Leitartikel

Von Hasenfüßen und Halbwertzeiten

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

was muss eigentlich noch alles passieren? Wie schlecht müssen sich die Rahmendaten eigentlich noch entwickeln? Und wie deutlich muss der Europäische Gerichtshof (EuGH) eigentlich noch werden, damit die da oben endlich genügend Mumm haben für nachhaltige Strukturveränderungen – auch in der Gesundheitspolitik?

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMGS) produziert Gesetzesentwürfe mit erschreckend kurzen Halbwertzeiten und starrt doch gebannt auf die Sonderparteitage der Koalitionspartner. Reformerischer Elan und politischer Mut sind Fehlanzeige – Hasenfüße führen in Berlin die Feder! Mutiger und vor allem rigoroser will man allerdings – mal wieder – mit uns Ärzten und Zahnärzten umgehen. Ulla Schmidt hat die Katze aus dem Sack gelassen – und die hat sofort ihre Krallen ausgefahren. Mit dem Arbeitsentwurf zum Gesundheitssystem-Modernisierungs-Gesetz (GMG), welcher Mitte vergangenen Monats öffentlich bekannt wurde, zeigt das BMGS, dass sein Kratzen und Beißen in Richtung Ärzte- und Zahnärzteschaft munter weiter gehen soll. Auf überaus geduldigem Papier haben Ulla Schmidt und ihre Reformer all das zusammengeschrieben, was sie während der vergangenen Monate an Änderungen und Umstrukturierungen in Sachen Gesundheitswesen angekündigt und ausbaldowert hatten. Als da zum Beispiel wären: Zwangsfortbildung, integrierte Versorgung, Begrenzung der Leistungen und Ausweitung der Einnahmen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die Reaktion der Mediziner und Zahnmediziner folgte auf dem Fuße. Auf dem Deutschen Ärztetag in der vorvergangenen Woche konnte Ulla Schmidt sich persönlich davon überzeugen, dass ihre Vorstellungen von einer Rosskur fürs Gesundheitswesen sich nur in den allerwenigsten Teilen mit den Vorstellungen der Betroffenen decken. Dasselbe gilt für die Zahnärzteschaft.

Auch uns Zahnärzten bringt der GMG-Entwurf nur altbekannte Ministeriumsprosa in neuem Gewand. Zwar greift das Papier unsere langjährige Forderung nach der Einführung von Festzuschüssen auf, bleibt hierbei aber weit hinter den Möglichkeiten zurück, die das Konzept der Zahnärzteschaft vorsieht. Anstelle der von uns geforderten befundorientierten Festzuschüsse ist im GMG-Entwurf von einem therapiebezogenen Festzuschuss-System die Rede, welches die prozentualen Zuschüsse beim Zahnersatz ablösen soll. Von einer weitsichtigen und weiter gehenden gesundheitspolitischen Zielsetzung ist hier nicht viel zu erkennen. Mal abgesehen davon, dass sich durch therapiebezogene Festzuschüsse rein gar nichts am System der Gesamtvergütungen ändern würde, bietet es auch keinerlei Nutzen für den Patienten. Ein gesetzlich Versicherter hätte gegenüber seiner Kasse eben keinen befundorientierten Leistungsanspruch und damit keinen Anteil am wissenschaftlichen Fortschritt.

Der GMG-Entwurf belässt die zahnprothetische Versorgung völlig im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung. Von diesem kurzatmigen Spagat hat niemand etwas: Er bietet weder erweiterte Wahlmöglichkeiten für den Patienten, noch wird er der GKV dabei helfen, Geld einzusparen. Denn weiterhin gilt: Wer mehr hat, zieht mehr ab! Oder deutlicher: Wer sich einen hohen Eigenanteil leisten kann, erhält einen hohen solidarisch finanzierten Kassenzuschuss.

Festzuschuss ist eben nicht gleich Festzuschuss. Die Möglichkeiten, welche sich durch eine Befundorientierung bieten würden, bleiben in den Vorstellungen der Bundesgesundheitsministerin vollständig ungenutzt.

Wo’s langgeht, hat dieser Tage wieder einmal der EuGH gezeigt: Ambulante ärztliche Behandlungen im Ausland dürfen nicht mehr von einer vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängig gemacht werden. Budgetierung und Sachleistung passen nicht mehr in das heutige System, das haben andere Länder schon längst erkannt. Vielleicht sollte unsere Bundesgesundheitsministerin mal ein bisschen mehr ins Ausland reisen – und nicht immer nur hinter den Mond.

Mit kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzAmtierender Vorsitzender der KZBV

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