GVG-Untersuchung: Gesundheitssysteme im Blickpunkt der EU-Ost-Erweiterung

Keine Sorge um die Versorgung

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Die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) hat eine aktuelle Materialsammlung erarbeitet. Es geht um die Gesundheitssysteme Mittel- und Osteuropas vor dem Hintergrund der EU-Ost-Erweiterung. Eines, so die Einschätzung, zeigt sich für die zahnmedizinische Versorgung ganz deutlich: Bei der Erweiterung ist mit keinen nennenswerten Auswirkungen zu rechnen

Interessant und beruhigend zugleich ist die Botschaft, die die GVG-Untersuchung bietet und die Befürchtern um negative Konsequenzen der bevorstehenden EU-Ost-Erweiterung einmal mehr den Wind aus den Segeln nimmt: Mit Auswirkungen auf den Bereich der zahnmedizinischen Versorgung ist nur in sehr engen Grenzen zu rechnen, sagen die Verfasser, Martin Wrede und Prof. Jürgen Kruse. Das rund 200-seitige unveröffentlichte Werk, das im Auftrag des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) im Jahre 2002 erstellt wurde, hat den Status einer Materialsammlung und wartet mit einer Fülle von Hintergrundinformationen auf. Diese Informationen werden jetzt im IDZ weiter aufbereitet. Im Mittelpunkt stehen drei Länderberichte aus Polen, Tschechien und Ungarn.

Konsequenzen

Untersucht werden die Voraussetzungen der Gleichwertigkeit der Ausbildung, die zu erwartenden Migrationsprozesse von Zahnärzten und Patienten und die sich daraus ergebenden versorgungspolitischen Konsequenzen. Es geht in den Länderberichten um die Finanzierung der zahnmedizinischen Versorgung, um die Vorschriften zur Berufsausübung und gesundheitspolitische Aspekte. Weiterhin gehen die Autoren auf die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen ein und legen rechtliche Grundlagen des europäischen Sozialrechts im Hinblick auf Leistungserbringung und Leistungsnachfrage dar. Es geht um die Auswirkung europäischen Rechts auf die nationalen Krankenversicherungssysteme der Beitrittsländer und auf die Akteure im Gesundheitswesen (Kostenträger, Versicherte und Patienten, Leistungserbringer). Ferner werden die EURegelungen zur Niederlassungsfreiheit für Freiberufler und die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen dargestellt.

Von besonderem Interesse sind die Kapitel, in denen es um die Vergleichbarkeit der Curricula geht. Das Fazit der Autoren: Die zahnärztliche Ausbildung in den osteuropäischen Ländern folgt einem eher allgemeinmedizinisch orientierten Paradigma, während in Deutschland ein eher zahnmedizinischer Ansatz verfolgt wird, bei dem stärker als in Osteuropa die präventiv orientierten und zahntechnischen Fächer im Vordergrund stehen. Der Vergleich der Curricula legt es nahe, dass polnische und tschechische Zahnärzte ohne individuelle Fortbildungsanstrengungen den Anforderungen des deutschen Versorgungsmodells, insbesondere im Bereich Prävention und Zahntechnik, nicht gerecht werden können.

Für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen hält man deswegen Übergangsregelungen für angemessen, ähnlich denen bei der Süderweiterung für italienische Zahnärzte. Das ungarische System scheint den deutschen Anforderungen zu entsprechen.

Kernaussagen

Die GVG-Materialsammlung lässt sich in mehreren Kernaussagen und Einschätzungen zusammenfassen:

Keine zunehmende Konkurrenz:

Die befürchteten Folgen einer zunehmenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und eine Verdrängung heimischer Arbeitskräfte lässt sich nicht belegen. Arbeitskräfte werden vor allem in den Bereichen festgelegt, in denen in Deutschland ein geringer Bedarf besteht (Landwirtschaft, Bergbau, Schwerindustrie). Zuwanderer mit geringerer Qualifikation entsprechen nur begrenzt den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes und sind in wenigen Branchen tätig, in denen sie nur bedingt mit einheimischen Kräften konkurrieren. Aufgrund der ausgeprägten technischen Entwicklung der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) ist auch mit höher qualifizierten Zuwanderern zu rechnen, was zu positiven Einflüssen auch in Deutschland führen wird.

