhin an dem Konzept des Einsammelns und Umverteilens festhalte (siehe auch Leitartikel). Erstaunlich sei die Art und Weise, mit der Ulla Schmidt nach Sicherung ihrer Amts-Pfründe alle Beteiligten im Gesundheitswesen inklusive der Patienten in Geiselhaft nehme. Die offene Einnahmenrationierung führe zu einer schleichenden Leistungsrationierung, betonte der Präsident, der gerade diesen Aspekt auch tags zuvor auf einer gut besuchten Pressekonferenz verdeutlicht hatte. Den Kanzler-Vorwurf, die Heilberufler würden als Antwort auf das Vorschaltgesetz mit „Gejammere“ reagieren, bezeichnete Weitkamp als „dreiste Unverschämtheit“.

Ein Manifest des Protests

Manifest des Protestes der Bundesversammlung gegen die aktuelle Gesundheitspolitik war die „Hamburger Erklärung“ aller Präsidenten der Bundeszahnärztekammer und der Länderkammern. Die im Vorschaltgesetz beabsichtigten Maßnahmen seien „die Fortsetzung der gesundheitspolitischen Hilfslosigkeit, die seit Jahren das System in die fachliche Sackgasse und in die soziale Ungerechtigkeit führt“. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, endlich eine auf die Belange der modernen Zahnmedizin abgestimmte Reform anzugehen. Freiheit des Berufsstandes und Eigenverantwortung des Patienten müssten oberste Priorität besitzen. „Präventionsorientierte Zahnheilkunde muss mit sozialer Gerechtigkeit gepaart werden. Der Schlüssel dazu sind die befundbezogenen Festzuschüsse.“

In einer einstimmig verabschiedeten Resolution wurde die gesetzgeberische „Konzeptionslosigkeit mit sozialistischen Mitteln“ angeprangert. Für die Defizite seien nicht Ärzte, Zahnärzte oder Patienten verantwortlich, sondern die „Verschiebebahnhöfe“ falscher politischer Entscheidungen. Die Zahnärzte seien bereit, ihren Beitrag zu einer Neuorientierung zu leisten und verwiesen auf das Modellprojekt Zahnheilkunde.

Mit Weitblick griff Präsident Weitkamp vor den Delegierten weitere für den Berufstand brisante Themen auf. Die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze bezeichnete er als ein falsches Signal hin zu einem staatlichen Dirigismus. Eine geplante Erhöhung der Gewerbesteuer lehnte er dezidiert ab als „Frontalangriff auf die Freien Berufe“. Er fügte hinzu: „Wir arbeiten doch seit Jahren unter dem stringentesten Budget und können beim besten Willen nicht zum Beitragssatzdesaster beitragen. Die Regierung selbst hat durch ihren Verschiebebahnhof die alleinige Schuld.“ Eine klare Absage erteilte der BZÄK-Präsident den Patientenquittungen, die für den Patienten keinerlei Relevanz enthielten. Er forderte vom Staat, dass er sich endlich wieder weitestmöglich aus dem System zurückziehe.

Weitkamp machte den Delegierten deutlich, dass die konstruktiven Vorschläge der Zahnärzteschaft für einen Umbau des Systems nur durch eine permanente Dialogbereitschaft umsetzbar seien. „Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, um unsere eigenen Konzepte weiter zu entwickeln und zu optimieren. So gilt es, unser in sich schlüssiges Projekt diagnoseabhängiger Festzuschüsse mit Kostenerstattung weiter in den Vordergrund zu rücken: Es ist logisch nachvollziehbar, sozial und solidarisch sowie außerdem auch Kosten steuernd.“ Die Entwicklung in der EU werde auf Dauer das deutsche System liberalisieren.

