Besuch aus Afghanistan
23 Jahre Krieg haben die afghanische Hauptstadt Kabul gezeichnet. Ganze Stadtviertel sind zerstört, die Infrastruktur liegt brach und ein geordnetes Leben ist selbst ein Jahr nach der Beendigung des Krieges kaum möglich. Für viele Afghanen, insbesondere diejenigen, die derzeit aus Pakistan nach Kabul zurückkehren, fehlt der nötige Wohnraum. Für Viele muss es reichen, einfach nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Die meisten Häuser haben außerdem kein fließendes Wasser, es muss von Brunnen über Pumpen geholt werden. In den Wintermonaten ist der Strom knapp, so dass nur alle zwei Tage für wenige Stunden die Stromversorgung funktioniert.
Der Arbeitsplatz ist häufig die Straße – Mieten für Geschäftsräume sind teuer. Selbst wer Arbeit hat verdient wenig. So erhält ein afghanischer Zahnarzt, der in der staatlichen Klinik für Stomatologie in Kabul arbeitet, nur 30 Euro pro Monat. Dies reicht nicht einmal für die Miete einer kleinen Zweizimmerwohnung. Da bewohnbarer Wohnraum rar ist, sind die Mieten für afghanische Verhältnisse sehr teuer. Viele Menschen können ihr Leben nur durch die Hilfe von Angehörigen finanzieren, die ins Ausland geflüchtet sind und von dort Unterstützung leisten. Wer keine Verwandte im Ausland hat, dem geht es schlecht.
Not lindern
Um die Not zu lindern und die zahnmedizinische Versorgung zu verbessern, ist dringend Hilfe – auch aus Deutschland – nötig. Aufgrund der Initiative von Dr. Ingrid Peroz und der Einladung von Prof. Dr. Klaus-Peter Lange vom Zentrum für Zahnmedizin an der Charité gelang es, den afghanischen Zahnarzt Mohammad Omar Popal aus Kabul für vier Wochen an die Charité in Berlin einzuladen. Möglich gemacht wurde dies auch durch das Engagement von Dr. Fritz-Josef Willmes, Ehrenpräsident der Bundeszahnärztekammer, sowie eine Spende der Deutschen Apotheker- und Ärztebank.
Popal hat all den Widrigkeiten des Krieges zum Trotz in Kabul ausgeharrt und dort praktiziert. Trotz Androhung von Strafen hat er auch zu Zeiten der Taliban Frauen behandelt, was ihm bei den Mitmenschen Achtung und Dankbarkeit bescherte. Der afghanische Zahnarzt berichtete in Berlin über die Zustände in seinem Heimatland. So verfügt die Kabuler Klinik für Stomatologie zwar durch einen eigenen Stromgenerator über Strom, doch die Behandlungsstühle sind größtenteils funktionsuntüchtig. Also muss auf Holzstühlen behandelt werden, den Patientenkopf an die Wand angelehnt. Amalgamanmischgeräte sind nicht vorhanden, es wird noch von Hand geknetet. Silikat-Zemente dienen als zahnfarbene Füllungen. Schleifinstrumente sind rar und ohne Wasserkühlung tödlich für eine vitale Pulpa.
In der Bevölkerung fehlt oft schon das Geld für das Nötigste – eine Wohnung, Kleidung und genug zu essen. Prophylaxe ist ein Fremdwort, eine Zahnbürste können sich die wenigsten leisten. Entsprechend ist die Mundgesundheit. Frauen haben besonders schlechte Zähne – kein Wunder, denn unter den Taliban durften sie nicht behandelt wer- den. Die meisten Patienten warten mit dem Zahnarztgang, bis der Schmerz nicht mehr auszuhalten ist. Zahnextraktionen sind daher üblich. Wer sich Zahnersatz leisten kann, wird mit einer Kunststoffprothese versorgt. Der Zahnarzt ist gleichzeitig auch der Zahntechniker. Es werden Keramikzähne verwendet, die teuer bezogen werden.
Welle der Hilfsbereitschaft
Hilfe ist nötig und möglich – auch mit kleinen Beiträgen lässt sich viel erreichen. Ein Spendenaufruf bei deutschen Zahnfabriken ermöglichte die kostenlose Überlassung von Prothesengarnituren. Auch ein Behandlungsstuhl mit dem nötigen Zubehör konnte organisiert werden. Der Transport der Einheit nach Kabul steht allerdings noch aus. Durch den Besuch des afghanischen Zahnarztes in Berlin sind nun erste Kontakte nach Kabul geknüpft. Es werden weitere Informationen über den Stand der zahnmedizinischen Versorgung in Afghanistan eingeholt, insbesondere über die Klinik für Stomatologie in Kabul. So ist sichergestellt, dass die benötigten Hilfsgüter gezielt angeschafft werden können. Neben einer Sanierung der Räumlichkeiten wird eine funktionstüchtige Ausstattung mit Gerätschaften und Behandlungsstühlen sinnvoll sein, sowie die Bereitstellung von Verbrauchsmaterialien und Produkten zur Mundhygiene für die Patienten. Mit dem „heißen Draht“ nach Afghanistan hoffen die Beteiligten, weitere Unterstützer in der Dentalindustrie oder unter den Zahnärzten zu finden und somit – zumindest im Bereich der Zahnmedizin – einen Beitrag zur Neuorientierung Afghanistans leisten zu können.