Pocken – neue Gefahr durch eine alte Erkrankung?
Lange Zeit galten sie als ausgerottet, nun haben die Pocken eine neue Aktualität erhalten: In der ganzen westlichen Welt werden derzeit wieder größere Mengen des Pockenimpfstoffs „gebunkert“ und Ärzte wie auch Helfer im öffentlichen Gesundheitsdienst werden im Umgang mit der fast schon vergessenen Erkrankung geschult. Hintergrund ist die zunehmende Sorge, durch einen terroristischen Angriff mit biologischen Waffen möglicherweise schon bald erneut mit der gefährlichen Infektionskrankheit konfrontiert zu werden. Dabei besteht weniger die Furcht, dass es hier zu Lande zu einem gezielten Angriff mit dem Pockenerreger kommt. Dieser aber könnte sich wegen seiner hohen Infektiosität auch bei Anschlägen in anderen Nationen rasch zu einer globalen Bedrohung entwickeln. Einen Schutz hiervor bietet lediglich die Pockenschutzimpfung.
Diese aber wird derzeit nicht allgemein empfohlen, da die Impfung nicht unproblematisch und mit Nebenwirkungsrisiken behaftet ist. Mit einer groß angelegten Impfaktion ist deshalb erst dann zu rechnen, wenn die akute Gefahr einer erneuten Ausbreitung der Pocken besteht, eine Situation, auf die die Ärzte und Gesundheitsdienste sich nunmehr allerdings vorbereiten.
Hochansteckende Infektion
Mit den Pocken ist nicht zu Spaßen. Es handelt sich vielmehr um eine hochgradig ansteckende, lebensbedrohliche Infektionskrankheit, die bei Epidemien in früheren Jahrhunderten Millionen von Todesopfern forderte. Hinweise auf erste Pockenepidemien sind dabei schon aus der Zeit um 1000 vor Christus überliefert, durch die Kreuzzüge wurde die Erkrankung dann aus der arabischen Welt nach Europa eingeschleppt. Die erste historisch gesicherte Pockenepidemie in Europa ereignete sich im 6. Jahrhundert, in Deutschland wütete die Infektionskrankheit vor allem im 13. und im 15. Jahrhundert.
Einhalt wurde der Erkrankung praktisch erst durch die Entwicklung eines Impfstoffs geboten. Diese geht auf frühe Beobachtungen zurück, wonach Personen, die mit nur leicht an Pocken Erkrankten in Kontakt kommen, im späteren Leben vor der Infektion gefeit sind. Man versuchte daher in früheren Jahren, eine Immunität durch das Übertragen von Sekret von Erkrankten auf Nicht-Erkrankte zu erwirken, ein Vorgehen, das als Variolisation bekannt wurde. Es war wenig zuverlässig und zudem nicht ungefährlich, da so mancher Impfling an den Folgen der Variolisation und der dadurch bedingten Pockenerkrankung verstarb.
Der Engländer Edward Jenner ging 1796 einen anderen Weg und infizierte Gesunde mit Flüssigkeit aus den Hautblasen von Rindern, die an Kuhpocken erkrankt waren, woraus sich später die heute übliche Impfung entwickelte. Dank der Verbreitung der Pockenschutzimpfung, die schließlich im 19. Jahrhundert zur Pflichtimpfung wurde, und dank allgemeiner Maßnahmen, wie der konsequenten Quarantäne Erkrankter, verlor die Infektion – früher auch als Blattern bezeichnet – zunehmend ihren Schrecken. In Deutschland wurde die letzte Pockeninfektion im Jahre 1972 registriert und 1975 wurde letztmalig gegen Pocken geimpft. Weltweit trat der letzte Pockenfall 1977 in Somalia auf und am 8. Mai 1980 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Pocken als „ausgerottet“.
Tatsächlich ausgerottet?
