Kanonendonner an der Börse
Börsianer sind zumeist mit Galgenhumor gesegnet und neigen zum Zynismus. Nicht öffentlich, aber in ihren Kreisen wünschen sie den Irak-Krieg förmlich herbei, nur damit die Ungewissheit ein Ende hat, ob er denn überhaupt kommt. Denn ein Jahr schon lähmt dieses Damoklesschwert die Weltwirtschaft, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und die Konsumfreude der Verbraucher. Aktienkäufer, zumeist ohnehin nur Fondsmanager und institutionelle Investoren von Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, die nach dem bislang absoluten Tiefstpunkt im letzten Oktober zaghaft an den Börsen eingestiegen waren, verloren bald schon wieder ihren Optimismus. Sie begannen ab Mitte Januar ihre Anfangspositionen wieder zu verkaufen. Sie hielten den politischen Totentanz um Saddam Hussein einfach nicht mehr aus. Sie sind genervt. Sie stellen und stellten trotzig einfach alles glatt.
Wohin die Reise noch gehen könnte? Dow Jones Index: 6000 Punkte, 2000 weniger als bislang. Deutscher Dax: unter 2800 Punkte und damit wieder (charttechnisch) auf ungebremster Talfahrt nach unten. Zur Erinnerung: Der DAX stand mal – das war Mitte 1999 – bei knapp über 8000 Punkten. Die Pessimisten haben ja so recht, wenn sie mit einem Verweis auf die Vergangenheit an den Weltbörsen den Weltuntergang prognostizieren: Mit jetzt drei Jahren Dauer haben wir derzeit die zweitlängste Börsenbaisse seit der großen Depression von 1929 bis 1932. Diese unvergessliche Weltwirtschaftskrise dauerte – bislang – nur drei Monate länger als das gegenwärtige Desaster.
Und die Kaskade der Nackenschläge will einfach nicht enden: Als die Börsenwelt im Sommer 2001 glaubte, die Aktienbaisse sei nach der üblichen Dauer von einem Jahr zu Ende, kam der Terrorschlag vom 11. September. Danach kamen die betrügerischen Großpleiten von Enron und WorldCom, dann eine Phase aufgedeckter Bilanzfälschungen, dann der Analystenskandal, der gezielte Irreführungen des Börsenpublikums aufdeckte. Es folgte vor rund einem Jahr die Kriegsdrohung gegen den Irak, die fortan den Konjunktur entscheidenden Rohölpreis unkalkulierbar machte. Und die Börsianer gingen wiederum in Deckung statt in die Offensive.
Nun rät eine bewährte, klassische Börsenregel, die Deckung zu verlassen, sobald (im wörtlichen oder übertragenen Sinn) „die Kanonen donnern“. Das zahlte sich zuletzt buchstäblich während des Kuwait-Kriegs im Jahr 1991 aus. Als der Irak das Scheichtum Kuwait Monate zuvor in einer Nacht- und Nebel- Aktion überfallen hatte, schoss der Ölpreis in die Höhe, die Konjunktur brach ein und die Weltbörsen gingen auf steile Talfahrt. Als dann aber unter amerikanischer Führung am 17. Januar 1991 die ersten Bomben auf Bagdad fielen, stürmten die Aktionäre die Börsen mit Kaufaufträgen. Die Bomben auf Bagdad legten den Grundstock für die gigantische Hausse der neunziger Jahre.
Auch wer sich klugerweise antizyklisch an den Börsen engagiert und sich damit eine gewinnstarke Startbasis schafft, benötigt auf jeden Fall eine Anlagestrategie, die seinem persönlichen Aktien-Know-how und Risikoprofil entspricht. Nur wer Aktienerfahrung mit einer zumeist nicht unbeträchtlichen Portion Lehrgeld bezahlt hat, kann es wagen, sich direkt in Unternehmen einzukaufen. Ein blutiger Laie sollte konsequent die Finger von Aktien lassen. Auch wenn er glaubt, einen erfahrenen Bankberater an seiner Seite zu haben, läuft er Gefahr, sich die Finger zu verbrennen. Denn diese Berater sagen in aller Regel nur, was man kaufen soll, aber nicht, wann man was wieder verkaufen soll. So enden Spekulation, die erfolgreich gestartet sind, nicht selten mit der Erkenntnis: „Wie gewonnen, so zerronnen.“
Risikobereitschaft
Passende Aktienfonds sind für Laien und Einsteiger wohl das passabelste Instrument, sich auf einer stark geminderten Risikobasis in dem Risikopapier namens Aktie zu engagieren. Aber auch hier ist eine fundierte Beratung, das heißt ein Abklopfen der Risikobereitschaft und eine Definition des Anlageziels, dringend angeraten. Ob die Modepapiere der letzten Hausse, die Indexzertifikate, die einfach einen Aktienindex in ein handelbares Wertpapier verwandelten, ein Comeback erleben, bleibt dahin gestellt. Denn die Baisse hat gezeigt, die meisten gut gemanagten Aktienfonds haben weitaus weniger Verluste erlitten als die großen Indizes (DAX, EuroStoxx 50, Dow Jones, S&P 500, MSCI World oder auch die US-Technologiebörse Nasdaq). Die zu erwartende Börsenkonsolidierung wird wohl eher nach dem Motto stattfinden: Lieber auf Fondsbasis eine mit Expertise und Verstand herbeigeführte Mixtur aus Chancen und Risiken als dem Automatismus eines Aktienindex zu vertrauen.
