Leitartikel

Ein Tabu wird aufgebrochen

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

das neue Jahr hatte kaum begonnen und schon beherrschte ein zentrales Thema die öffentliche Diskussion: die Gesundheitspolitik. Das zeigt, wie dringlich Reformen unter den Nägeln brennen. Aktuelles Beispiel: der Vorschlag von Rürup-Kommissionsmitglied Bernd Raffelhüschen zur Umgestaltung der Sozialsysteme, die Zahnmedizin schrittweise aus der Gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen. Damit wird ein jahrelang gehegtes Tabu aufgebrochen, die Auseinandersetzung im Gesundheitswesen, so scheint es, hat eine neue Dimension erreicht.

Eines will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Den jetzt von vielen erwarteten Aufschrei der Empörung wird es von Seiten der Zahnärzteschaft nicht geben. Im Gegenteil – gut an diesem Vorschlag ist die Idee, das starre Korsett der Pflichtversicherung endlich zu lösen. Wir erleben es doch täglich in der Praxis: Das jetzige System ist von Über-Bürokratisierung, Über-Reglementierung und Ungerechtigkeit gekennzeichnet. Die Budget-Politik lässt eine geordnete Behandlung unserer Patienten kaum noch zu. Wir Zahnärzte haben für den Bereich Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde einen in sich stimmigen, zukunftsweisenden und europatauglichen Lösungsvorschlag auf den Tisch gelegt. Die einzige aktuelle Alternative zu einem System, das fast an die Wand gefahren ist, ist für uns das zahnärztliche Modell diagnoseabhängiger Festzuschüsse auf Basis einer Kostenerstattung. Es sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit, schafft Transparenz für die Patienten und gewährleistet eine Umsetzung des medizinischen Fortschritts in der Praxis. Dies ist der richtige Schritt, um den Idealzustand zu erreichen: Auf der einen Seite stehen die Krankenkassen im Wettbewerb von Beitragsatz und Angebot. Auf der anderen Seite stehen die Zahnärzte im Wettbewerb von Honorar und Leistung. Der Patient hat die Möglichkeit, die seinen Wünschen und Neigungen entsprechende Krankenkasse und seinen Zahnarzt frei zu wählen.

Wohlgemerkt kann man sich unterschiedliche Abrechnungsmodalitäten für Zahnmedizin und Medizin vorstellen. Aber inhaltlich darf die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nicht von der Medizin getrennt werden, denn die Wissenschaft hat belegt, dass enge Relationen zwischen Zahngesundheit und allgemeiner Gesundheit bestehen. Die Frage, ob man so weit gehen kann, die Zahnmedizin ganz aus der GKV zu lösen, hängt entscheidend auch von der Akzeptanz in der Bevölkerung und der sozialverträglichen Umsetzung ab. Zumindest eines scheint sicher: Das Modellprojekt Zahnheilkunde dürfte in den gesundheitspolitischen Diskussionen der kommenden Monate verstärkt eine Rolle spielen.

Das Consilium der Bundeszahnärztekammer rät zu einem vertrauensbildenden Vorgehen. Die Zahnärzteschaft sollte offensiv bei Krankenkassen wie Patienten für das Modell der befundorientierten Festzuschüsse und Kostenerstattung werben. Ängste sollten ausgeräumt werden, nach denen neue Vertragsprinzipien zwangsläufig zu einer finanziellen Überforderung der Patienten oder zu nicht überprüfbaren Leistungen führen.

Unser Blick sollte nach vorne gerichtet sein. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wächst in der Gesundheitspolitik täglich. Die Notgesetzgebung ist nach den jüngsten Beitragserhöhungen der Krankenkassen jetzt schon Makulatur.

Ureigene zahnärztliche Belange gilt es voranzubringen: Vor uns liegt zum Beispiel die weitere Umsetzung der Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Ein weitere zentrales Thema ist die Novellierung der Approbationsordnung für Zahnärzte.

Es nützt nichts, wenn die Politik immer neue Kommissionen und Institutionen ins Leben ruft, um eine Reform von Reförmchen einzuleiten. Viel dringlicher ist es, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. In diesem Sinne wird es unsere wichtigste standespolitische Aufgabe des neuen Jahres sein, uns in Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit für den Berufsstand einzusetzen und dies auch nach außen zu tragen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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