Konkret bedeutet das jedoch nicht, dass es keine Erreger der Pocken mehr gibt. Die Erkrankung wird durch Viren der Familie Poxviridae verursacht und Vertreter dieser Viren wurden zu Wissenschaftszwecken in speziellen Sicherheitslabors in den USA und auch in der Sowjetunion gelagert. Es ist damit nicht auszuschließen, dass solche Viren auch in die Hände von Terroristen gefallen sein können und von diesen möglicherweise als biologische Waffen eingesetzt werden. Dies könnte fatale Folgen haben, da die Pockenerreger im Falle eines Falles auf eine weitestgehend ungeschützte Bevölkerung treffen würden, was ohne entsprechende Schutzmaßnahmen wie eine sofortige Massen-Impfung zur raschen Ausbreitung der Erkrankung führen dürfte. Es gibt Schätzungen, wonach die Bevölkerung in einem solchen Fall um rund zwei Drittel dezimiert werden könnte.
Bei den Pockenviren handelt es sich um Viren, die DNA enthalten und von einer relativ stabilen Eiweißhülle umgeben sind. Übertragen werden sie mit der Atemluft, also durch eine Tröpfcheninfektion beim Sprechen, Niesen oder Husten. Möglich ist ferner eine Schmierinfektion, zum Beispiel über Keime, die den Händen oder Gegenständen, wie etwa der Türklinke, anhaften. Die Inkubationszeit beträgt rund acht bis 14 Tage. Die Erkrankten sind mit Beginn des Fiebers kontagiös und bleiben über die gesamte Dauer des Hausschlags, also etwa drei Wochen lang, ansteckend. Die Ansteckungsgefahr ist somit umso größer, je länger die Erkrankung im Einzelfall andauert, sie ist jedoch in der ersten Krankheitswoche am höchsten.
Üblicherweise beginnt die Erkrankung, analog zu anderen viralen Infekten, zunächst mit unspezifischen Beschwerden wie Fieber, Muskel- und Rückenschmerzen sowie Beschwerden im Bereich der Atemwege, was oft initial an einen grippalen Infekt denken lässt. Auffällig ist jedoch das abrupt einsetzende Fieber. Es kommt ferner zu Hauterscheinungen, die typischerweise (und somit anders als etwa bei den Windpocken) synchron im Gesicht und an den Extremitäten auftreten.
Die Hauterscheinungen verändern sich im Verlaufe der Erkrankung, was dieser ihren Namen gab: Die Pocken werden medizinisch als Variola bezeichnet, was auf den lateinischen Begriff „varia“, also „bunt“ zurück geht. Man unterscheidet die Variola vera oder auch Variola major, die echten Pocken, von den Variola minor, den so genannten weißen Pocken, welche im Normalfall leichter verlaufen und „nur“ in rund ein Prozent der Fälle letal enden.
Bei den Hauterscheinungen bilden sich anfangs blass-rote, juckende Flecken, die in Knoten und schließlich in flüssigkeitsgefüllte Bläschen und Blasen und in eitergefüllte Pusteln übergehen. Die Pusteln trocknen aus, wobei es zur Verschorfung kommt, welche sich unter starkem Juckreiz löst.
Hohe Sterblichkeit
Parallel zu den Hauterscheinungen leiden die Patienten zunehmend unter Fieber, das schubartig ansteigt und mit einem delirartigen Zustand einhergeht. Die Erkrankten sind desorientiert, werden von Halluzinationen gequält und etwa 40 Prozent der Patienten versterben an der Erkrankung.
Noch weitaus höher ist die Sterblichkeit bei einer weiteren Form der Pocken, den so genannten schwarzen Pocken, medizinisch als Variola haemorrhogica bezeichnet, die eine deutlich kürzere Inkubationszeit aufweisen und bei denen es zu schweren Blutungen der Haut, der Schleimhäute und auch der inneren Organe kommt, woran die Patien- ten meist schon in den ersten Tage versterben.
Die charakteristischen Hauterscheinungen verbunden mit dem Fieber bedingen, dass die Erkrankung relativ frühzeitig klinisch zu diagnostizieren ist, ein Aspekt, der mit dazu beigetragen hat, dass die Pocken weltweit ausgerottet werden konnten. Bestätigt wird die klinische Diagnose durch den elektronenmikroskopischen Direktnachweis der Viren aus der Bläschenflüssigkeit, was allerdings nur in Hochsicherheitslabors geschehen darf, oder durch serologische Verfahren, also durch den Nachweis von Antikörpern gegen den Erreger, ein Verfahren, das jedoch mit gewissen Unsicherheiten durch Kreuzreaktionen behaftet ist.
