Arbeitsgemeinschaft euregiodent

Brücke in Europa

Der freie Dienstleistungsverkehr hat den Grenzregionen in Europa neue Brücken der Zusammenarbeit eröffnet. Besonders spannend ist das auch im Gesundheitswesen, einem Bereich, bei dem die Menschen ganz unmittelbar betroffen sind. Zahnärzte leisten dazu Pionierarbeit: Die Arbeitsgemeinschaft „euregiodent“, eine Initiative der Zahnärztekammern Nordrhein, Westfalen- Lippe und der zahnärztlichen Vereinigungen in Belgien und den Niederlanden hat zum Ziel, Qualitätssicherung in der Fortbildung zu betreiben. Das Pilotprojekt wird jetzt richtig durchstarten und kann als Beispiel für weitere Entwicklungen bei der EU-Osterweiterung wirken.

Die Niederlande brauchen deutsche und belgische Zahnärzte“, erklärt Klaas-Jan Bakker von der Nederlandse Maatsschappij tot bevordering der Tandheelkunde (NMT) und will damit die grenzüberschreitende Berufsausübung zahnärztlicher Kollegen im Ausland ankurbeln. Der Justitiar der NMT, zuständig für internationale Angelegenheiten, weiß wovon er spricht. In den Niederlanden herrscht aufgrund von Ausbildungsproblemen ein akuter Mangel an Zahnärzten. Kollegen aus Deutschland und Belgien können hier für Abhilfe sorgen. Bereits vor rund zwei Jahren warb die NMT mit einer Kampagne auf dem Sommerseminar der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe in Münster für sein Land. Für Zahnärzte bietet sich hier eine Gelegenheit für neue berufliche Perspektiven, der freie Dienstleistungsverkehr in der EU macht es möglich.  

Auch für die Versicherten in den Grenzregionen stellt sich das Thema Europa täglich neu, zum Beispiel, wenn ein Patient, der in den Niederlanden wohnt und in Deutschland arbeitet, seinen Zahnarzt an seinem Arbeitsplatz in Deutschland hat. Oder wenn für einen Belgier plötzlich eine Notfallbehandlung bei einem Aufenthalt in Deutschland notwendig wird. Das wirft jedoch einen Wust von verwaltungstechnischen Fragen auf: Was ist mit der Chipkarte? Wie funktioniert das mit der Kostenerstattung? Wie finde ich im Ausland den Zahnarzt meiner Wahl? Wie sieht das mit seiner Qualifikation aus? Einerseits können die Menschen in den Grenzregionen die Vorteile eines grenzenlosen Europas mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr jetzt schon nutzen. Andererseits gibt es auch Probleme. Denn für die Gesundheitsversorgung gilt immer noch nationales Recht. Zunehmend spielt jedoch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Rolle, der gerade erst mit seinem Urteil vom 13. Mai 2003 die Kostenerstattung über Grenzen hinweg zum Prinzip erklärt hat. 

Nicht europakompatibel

In diesem Spannungsverhältnis bewegen sich der Patient und der Zahnarzt, wie Dr. Peter Engel, Präsident der Zahnärztekammer Nordhrein, auf dem Europatag der Bundeszahnärztekammer am 26. Juni in Berlin (siehe nachfolgenden Bericht) verdeutlicht. Zwischen den Rahmenbedingungen, die aus Brüssel kommen und die eine Deregulierung zum Ziel haben, und den nationalen Bestrebungen in der deutschen Sozialgesetzgebung mit seinem Sachleistungssystem, mit mehr Staat, mehr Bestimmungen und Verordnungen, klaffen Welten. Geplante Instrumente wie Zwangsfortbildung und Rezertifizierung tragen ihr Übriges dazu bei, dass das deutsche System nicht europakompatibel sei. 

Ein echter patientenorientierter und freiberuflicher Wettbewerb, so Engel, könne sich nur abspielen zwischen Versicherern und Versicherten und zwischen Zahnärzten/Ärzten und Patienten. „Europaweit ist in jedem Fall das Rechtsverhältnis zwischen Zahnarzt/ Arzt und Patient ein Rechtsverhältnis des Privatrechts und unterliegt damit den europarechtlichen Grundfreiheiten, hier insbesondere der Dienstleistungsfreiheit“, unterstreicht Engel.  