Steht die Antwort auf die Frage nach der Strategie, stellt sich die Frage nach den geeigneten Titeln. Konkret: Auf welche Aktien, Aktienfonds oder auch Aktienindizes soll man setzen?
Aktien:Die gefallenen Engel von einst, wie etwa das Medienunternehmen EM.TV, der Internet- Dienstleister Intershop, der Chiphersteller Infineon oder auch die Deutsche Telekom, sehen aufgrund ihrer enormen Kursabstürze nur auf dem Papier recht chancenreich aus. Doch nur noch Zocker dürften diese Mammutverlierer erneut wieder anfassen. Besonnene Aktienkäufer vertrauen vielmehr einer an und für sich simplen, aber bewährten Regel: Aktiengesellschaften kaufen, die alljährlich respektable Dividenden ausschütten. Solche Titel sind zumeist in etablierten Branchen angesiedelt. Hier findet zwar zumeist kein überdurchschnittliches Wachstum mehr statt. Dafür aber bleiben dem Anleger viele unliebsame, in der Regel Kurs senkende Überraschungen erspart. Aktien mit hohen Ausschüttungen sind von Hause aus vor allzu rapidem Wertverfall geschützt – zumal, wenn die Dividendenrendite höher ausfällt als die Umlaufrendite von Staatsanleihen. Diese pendelt derzeit in Deutschland bei knapp unter vier Prozent.
Ein seltener Fall:Nicht wenige deutsche Aktientitel lassen mit ihrer Dividendenrendite die Umlaufrendite von Staatsanleihen weit hinter sich. Doch nicht die großen DAX-Teilnehmer sind die herausragenden Dividendenzahler, sondern eher gut geführte und börsennotierte Kleinund Mittelbetriebe. Die auf edle Unterhaltungselektronik ausgerichtete Loewe AG beispielsweise bietet eine Dividendenrendite von 7,2 Prozent. Das Unternehmen ist am Markt hervorragend positioniert. Sein Aktienkurs fiel im Baissejahr 2002 von über 30 auf rund zehn Euro. Er scheint hier einen Boden gebildet zu haben.
Wesentlich stabiler in der Substanz ist die Indus Holding, eine Beteiligungsgesellschaft mit einer aktuellen Dividendenrendite von 6,9 Prozent. Ebenfalls überlegenswert ist ein Engagement in der Düsseldorfer Industrie- Kreditbank IKB (6,4 Prozent). Zu den Klassikern mit stabilen Dividenden zählen auch der Düngemittelhersteller K+S (Kali & Salz) mit 5,8 Prozent Dividendenrendite, die Hamburger Kupferschmelze Norddeutsche Affinerie (5,8 Prozent), der Augsburger Maschinen- und führende deutsche Roboterhersteller IWKA (5,6 Prozent) oder die Hagener Edelparfümerie Douglas (5,5 Prozent).
Spitzenreiter
Auf Europaebene gibt es zehn Unternehmen im Konzernformat, die im EuroStoxx 50-Index vertreten sind und mit einer Dividendenrendite von über fünf Prozent aufwarten können. An der Spitze liegt der italienische Stromversorger Enel mit 6,3 Prozent, gefolgt von dem niederländischen Versicherungskonzern Aegon (5,8 Prozent), dem spanischen Stromversorger Endesa (5,8 Prozent), dem niederländischen Allfinanzkonzern ING (5,8 Prozent), der niederländischen ABN Amro Bank (5,6 Prozent) wie auch dem niederländischen Einzelhandelskonzern Ahold (5,1 Prozent).