Keine kausale Therapie
Eine kausale Behandlung der Pockeninfektion ist nach derzeitiger Erkenntnis nicht möglich. Zwar gibt es inzwischen effektive Virostatika, diese sind jedoch nicht gegen alle Viren wirksam und es ist unbekannt, wie die Pockenviren auf solche Medikamente reagieren. Die Therapie besteht deshalb vor allem in symptomatischen Maßnahmen wie Fieber senkenden Medikamenten sowie Bettruhe und ausreichender Flüssigkeitszufuhr. Allerdings gibt es offenbar berechtigte Hoffnungen, dass sich dies bald ändert. US-Forscher haben ein neues Virostatikum, das Cidofovir, entwickeln können, das die Vermehrung von Pockenviren hemmt und somit bei der Bekämpfung eines Pockenausbruchs helfen könnte.
In einem solchen Fall müsste außerdem durch die strikte Isolierung der Erkrankten sowie der sie pflegenden Personen versucht werden, die Ausbreitung der Infektion unbedingt und konsequent einzudämmen.
Schutz bietet nur die Impfung
Ein effektiver Schutz vor der Pockeninfektion lässt sich nur durch eine konsequente Impfung erwirken. Eingesetzt wird das Vacciniavirus, das selbst nur gering pathogen ist. Allerdings kann die Impfung Nebenwirkungen verursachen. Auch bei der Impfung kommt es – ähnlich wie bei der Infektion, doch sehr viel schwächer – an der Injektionsstelle zu einer kleinen Hautblase, die in eine eitrige Pustel übergeht und verschorft. Der Schorf fällt schließlich ab und zurück bleibt eine kleine Narbe, die bei den über 25-Jährigen heute noch den Oberarm „ziert“ – als äußeres Zeichen der erfolgten Pockenschutzimpfung. Da die Impfung alle fünf bis zehn Jahre aufgefrischt werden sollte, ist allerdings nicht davon auszugehen, dass diejenigen, die vor dem Jahre 1975 geimpft wurden, heute noch einen Impfschutz besitzen.
Dennoch empfiehlt bislang keine Regierung die allgemeine Impfung der Bevölkerung gegen Pocken. Das hängt damit zusammen, dass neben den lokalen Reaktionen auch schwere Impfschäden, beispielsweise einer Hirnentzündung, nicht auszuschließen sind. Eine solche postvakzinale Enzephalitis könnte bei Massenimpfungen erhebliche Todesopfer fordern, weshalb derzeit auch kritische Stimmen laut werden und vor den Impfungen warnen.
Dem potenziellen Risiko der Impfung steht andererseits die – wohl nicht unberechtigte – Sorge gegenüber, es könne in absehbarer Zukunft einen gezielten terroristischen Angriff mit Pockenviren geben. Dass die Erreger in die Hände von Wissenschaftlern gelangt sein könnten, ist nicht mit absoluter Sicherheit auszuschließen. Die Erreger zu verbreiten, wäre dabei relativ leicht möglich, indem sie beispielsweise von einem Flugzeug aus versprüht werden oder indem Selbstmordattentäter sich selbst infizieren und sich dann an belebten Plätzen aufhalten.
So könnte eine Pockenepidemie ausgelöst werden, die dann durch eine sofortige Massenimpfung – so die derzeitigen Vorstellungen – einzudämmen wäre. Denn die Impfung kann auch nach der Virusexposition noch erfolgen. Dies sollte möglichst innerhalb von vier Tagen geschehen, wobei die Schutzwirkung umso höher ist, je früher geimpft wird. Allerdings kann die postexponentielle Impfung nach Angaben des Robert-Koch-Institutes in Berlin nicht mit Sicherheit die Erkrankung verhindern. Sie kann jedoch dafür sorgen, dass diese milder verläuft und in aller Regel nicht tödlich endet.
Christine VetterMerkenicherstraße 22450735 Köln