Im Gebiet der Euregio bietet sich die Chance, die Diskrepanz zwischen nationaler staatsdirigistischer Abschottung einerseits

und europäischen Grundfreiheiten andererseits abzubauen und neue Rahmenbedingungen für die Umsetzung des europäischen Gedankens auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene zu schaffen. Unter diesem Aspekt ist die zahnärztliche Initiative euregiodent zu verstehen.

Aus der Taufe gehoben

Der 21. September 2001 ist der Geburtstag der zahnärztlichen euregionalen Arbeitsgemeinschaft. Vertreter der Zahnärztekammern Nordrhein, Westfalen-Lippe, dem belgischen Verbond der Vlaamse Tandartsen (VVT, flämisch) und den Chambres Syndicales Dentaires (CSD, wallonisch) sowie der Nederlandse Maatsschappij tot bevordering der Tandheelkunde (NMT) kamen in Maastricht zusammen, um eine Projektidee ins Leben zu rufen: Im Dreiländereck Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden soll die grenzüberschreitende Kooperation bei der Qualitätssicherung und der Fortbildung in Praxis und Wissenschaft Wirklichkeit werden.   

Ziel des Projektes ist es, eine optimale zahnärztliche Behandlungsqualität in dem betreffenden Gebiet sicher zu stellen. Der Patient soll von einem annähernd gleichen Qualitätsniveau profitieren, da grenzüberschreitende Fortbildung zu etwa gleichen Versorgungsmöglichkeiten führt. Durch die Zusammenarbeit mit der Hochschule und der dadurch entstehenden Fortentwicklung der zahnmedizinischen Versorgung soll die Region eine Stärkung in der zahnmedizinischen Forschung und damit eine Verbesserung der Wettbewerbssituation erfahren. Außerdem sind positive Arbeitsplatzeffekte zu erwarten.  

Einen innenpolitsch bedeutenden Aspekt streicht Dr. Klaus Bartling, Vizepräsident der Kammer Westfalen-Lippe heraus: Wichtig sei, dass Fortbildung hier nicht zentral national, sondern auf euregionaler Ebene aufgegriffen werde. Der Berufsstand gestalte in Eigenregie Rahmenbedingungen für die Qualitätssicherung, dies nehme den derzeitigen politischen Bestrebungen, eine Zwangsfortbildung umzusetzen und ein Zentrum für Qualitätssicherung einzuführen, im Vorfeld den Wind aus den Segeln.   

Das Projekt euregiodent kann in vieler Hinsicht Modellfunktion auch für künftige Entwicklungen im Rahmen der EU-Osterweiterung ausüben. Schon jetzt hat es das Interesse für weitere Bestrebungen zahnärztlicher Organisationen in grenznahen Gebieten geweckt. Die Kammerbereiche Rheinland- Pfalz, das Saarland, Berlin-Brandenburg und Schleswig-Holstein stellen Pläne für mögliche ähnliche Modelle in ihrer Region auf.

Seit 1997 existiert bereits eine dentale Euregio Alpenrhein-Bodensee mit neun locker verbundenen Zahnärztegesellschaften rund um den Bodensee, darunter den Bezirkszahnärztekammern Freiburg und Tübingen. Den Vorsitz des Verbundes, der vornehmlich Fortbildungsveranstaltungen durchführt, hat die Gesellschaft Liechtensteiner Zahnärzte.  

Bahnbrechend

Das Projekt euregiodent wird ausdrücklich von der Bundeszahnärztekammer begrüßt und unterstützt und die BZÄK ist über das Brüsseler Büro in die laufenden Entwicklungen eingebunden. Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp unterstrich anlässlich des BZÄKEuropatages die, so wörtlich, „bahnbrechenden Aktivitäten“ von euregiodent im Bereich Aus- und Fortbildung sowie Praxisführung.