Magna Charta des Berufsstandes

50 Jahre alt wurde in diesem Jahr das Zahnheilkundegesetz, die Magna Charta des Berufsstandes. Dies nahm der Präsident zum Anlass, um auf die damals gesetzlich festgelegte Beseitigung der Kurierfreiheit und damit Herauslösung der zahnärztlichen Betätigung aus der Gewerbeordnung hinzuweisen – ein Tatbestand, der angesichts der Bestrebungen der Politik, freie Berufe künftig unter die Gewerbesteuerpflicht fallen zu lassen, aktueller sein dürfte denn je.

Außerordentlich intelligent und anders als von der Politik erwartet habe die Zahnärzteschaft den Gesetzesauftrag der Neubewertung des Bema umgesetzt, sagte der BZÄKPräsident und wies auf die Neubeschreibung der präventionsorientierten Zahnheilkunde, die BAZ-II-Studie und die gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Bewertungsausschuss hin. Mit Nachdruck forderte er in Bezug auf Honorierungsaspekte, dass der Zahnarzt das Honorar innerhalb einer gewissen Bandbreite selbst bestimmen sollte. Durch Gesetz in der GKV seien die Zahnärzte gezwungen, das Honorar als einen Durchschnittswert pro Leistung anzusetzen, dies könne aber niemals für die private Liquidation eines freien Berufsstandes gelten. Ebenso wie es für Anwälte, Notare oder Architekten selbstverständlich sei, neben der rein zeitlichen auch die unterschiedliche geistig-mentale Komponente bei der Honorarfindung zu berücksichtigen, müsse dies auch für den zahnärztlichen Berufsstand gelten.

Ein großes Anliegen war dem Präsidenten das Thema Qualität. „Dabei geht es um das Alles-oder-Nichts-Prinzip“, sagte er. „Leistungen, die betriebswirtschaftlich künftig in der Praxis nicht mehr zu erbringen sind, dürfen wir dann eben nicht mehr anbieten.“ In diesem Zusammenhang seien die Kammern besonders gefordert, wenn es um Aufklärung der Kollegenschaft gehe.

Weitkamp subsumierte zum Ausblick seiner Rede: „Es ist aus meiner Sicht eine hohe Kunst, einerseits unter den Bedrückungen und Bedrängnissen der GKV zu arbeiten, die unhaltbaren Zustände zu verdeutlichen und zu bekämpfen – und gleichwohl den Berufsstand weiter zu entwickeln.“

Um diese Weiterentwicklung zu forcieren, hatte die Bundeszahnärztekammer seinerzeit das Beratergremium des „Consiliums“ eingerichtet. Wichtige Impulse dieses Gremiums gingen auch in die diesjährige Bundesversammlung ein. Es geht vor allem darum, die Zahnärzteschaft auf allen für den Berufsstand relevanten Ebenen mit Wissen auszustatten, um in der öffentlichen Diskussion mit Kompetenz und Sachverstand zu überzeugen.

Aktuell unter den Nägeln brannten die Themen Zwangsfortbildung und Rezertifizierung. Dazu hielt Prof. Dr. Peter J. Tettinger, Universität Köln, Mitglied des Consiliums der BZÄK, ein Impulsreferat und beleuchtete Aspekte des Grundgesetzes dazu. Zwar erfordere eine staatlich verordnete Zwangsfortbildung im Sinne der Verhältnismäßigkeit das Einräumen individueller Wahlmöglichkeiten. Gänzlich verhindern lasse sie sich – einmal diktiert – auf dem Klagewege aber wohl nicht. Um die Kompetenz der Zahnärzteschaft zu erhalten, riet Tettinger dazu, beim Wie der Fortbildung Einfluss zu nehmen, so dass die Durchführung in den Händen der Selbstverwaltung bleibe. Gegen die geplante Rezertifizierung hätten diejenigen, die bereits im Beruf stünden, gute Einspruchschancen. Ob sie als Novum über den internationalen Vergleich grundsätzlich abgewendet werden könne, sei allerdings fraglich.

Fortbildung: Gutes tun und darüber reden

Kritisch hatte sich zuvor auch Präsident Weitkamp in seiner Rede mit den dirigistischen Maßnahmen der Zwangsfortbildung und Rezertifizierung auseinandergesetzt.