Sogar der amerikanische Dow Jones Index, der mit seinen 30 Titeln beinahe börsentäglich der globalen Börsenwelt die Richtung vorgibt, verzeichnet zehn Titel, deren Dividendenrendite die Erträge von US-Staatsanleihen übertreffen. An der Spitze steht der Tabak- und Lebensmittelkonzern Philip Morris mit 6,6 Prozent. Hier kauft sich der Investor bei einem Kurs von nur 39 Euro eine Dividende von 2,56 Euro pro Aktie. Es folgen die fusionierte Bank JP Morgan Chase (5,4 Prozent; ein Kurs von rund 25 Euro bringt 1,36 Euro Dividende) und dem Automobilhersteller General Motors (5,2 Prozent). In der Top-Ten-Liste befin- den sich auch der Film- und Fotokonzern Eastman Kodak, das Telekommunikationsunternehmen SBC, der Chemiekonzern Du Pont sowie die Honeywell Holding, der Baumaschinenhersteller Caterpillar, General Electric und der Ölkonzern Exxon Mobil, der am unteren Ende der Skala immerhin noch 2,8 Prozent Dividendenrendite auf die Ertragswaage legt.
Aktienfonds:Hier überlässt man die für einen Laien kaum mögliche optimale Aktienauswahl einem Team von professionellen Aktienanalysten und einem Fondsmanager. Wichtig für den Fondsinvestor ist die Entscheidung, für welche Fondskategorie er sich entscheiden will, etwa: Aktien Deutschland, Aktien Europa, Aktien USA, Aktien Welt, Emerging Markets oder Länder- beziehungsweise Regionenfonds, wie Pazifik, Südostasien, Osteuropa, Lateinamerika oder China.
Eine Faustformel:Je größer eine Wirtschaftsregion, die ein Aktienfonds abdeckt, um so stärker wird das Aktienrisiko minimiert. Mit anderen Worten: Ein Deutschland-Fonds beispielsweise kann ganz schön riskant sein, wie das Jahr 2002 gezeigt hat, als der DAX um über 40 Prozent in die Tiefe sauste. Branchen- oder Themenfonds (Technologie, Telekommunikation, Neue Medien, Biotechnologie und so weiter) sind für einen Laien schon zu riskant. Erfahrene Fondsanleger, die ihre Fonds stets im Auge haben und gut informiert sind, könnten in diesem Metier lediglich mit überschaubaren Beträgen ihr Fondsportfolio exotisch aufpolstern. Wer unbedingt ein Wagnis und eine womöglich renditeträchtige Spekulation eingehen möchte, ist mit einem Technologie-Fonds (etwa ACM Global Technology) oder einem China-Fonds (etwa: Dresdner RCM China) gut bedient.
Ein global investierender Fonds bietet die breiteste Risikostreuung. Der Fondskäufer würde die Intentionen der Chancen- und Risikoverteilung des Fondsmanagers allerdings verfälschen und unterm Strich das Risiko sogar erhöhen, würde er in seinem Fondsportfolio einem international ausgerichteten Aktienfonds noch einen Deutschland-, einen Europa- oder auch einen USAFonds beimischen. Wer den auf Sicht von 20 oder gar 30 Jahren besten, international investierenden Aktienfonds für seine womöglich ebenso lange Zeit der Vermögensbildung wählt, macht gewiss keinen Fehler. Notwendig ist dann nur noch die Disziplin, über alle Haussen und Baissen hinweg nicht der Versuchung zu unterliegen, mit einem solchen Fonds wie mit einer Aktie zu spekulieren.
Die Qualität eines Aktienfonds zu beurteilen, ist auch für einen Laien gar nicht schwer. Entscheidend sind folgende Kriterien: Der ins Auge gefasste Aktienfonds sollte seit mindestens zehn Jahre existieren. Erst dann lässt sich beurteilen, wie er zurückliegende Baissen gemeistert hat. Schnitt er dabei besser ab als der relevante Aktienindex, hat ein Aktienfonds eine entscheidende Qualitätshürde übersprungen. Wichtig für den Fondsinvestor ist auch, dass er über den Anlagestil eines favorisierten Fonds im Bilde ist. Man unterscheidet wie folgt: aggressiv beziehungsweise dynamisch, rein auf Wachstum ausgerichtet oder konservativ, primär auf den Schutz des Anlegerkapitals disponiert – in erster Linie durch Engagements in substanz- und werthaltigen Titeln (etwa Dividendenbringer). Dies zu dokumentieren und zu belegen ist eine Pflicht des Anlageberaters.