Hinter euregiodent steckt eine Initiative der Kammern Nordrhein und Westfalen-Lippe auf Anregung von Dr. Rüdiger Butz, Vizepräsident von Nordrhein. Anstoß bot eine Stellungnahme des Ausschusses der Regionen bei der Europäischen Kommission, der den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Reform der europäischen Gesundheitssysteme eine tragende Rolle zuweist. Die beiden deutschen Kammern nahmen Kontakt mit den Zahnärzteverbänden in Belgien und den Niederlanden auf, eine Kommission wurde gegründet, den Vorsitz für die deutschen Kammern führt Rüdiger Butz. Die gemeinsame Projektleitung liegt bei der Zahnärztekammer Westfalen- Lippe unter der Leitung von Kammerdirektor Michael Schulte Westenberg.  

Für die belgischen Vertreter sind die Vorteile von euregiodent nicht von der Hand zu weisen. Stefaan Hanson, Exekutivdirektor der VVT, betont die Vorteile kleinerer Identitäten. Abseits von nationalen Strukturen biete die interregionale Zusammenarbeit vielfältige Möglichkeiten, den europäischen Gedanken in den Berufsstand zu tragen. Dr. Bernard Munnix, stellvertretender Vorsitzender der CSD, spricht ganz praktische Punkte an. In Belgien existiere bereits die Zwangsfortbildung mit einem System der Akkreditierung und Zertifizierung. Durch eine euregionale Vernetzung des Fortbildungsangebots erhoffe man sich, das Spektrum für die Kollegenschaft zu erweitern. Besonders attraktiv sei es für den belgischen Zahnarzt, wenn nationale durch internationale Angebote ergänzt und bereichert werden. 

Dabei spielt der Aspekt der Qualitätssicherung eine große Bedeutung, wie auch die Niederländer betonen. Klaas-Jan Bakker weist darauf hin, dass sein Verband stark daran interessiert sei, den Mangel an niederländischen Zahnärzten durch Zuwachs aus Deutschland und Belgien auszugleichen – ein einheitlicher Standard im Angebot zahnmedizinischer Leistungen wie auch im Fortbildungsangebot erleichtere dem Zahnarzt die Berufsausübung hüben wie drüben. 

Gerade Nordrhein-Westfalen sei für ein grenzüberschreitendes zahnärztliches Projekt prädestiniert, da die Region immer Vorreiter und Motor der europäischen Einigung gewesen sei, erläutert Rüdiger Butz. Zahlreiche Kooperationsabkommen bestünden bereits, die eine grenzübergreifende Zusammenarbeit verbesserten. Ganz wichtig ist Butz dabei der Gedanke des Regionalismus. „Der Begriff Region definiert sich als ein Verbund, um gemeinsame Ziele durchzusetzen. Er ist positiv besetzt, indem er zur Emanzipation der Region führt.“ Den regionalen Zusammenschluss sieht Butz –ganz im Sinne eines gelebten Europas – als Antwort auf die Globalisierung. „Der Vorteil der Region ist ihre Überschaubarkeit.“

Viele euregionale Initiativen

Es gibt bereits viele Initiativen für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit in Europa. Die „Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG)“, gegründet 1971 und mit Sitz in Gronau, Deutschland, zählt rund 115 Grenz- und grenzübergreifende Regionen in ganz Europa, von denen 82 Mitglieder in der AGEG sind (mehr dazu unter: www.aebr.net). Die Zusammenarbeit erfolgt auf vielen Gebieten, sei es im Bereich Verkehr und Telekommunikation, Umwelt, Tourismus, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Wissenschaft oder eben auch im Gesundheitswesen. Gerade erst fand zum Beispiel am 20. Juni eine Tagung von HOPE, Hospitals of the European Union, in Luxemburg statt, bei der es um grenzüberschreitende Kooperation im Krankenhauswesen ging (mehr dazu unter www.hope.be).  

Der zahnärztlichen Initiative räumlich am nächsten ist die EUREGIO (mehr unter www.euregio.de), ein Zusammenschluss von 140 deutschen und niederländischen Gemeinden, Städten und Kreisen im Gebiet der Flüsse Rhein, Ems und Ijssel, die sich für den Strukturwandel des Grenzgebietes stark macht. 

Zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes und zur Förderung grenzübergreifender, transnationaler und interregionaler Zusammenarbeit hat die Europäische Kommission Gelder für Förderprogramme bereit gestellt. Die EU-Gemeinschaftsinitiative Interreg III A, B und C stellt Fördermittel im Zeitraum 2000 bis 2006 bereit, um die sich regionale Initiativen bewerben können.

