Endokrinologie

Genetische Links zur schweren Fettsucht

Heftarchiv Medizin
Leptin und Melanocortin sind durch die Erfolge bei der Entschlüsselung des menschlichen genetischen Codes zu Schlüsselenzymen in der Regulation von Essverhalten, Energieaufnahme und Fettsucht avanciert. Diese Enzyme werden in komplexer Weise durch genetische und äußere Einflüsse gesteuert. Man weiß zwar, dass 50 bis 90 Prozent der Variabilität im Körpermasse- Index (BMI) durch Erbfaktoren gesteuert sind, eine genaue Analyse wurde nun jedoch erstmals für Mutationen des Melanocortin-4-Rezeptorgens (MC4R-Gen) präsentiert .

Gerade in den USA wird der genetische beziehungsweise der verhaltensmäßige Anteil der dort weit verbreiteten Fettsucht seit Jahren kontrovers diskutiert. Immer wieder wurde von moralisierenden Ärzten und Pädagogen ein wesentlicher, vererbbarer Anteil an der Ausbildung der Adipositas bezweifelt und ein entsprechender Druck auf das Verhalten der Betroffenen aufgebaut. 

Defekt am Melanocortin-Rezeptor

Nun zeigt sich jedoch ein komplexes Bild, das eine Verknüpfung von Elementen der Endokrinologie und des Verhaltens in der Entstehung eines massiven Übergewichts enthüllt. In diesem Sinne haben I. Sadaf Farooqi und seine Mitarbeiter aus den Fakultäten für Medizin und Biochemie der Universität in Cambridge, Großbritannien, gezeigt, dass aus einer Gruppe von 500 Adipösen mit bereits im Kindesalter einsetzender schwerer Adipositas fast sechs Prozent einen genau analysierbaren Defekt am Melanocortin-4-Rezeptor besitzen. Dies führt bei den heterozygoten und besonders bei den homozygoten Trägern einer solchen Mutation zu

• schwerer, bereits im Kindesalter einsetzender Adipositas,

• einer drastisch erhöhten fettfreien Körpermasse,

• einem verstärkten linearen Wachstum,

• drastischer Neigung, sich Essattacken hinzugeben sowie zur

• Ausbildung einer Hyperinsulinämie mit der dafür typischen Erhöhung der kardiovaskulären Komplikationen im Metabolischen Syndrom.

Nur partiell aktive Mutanten des MC4RGens zeigen eine gewisse Reaktion auf die Stimulation durch das á-Melanozyten-stimulierende Hormon, inaktive Mutanten führen zu einer kompletten Blockade dieses Signalweges, der für die Rückkoppelung einer sich verstärkenden Adipositas aus dem Fettgewebe an anorexigene Hormone im Hypothalamus führt (Abb. 2).

Praktische Konsequenzen?

Zunächst haben wir es hier mit Ergebnissen der Grundlagenforschung zu tun. Sie sind zwar interessant, doch noch weit entfernt von praktischen Konsequenzen oder Empfehlungen. Allerdings sollten wir aufhören, auf adipösen Menschen herumzuhacken und sie als charakterschwach, primitiv fresssüchtig oder einfach stupide oder maßlos gierig zu bezeichnen. Ganz offensichtlich können eben doch pathophysiologische Pannen zur Ausbildung der Fettsucht – gerade auch bei Kindern – führen. Wenn es auch nicht die viel gescholtenen „Hormone“ sind, deren Fehler uns zu Essattacken treiben, so sind es doch endokrinologische Faktoren. Und die sind auch recht nahe bei den Hormonen...  

Dr. Till U. KeilLeonburgstr. 1281545 München

 

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