„Umso wichtiger ist es, nicht nur in der bei uns gewohnten vielfältigen und umfangreichen Form Fortbildung zu betreiben, sondern auch für Formen zu sorgen, mit denen der Öffentlichkeit dieses Fortbildungsbewusstsein schlüssig und nachvollziehbar darzustellen ist.“

In einem Beschluss lehnte die Delegiertenversammlung nach umfassender Diskussion jegliche Rezertifizierung und Zwangsfortbildung grundsätzlich ab. Die Pflicht zur Fortbildung wird als Selbstverständlichkeit des Freiberuflers anerkannt.

Vor den aktuellen Bestrebungen der Politik, die Zahnärzte unter die Gewerbesteuerpflicht fallen zu lassen, erhielt der Vortrag des Bonner Arbeitsrechtlers und Mitglied des Consiliums der BZÄK, Prof. Dr. Meinhard Heinze besondere Relevanz. Den Plänen der Politik räumte Heinze wenig Chancen ein. Die Freiberuflichkeit des Zahnarztes sei seiner Auffassung nach auf Basis europäischer Rechtsprechung unantastbar. Er erklärte den Delegierten, dass in der aktuellen Rechtsprechung des EuGH der Zahnarzt als Freiberufler anerkannt sei. Deshalb seien nationale Bestrebungen, ihn in die Gewerbesteuer – und hier schließt sich wiederum der Kreis zum Zahnheilkundegesetz – einzubeziehen, wenig realistisch. Heinze: „Es lohnt sich, für weitere steuerliche Perspektiven des Freiberuflers in Deutschland zu kämpfen.“

Gestalten statt verwalten

Ein zentrales Thema der Bundesversammlung war die Umsetzung des Konzeptes befundorientierter Festzuschüsse in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Prof. Dr. Winfried Wagner, Universität Mainz, stellte den Delegierten das Konzept ausführlich dar.

„Wir wollen unsere Visionen der Tatenlosigkeit der Politik entgegensetzen“, sagte er. „Wir wollen gestalten statt verwalten.“ Wagner machte deutlich, dass es nicht angehe, in der Art und Weise einer zentralistischen Zuteilungsmedizin alles staatlich regeln zu wollen. Die jetzige prozentuale Bezuschussung bezeichnete er als „unsozial“, das System der befundorientierten Festzuschüsse sei wesentlich problembezogener und grenze niemanden aus. Es sei leistungs- und therapiemittelorientiert sowie europatauglich.

Im Hinblick auf künftige Entwicklungen stand auch das Thema „Stärkung der Prävention und Präventionsstrategien für ein gesundes Altern“ auf der Versammlung zur Debatte. BZÄK-Vizepräsident Dr. Dietmar Oesterreich machte den Delegierten deutlich, dass die wachsende Anzahl älterer Menschen versorgungspolitisch ein sehr relevanter Faktor sei. Stichworte seien hier die Kompression der Morbidität und Lebensqualität. Prävention werde hier genauso an Bedeutung gewinnen wie Kuration, Rehabilitation oder Pflege. Oesterreich machte deutlich, dass sich der Berufsstand bereits dieser Problematik zugewendet habe. So habe die Bundeszahnärztekammer gerade den neuen Leitfaden „Präventionsoriteniterte Zahnmedizin unter den besonderen Aspekten des Alterns“ sowie ein Handbuch der Mundhygiene älterer Menschen für die Zielgruppe des Pflegepersonal herausgegeben. Handlungsbedarf gebe es in vier Feldern: Beim Patienten, beim Zahnarzt, beim Pflegepersonal und im politischen Umfeld.

Das Konzept der Zahnärzte sei sehr fortschrittlich, lobte der Gerontologe Prof. Dr. Andreas Kruse, Universität Heidelberg, im Rahmen seines Impulsreferats. Prävention auf diesem Gebiet werde in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Bei der Gestaltung des Alterungsprozesses komme der Eigenverantwortung des einzelnen immer größere Bedeutung zu. Aus gerontologischer Sicht sei der Alterungsprozess nämlich zu drei Viertel von der individuellen Lebensführung abhängig. Den von der BZÄK entwickelten Baustein zum Gesamtkonzept „Prophylaxe ein Leben lang“ nannte Kruse beispielhaft, er finde auch in der amerikanischen Geriatrie großen Rückhalt.