Wissenschaft eingebunden

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft euregiodent sind intensiv dabei, das Projekt mit Leben zu füllen. Ganz wichtig ist die Einbindung der Hochschulen, denen im Rahmen eines Transfers von wissenschaftlichen Erkenntnissen große Bedeutung zukommt. Deshalb sind folgende Hochschullehrer vertreten: Prof. Dr. Heinz Renggli, Universität Nijmegen, der von der Arbeitsgruppe euregiodent als Sprecher gewählt wurde, Prof. Dr. Jan de Boever, Universität Gent, Prof. Dr. Dr. Ludger Figgener, Universität München und Prof. Dr. Meinhard Heinze, Universität Bonn. Prof. Dr. Michael Noack, Universität Köln, und ein Vertreter der Universität Leuwen sollen hinzu kommen.

Für Renggli ist es wichtig, eine euregionale Plattform für Fort- und Weiterbildung zu etablieren. Es sei geplant, gemeinsame Projekte für Forschungsarbeiten ins Leben zu rufen und die Curricula für die Studentenausbildung einheitlich zu gestalten.

Heinze, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit und gleichzeitig Mitglied des Consiliums der Bundeszahnärztekammer, unterstreicht die Vorbildfunktion von euregiodent. Mit solchen Modellen könnten europataugliche Standards im Bereich der zahnärztlichen Qualitätssicherung entwickelt werden. Es werde sichergestellt, dass keine nationale Abschottung erfolge. Ganz wichtig sei der Gedanke des Patientenschutzes: Der Patient erfahre aufgrund der festgelegten Qualitätskriterien, dass er in den Ländern vergleichbare zahnärztliche Leistungen bekomme.  

Die weiteren Schritte des Projekts liegen schon fest. Zunächst wird der Ist-Zustand und die Verfahrensweise bei der zahnmedizinischen Fortbildung in den drei Ländern eruiert. Inhalt, Umfang und Dauer von Fortbildungsmaßnahmen werden erfasst, synoptisch dargestellt und verglichen. In einem nächsten Schritt soll dann die Fortbildung in den beteiligten Ländern abgestimmt und Empfehlungen zur grenzüberschreitenden Fortbildung abgegeben werden. Entsprechende Informationssysteme sollen dazu erarbeitet werden. Es sollen inhaltlich abgestimmte Fortbildungsveranstaltungen angeboten werden, deren Nachfrage durch den Einsatz von E-Learning angereizt werden soll. In einem späteren Schritt soll dann ein Fortbildungsnachweis erarbeitet werden, der grenzüberschreitend anerkannt wird.

Weiterhin gehört dazu eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, der Aufbau eines eigenen Internet- Auftritts (www.euregiodent.org). Zentraler Event wird die Durchführung eines jährlichen Hochschul-Fortbildungskongresses. 

Projektantrag an die EU

Am 27. Juni fand in Berlin das jüngste Treffen von euregiodent statt, auf dem das weitere Vorgehen festgezurrt wurde. Für das Projekt wird nun ein Zuschuss aus dem EUGemeinschaftsprogramm Interreg III A beantragt. Dazu wurde bereits eine gemeinsame Projektbeschreibung erarbeitet und Anfang Juni bei der Euregio Rhein-Waal in Kleve, die für die Projekteinreichung zuständig ist, befürwortet. Auf der Sitzung in Berlin wurde ein ausführlicher Finanzierungsplan abgestimmt. Es geht um eine Projektsumme von insgesamt rund 2,19 Millionen Euro, davon werden die zahnärztlichen Organisationen die Hälfte vornehmlich durch Personal- und Sachmittel selbst aufbringen müssen.  

Im euregionalen Forum der Euregio Rhein- Waal (ein Zusammenschluss von Krankenkassen, Krankenhäusern, der Gesundheitsministerien der Niederlande und Nordrhein- Westfalen sowie weiterer Kooperationspartner im Gesundheitswesen, so auch der Kammer Nordrhein) werden weitere Weichen gestellt. Wenn eine Befürwortung dort erfolgt, kann das Pilotprojekt zum 1. Januar 2004 offiziell starten.

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