International bleiben
Für ein langfristiges Fondsengagement zur nachhaltigen Vermögensbildung kommen eigentlich nur zwei Fondskategorien in Betracht: International oder auf Europa ausgerichtete Aktienfonds. Zu den bewährten, auch in den Fachmedien immer wieder hervorgehobenen Klassikern auf internationaler Ebene zählen der Templeton Growth Fund (Anlagestil: konsequent konservativ) wie auch der DWS Vermögensbildungsfonds I (Anlagestil: wechselnd je nach vorherrschendem Trend) oder der ACM Global Growth Trends (Anlagestil: dynamisch, kontrolliert aber konsequent auf Wachstum ausgerichtet). Spitzenreiter unter den Europafonds sind der Gartmore CSF Continental Europe, der Fidelity European Growth oder der Threadneedle European Select Growth Fund (gezielt auf Wachstum ausgerichtet).
Indexzertifikate:In der abgelaufenen Aktienhausse waren diese Wertpapierderivate, die einen Aktienindex nachbilden und wie ein Wertpapier an den Börsen handelbar sind, der große Renner. Doch inzwischen sind die Käufer von Indexzertifikaten um eine wichtige Erfahrung reicher: Bei einem Aktienindex, sei es nun der deutsche DAX, der Euro- Stoxx 50 oder der nahezu allmächtige Dow Jones, in dem sich die Creme der US-Wirtschaft börsentäglich messen lässt, zählen als Aufnahmekriterium primär die schiere Größe und die am Aktienkurs gemessene Marktkapitalisierung (Zahl der umlaufenden Aktien mal dem aktuellen Börsenkurs). Auch ein großer, dominanter Index bietet keinen optimalen Mix im Hinblick auf Risikoreduzierung. So überwiegen im deutschen DAX Finanzdienstleister, wie Banken und Versicherungen, im Dow dominieren große Technologietitel, wie IBM, HP, Intel oder Microsoft.
Heute liegt klar auf der Hand: Ein Großteil der aktiv gemanagten Aktienfonds absolvierte die lange Börsenbaisse weitaus weniger verlustreich als so mancher Index abgeschnitten hat. Denn kluge, umsichtige Fondsmanager nutzten einfach ihre Möglichkeiten, mit dem Kapital ihrer Anleger in Deckung zu gehen. Die Index-Investoren hingegen rauschten auf Gedeih und Verderb mit ihrem Zertifikat in die Tiefe. Und wieder einmal bestätigte sich die Tatsache, dass die Banken zumeist auf Kosten ihrer Kunden erst einmal ihren eigenen Geldvorteil suchen, ehe der Kunde verdienen darf. So hatten viele Banken über ihre Berater propagiert, nur eine Minorität von Fondsmanagern schlage den Aktienindex, an dem sie gemessen würden. Daher sei es klüger, gleich in diesen Index zu investieren. Außerdem spare man sich einen Großteil des Ausgabeaufschlags und der Fondsmanagementgebühr, wenn man sich ein von der Bank aufgelegtes Indexzertifikat kaufe.
Abkassiert
Durch den Verkauf von Indexzertifikaten auf alle möglichen Aktienindizes kassierten die Banken in der euphorischen Haussestimmung Milliarden ab. Die Indexanleger gaben den Banken durch den Kauf von Zertifikaten zinslose Darlehen. Die Banken betrieben mit diesem Geld einen Renditegewinn auf ihre Art. Hinter ihren Zertifikaten stand lediglich das Versprechen, das eingesetzte Kapital gemäß Indexstand zurückzugeben. Da aber selbst große, konsolidierte Indizes, wie etwa der EuroStoxx 50 oder der deutsche DAX, im gesamten Baisseverlauf bis zu 50 oder gar 60 Prozent (Dax) verloren haben, machen die Banken einen entsprechenden Gewinn, wenn Zertifikat-Investoren jetzt, von ihren Maxibuchverlusten genervt, ihre substanzlosen Papiere verkaufen.
Fazit
Indexzertifikate waren und sind riskante Wettscheine, an denen unterm Strich wie auch im Großen und Ganzen nur einer verdient: der Buchmacher, sprich die Bank als Zertifikat- Emittent. Wer hingegen als Aktieninvestor an den Börsen solide sein Geld verdienen möchte, sollte sich daher substantiell, das heißt direkt in Aktien oder indirekt auf Fondsbasis, in die Aktiengesellschaften einkaufen und nicht auf ein substanzloses Derivat setzen, dessen Garant eine mehr oder minder solide Bank ist.