Gesetzgebung im Schnellverfahren

Freie Bahn für die Turbo-Reform

Was heimlich, still und leise in den zurückliegenden Konsensgesprächen ausgehandelt worden war, wurde anschließend mit beeindruckendem Tempo durch den Bundestag geschickt. Die Gesundheitsreform sollte auf einmal nur noch eine Sache von wenigen Tagen sein. Aber was im Parlament an Diskussion fehlte, fand in den Fraktionen umso mehr statt. Zankapfel der Politik: die Finanzierung. Genauer: die umstrittene Bürgerversicherung.

Monatelang wurde gerungen, im September wurde es dann auf den parlamentarischen Weg gebracht – in weniger als drei Wochen absolvierte das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) die erste, zweite und dritte Lesung im Deutschen Bundestag. Für die oppositionelle Kritik am Konsensentwurf zeichneten allein die Liberalen verantwortlich (siehe auch Leitartikel auf Seite 6).

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt betonte mehrfach, dass die GMG-Maßnahmen bereits im kommenden Jahr zu einer „spürbaren Senkung der Krankenkassenbeiträge“ führen werden. Die FDP bezweifelte allerdings, dass ein durchschnittlicher Beitragssatz von 13 Prozent auch nur annähernd erreicht würde. Und selbst Unions-Unterhändler Horst Seehofer räumte ein, dass die „Finanzkrise“ nach wie vor das größte Problem im Gesundheitswesen bleiben wird. Eine Krise, die nach seiner Ansicht von der Bundesregierung „politisch verschuldet“ wurde. Ergo: Die Frage der langfristigen Finanzierung der GKV ist nach wie vor völlig ungeklärt. Mehrere Modelle sind in der Diskussion.

• Die Rürup-Kommission hat in ihrem Abschlussbericht vorgeschlagen, alle Berufsgruppen und sämtliche Einkunftsarten mit individuellen Beiträgen heranzuziehen. Auch Beamte und Selbstständige sollen in die Bürgerversicherung entsprechend ihrer Einkünfte einzahlen. Die Bemessungsgrenze würde auf 5 100 Euro steigen.

• Der Kommissions-Vorsitzende Bert Rürup macht sich für eine Gesundheitsprämie oder Kopfpauschale stark. Hierbei orientieren sich die Beiträge nicht mehr am Einkommen, sondern werden pro Kopf bei erwachsenen Mitgliedern der GKV erhoben.

• Bundesaußenminister Joschka Fischer plädiert für eine Bürgerversicherung, die vom Einkommen aus abhängiger Beschäftigung abgekoppelt ist. Der Arbeitgeberanteil solle mit dem Lohn ausgezahlt werden. Anstelle der von Rürup geforderten Pauschale müsse der Beitrag linear steigen.

• Karl Lauterbach schlägt ebenfalls eine abgewandelte Variante der Bürgerversicherung vor, bei der private Versicherer einbezogen werden. Die Pflichtversicherungsgrenze soll abgeschafft werden; private Kassen müssten künftig jeden Bürger aufnehmen und dürften keine risikoorientierten Beiträge mehr fordern.

• SPD-Generalsekretär Olaf Scholz spricht sich dafür aus, einen Solidarverbund und Finanzausgleich zwischen gesetzlichen und privaten Kassen zu schaffen, der sich am Beispiel des Risikostrukturausgleichs orientiert.

• Der Arbeitnehmerflügel der Union fordert eine zweckgebundene Krankenversicherungsabgabe, die auf alle Einkunftsarten erhoben wird. Damit sollen rund 80 Prozent der GKV-Ausgaben abgedeckt werden.

Die FDP hat indes angekündigt, einen massiven Widerstand gegen die Bürgerversicherung zu organisieren. Ende vergangenen Monats erhielten zahlreiche „Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verbänden“ ein Schreiben der Liberalen, in dem Guido Westerwelle die Bürgerversicherung als „einen gefährlichen Irrweg“ bezeichnete, „der die bestehenden Probleme nicht behebe, sondern sie noch verschärfe“. Mit der Zahl der Einzahler steige auch die Zahl der Anspruchsberechtigten – für Westerwelle ein „System wie in der DDR“, welches „die Menschen noch teuerer kommen“ wird. Dass die Kritik am GMG von Ärzten und Zahnärzten, Krankenkassen und Patientenverbänden auch nach Beginn der parlamentarischen Gesetzgebungsphase (siehe Kasten) nicht enden wollte, brachte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ihrerseits dazu, den Kritikern eine „Blockadehaltung“ vorzuwerfen. Statt sich „über einzelne Reformpunkte zu ärgern“, sollten „die Leistungserbringer endlich akzeptieren, dass neue Aufgaben und Herausforderungen auf sie zukommen“. Was die Bürgerversicherung betreffe, so werde diese laut Schmidt „bestimmt nicht kurzfristig“ kommen – sondern frühestens „vor der nächsten Bundestagswahl 2006“.

In den Reihen der beiden Regierungsparteien ist man gleichwohl schon einen Schritt weiter. Der Parteirat der Grünen hatte bereits Mitte September einen „Diskussionsvorschlag“ zum Umbau der Krankenkassen zu einer Bürgerversicherung beschlossen. Und auch die Sozialdemokraten werden sich bei ihrem Bochumer Parteitag im November mit dem umstrittenen Finanzierungsmodell beschäftigen.

Bei alledem bleibt doch noch ein kleiner Trost: Die gemeinsam von Union und Regierung ausgehandelte Reform werde, so Horst Seehofer, ein „Ausnahmefall“ bleiben. Bei „weiteren Reformen“ sollten an Stelle von Verhandlungen in kleinem Kreis wieder „Bundestag und Bundesrat die Plattform“ sein.

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