Die Impulsreferate beeinflussten die Meinungsfindung und Beschlussfassung der Versammlung, die in gewohnt souveräner Weise von Dr. Klaus Lindhorst geleitet wurde. Nach intensiven Beratungen verabschiedeten die Delegierten folgende Beschlüsse und Anträge:

• In einem Leitantrag wird diefreiberufliche Weiterentwicklung des zahnärztlichen Berufsbildesund der zahnärztlichen Berufsausübung ohne staatliche Regulierungszwänge und GKV-Dominanz gefordert. Das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient müsse gewahrt bleiben, freiberuflichen Anforderungen müssten berücksichtigt werden.

• In einem weiteren Leitantrag wird der Gesetzgeber aufgefordert, dasModellprojekt einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkundein Form des Konzeptes befundbezogener Festzuschüsse als innovative und richtungsweisende Alternative umzusetzen.

• ImVorschaltgesetzhabe die Regierung für die GKV Insolvenzantrag gestellt. Die Zahnärzte würden selbstverständlich für ihre Patienten eine qualitativ hochwertige Versorgung sichern. Es solle aber mehr denn je geprüft werden, ob angesichts der Rahmenbedingungen die zu erbringende Leistung den Qualitätsansprüchen entspreche.

• Betont wird, dass die Zahnärzte im GKVBereich seit vielen Jahren unter Budget-Bedingungen arbeiteten und für dasBeitrags-Desaster der GKVnicht in Beugehaft zu nehmen seien. Verursacher des Niedergangs der GKV sei die Regierung.

• In mehreren Anträgen wird dieZwangsfortbildung und Rezertifizierungabgelehnt (siehe oben), ebenso die Speicherung von Daten über individuelle Fortbildungstätigkeit der Kollegen.

• Bekräftigt wird die alleinige Verantwortung von Wissenschaft und Berufsstand fürQualitätssicherung und Leitlinien.Der Plan der Regierung zu einem „Deutschen Zentrum für Qualität“ wird als systemfremd und qualitätshemmend angesehen.

• Allen Zahnärzten wird empfohlen, künftig Leistungen höher als zum Mittelwert derGOZzu liquidieren. Die verschärfte Kostensituation müsse in die Faktorbemessung mit einfließen.

• Diesektoralen Richtlinienzur Anerkennung von Berufsqualifikationen in der EU sollten nicht abgeschafft werden.

• Die bisherigeGewerbesteuergehöre auf den Prüfstand. Der Bundesverband Freier Berufe solle in die Beratungen um neue Finanzierungsmodelle einbezogen werden.

• DerSchutz des Patientenhabe Vorrang vor der Finanzierbarkeit eines Sozialversicherungssystems. Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen werden aufgefordert, die grundlegenden Rechte von Patienten zu respektieren und für deren Einhaltung zu wirken.

• Die Versammlung begrüßt die Bildung vonaußerkörperschaftlichen Vereinigungender Zahnärzte.

Mit den Beratungen über den Haushalt endete die Versammlung, die von der gastgebenden Kammer Hamburg unter der Leitung von BZÄK-Vizepräsident Dr. Wolfgang Sprekels und seiner Mannschaft in einen sehr ansprechenden Rahmen gesetzt wurde.

BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp hob in seinem Schlusswort den sachlichen und akademischen Rahmen der Veranstaltung hervor. Er betonte: „Die BZÄK wird mit Nachhaltigkeit dafür sorgen, dass der Berufsstand seriös und kompetent in Berlin vertreten wird.“ pr

• Die zm werden in einem der nächsten Hefte ausführlich über das Referat von Prof. Heinze berichten

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