Keine Überforderung der Sozialsysteme:

Eine Überforderung der Sozialsysteme, besonders der Gesundheitssysteme, lässt sich nicht belegen. Die Migranten tragen durch Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zur Finanzierung der Systeme bei. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Gesamtbilanz der sozialen Sicherungssysteme durch Zuwanderer eher positiv beeinflusst wird. Insbesondere bei jungen Zuwanderern und bei temporärer Migration ist mit positiven Effekten zu rechnen. Im zahnmedizinischen Bereich wird eine Stabilisierung der Nachfrage erfolgen, da sich durch die Zuwanderer die Abnahme der Wohnbevölkerung verlangsamen wird.

Nachfrage nach Leistung im Ausland bleibt ein Randphänomen:

Dass deutsche Versicherte im Ausland nach zahnmedizinischen Leistungen fragen, wird ein Randphänomen bleiben. Die psychosoziale Bedeutung der Mundgesundheit, die Unsicherheit über die Qualität der Leistungserbringung, die ausgeprägte Zahnarztbindung, organisatorische und rechtliche Probleme und sprachliche Schwierigkeiten stehen einer breiten Inanspruchnahme entgegen, auch dann, wenn die MOEL-Staaten ihre Angebote für ausländische Versicherte professionalisieren.

Verstärkter Import zahntechnischer Leistungen:

Umstrukturierungseffekte sind eher von einem verstärkten Import zahntechnischer Leistungen zu erwarten. Durch Warenimport entfällt die Notwendigkeit der Reise des Versicherten ins Ausland. Wenn der Zahnersatz von einem deutschen Zahnarzt weiterverarbeitet wird, sind Haftungs- und Regressprobleme gelöst.

Unmittelbare Folge eines verstärkten Imports ist eine Verschärfung des Preiswettbewerbs unter deutschen Laboren beziehungsweise Zahnärzten. Das Ausmaß ist nicht absehbar, weil unklar ist, inwieweit heute schon importierter Zahnersatz verwendet wird. Die Möglichkeit zum Import preisgünstigen Zahnersatzes weltweit aus dem Ausland besteht heute schon, könnte sich aber künftig noch verstärken.

Finanzierungsprobleme der MOELGesundheitssysteme:

Die Gesundheitssysteme in den MOELStaaten leiden unter erheblichen Finanzierungsproblemen. Grund sind unwirtschaftliche Versorgungsstrukturen und Finanzierung. Dies könnte einen Migrationsdruck auch auf die dortigen Zahnärzte ausüben. Deren wirtschaftliche und fachliche Perspektiven werden durch unzureichende Vergütung der gesetzlichen Krankenversicherung, fehlende Privatversicherung und geringe Kaufkraft einer zahlungsfähigen Mittelschicht eingeschränkt. Entwicklungsmöglichkeiten gibt es derzeit nur in den großen Städten.

Ausmaß der Zuwanderung nicht vorhersehbar:Mangels Daten ist das Ausmaß der Zuwanderung nicht vorhersehbar. Die Süd-Erweiterung hat keine Anhaltspunkte für eine verstärkte Zuwanderung geliefert, und davon ist auch bei der Ost-Erweiterung nicht auszugehen. Bei Zuwanderern aus den MOEL-Staaten bestehen erhebliche Verständigungsprobleme. Der Arbeitsmarkt ist nur begrenzt aufnahmefähig. Der Weg in die Niederlassung führt schon aufgrund des hohen Investitionsbedarfs zunächst über eine angestellte Tätigkeit. Doch hierfür sind in der zahnmedizinischen Versorgung die Kapazitäten begrenzt. 

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